Aber trotzdem.

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Das menschliche Gehirn lässt uns unangenehme Erlebnisse leicht vergessen. Das ist immens wichtig, gerade wenn man Mutter mehrerer Kinder ist. Dann vergisst man nämlich auch, wie es in der sogenannten Trotzphase war, die just dann beginnt, wenn Eltern so richtig verliebt in dieses kleine, süße, entzückende Babykind sind, das plötzlich so viele Sachen kann. Mit zwei bis drei Jahren also. Vor wenigen Wochen war ich auf dem Kinderspielplatz, und da waren so ein Trotzphasen-Kind und seine Mutter. Ich habe meine Tochter angesehen, die mir gerade von der letzten Schularbeit berichtete, ihr ein Bussi auf die Stirn gedrückt und mich auch erinnert, wie das war bei uns, mit ihr.

"Du bist die Beste!" – oder doch nicht?

Ich komme nach Hause, der Tag im Büro war lang, meine Mutter, die die Kinder babysittet, empfängt mich mit angezogener Jacke an der Wohnungstür. Sie rauscht davon mit einem kurzen Abschiedsgruß, und ich fürchte mich. Nicht vor meiner Mama, nicht vor meinem Chef, nicht vor einer Lohnkürzung, nicht vor dem Klimawandel, nicht vor einer Scheidung. Ich fürchte mich vor meiner dreijährigen Tochter. Und davor, jetzt allein mit ihr zu sein.

Sie gibt sich zuerst süß und ruft mir entgegen: "Du bist die Beste, die Beste, Beste!", während sie mich umarmt. Ich bleibe misstrauisch. Sie ist die Jüngste. Ich kenne dieses Spiel, und ja, auch ich kann es spielen. Wir zuckersüßen uns mit Liebesworten an und betreten die Küche. Es ist Abendessenszeit. Als meine ersten drei Vorschläge abgelehnt werden, beginnt die Kriegsaufstellung. "Ich will aber unbedingt den Schokopudding!" Meiner Ablehnung schlägt ein "Ich will, ich will, ich will!"-Stakkato entgegen.

Ich bin gelassen, bleibe ruhig, erkläre, erläutere. "Du bist blöd! Alles ist blöd! So ein blöder Tag, blöd, blöd, blöd! Mein Leben ist superblöd!", wird mein Ansatz kommentiert, gemeinsam Pasta mit Gemüse zu kochen. Sie stemmt die Arme in die Hüften, schaut mich an, schreit: "Du bist nicht meine Meisterin!" (äh, nein, hat auch nie jemand behauptet, woher kennst du überhaupt dieses Wort?), und verlässt wutschnaubend den Schauplatz.

Die Nachbarin klopft an die Wand

Das Kriegsgebiet verlagert sich ins Kinderzimmer, dessen Tür lautstark knallt. Drinnen höre ich die Kuscheltiere verzweifelt vom Bett springen. Es könnte auch sein, dass sie meine wütende dreijährige Tochter einfach durch die Gegend wirft. Als gelernte Mutter weiß ich, was jetzt kommt, und greife ein, bevor das Lego-Auto eines Bruders und die Playmobil-Tierarztstation einer älteren Schwester gegen die Wand geschmissen werden.

Dieses Mal versucht die Jüngste sich auch an Schularbeitsheften der Älteren zu vergreifen. Ich kreische – und mein wenig subtiler Eingriff erntet wütendes Gegengeschrei. Die Nachbarin klopft an die Wand. Meine Nerven liegen blank. Ich zerreiße innerlich alle Wutzettel, die ich je an Pinnwände gesteckt habe, und reiße mich zusammen.

Ich trinke den Zirbenschnaps – heimlich

Ich habe alle schlauen Bücher gelesen – von Jesper und Jan-Uwe. Ich kenne die Ratgeber, die einfachen Wahrheiten. Das Kind trotzen lassen, das Kind kurz alleine lassen. Dem Kind alles erklären, ihm meine Grenzen zeigen.

Es ist trotzdem furchtbar. Ich will keinen Krieg zu Hause. Ich will einen schönen Abend mit ihr. Sie verschmiert einen Schokopudding, den sie sich heimlich aus dem Kühlschrank geholt hat, auf dem Kinderzimmerteppich und schaut mich triumphierend an. Es sind diese Momente, in denen ich nach dem Putzen alleine heimlich in der Abstellkammer den Zirbenschnaps vom letzten Steiermark-Urlaub trinke.

Irgendwann ist es vorbei. Das heißgeliebte Babykind hat die Trotzphase überstanden, und die Eltern ebenso. Dazwischen heißt es einfach nur durchhalten. Irgendwie versuchen, diese komische Phase und damit den Krieg zu Hause zu überleben. Und Schnaps trinken. Und darauf warten, dass irgendjemand heimkommt und man nicht mehr alleine ist – mit ihr. (Sanna Weisz, 30.10.2016)