Vasen des Keramikkünstlers Matthias Kaiser – er ist einer der Großen der heimischen Szene und darf sich somit besonders über den Boom von Keramik freuen.

Foto: Jens Preusse, Zeichung: Armin Karner

"Just dressed" nennt sich die Leuchte von Hedwig Rotter (Mano Design).

Foto: Mano Design

Gefäß "Woods" von feinedinge.

Foto: feinedinge

Eine Schale des Keramikers Walter Mottl.

Foto: Olaf Hais

Denkt man heute an Keramik, fallen einem nicht selten tantenhafte Kaffeekränzchen samt Schwarzwälder Kirschtorte und kleinen Porzellanfigürchen ein. Vielleicht eine kleine Ballerina oder ein sich verneigender, gepuderter Kavalier mit rosa Pumphosen. Oder wie wäre es mit diesem Keramikklischee: Selbstfindungsworkshops auf einer griechischen Insel, wo hinter Jutevorhängen die Töpferscheibe im Takt der Wellen vor sich hinquietscht?

Es geht auch anders: Wohnmagazine, Lifestyle-Blogs, Interieur-Designer und Schaufenster zeigen, wie sich Getöpfertes immer mehr zum Must-have mausert. Das Angebot an Oberfläche, Form und Fertigungstechnik ist enorm. Dabei ist auch das Unperfekte schwer in Mode. Ein Häferl darf ruhig ein bisserl schief sein und ausschauen, als ziere es eine Rotznase aus Glasur.

Sprung in der Schüssel

Schließlich ist auch der Mensch nicht perfekt. Der Schriftsteller und Töpferguru Edmund de Waal sagte in einem Interview mit der "NZZ": "Eines der fabelhaften Dinge im Zusammenhang mit Porzellan ist, dass man Perfektion anstrebt, aber stets scheitert. Ich bin in Wirklichkeit nicht an Perfektion interessiert. Das ist eine Idee, die absolut tödlich ist." Salopp formuliert: mehr Mut zum Sprung in der Schüssel!

Die neue Keramik – das sind keine Tassen und Teller vom Fließband. Die neue Keramik ist unverwechselbar, trägt die Handschrift ihres Erschaffers, hat eine Seele und hebt sich ab vom bloßen Gebrauchsgegenstand, der anonym in der Kredenz steht. Diese Stücke wollen auch im Alltag begutachtet, angefasst und wertgeschätzt werden.

Zeitgenössische handgefertigte Keramik spiegelt so wie andere handwerklich gefertigte Objekte die Sehnsucht von Menschen wider, der eigenen Individualität größeren Ausdruck zu verleihen, als dies dem Produktdesign im Allgemeinen möglich ist.

Kanten und Ecken

Die Tatsache, dass sich bestimmte Details maschinell nicht herstellen lassen, fasziniert auch den Keramikkünstler Matthias Kaiser, der seinen Brennofen noch mit Holz füttert und seine Töpferscheibe per Fuß betreibt. Vor nicht allzu langer Zeit präsentierte er gemeinsam mit dem Duo chmara.rosinke seine Arbeiten in der Galerie Spazio Pulpo in der Wiener Innenstadt. Seine Vasen zeigten einen Sprung hier, eine Schliere dort und somit eine ganz eigene Ornamentik. Seit über 20 Jahren töpfert Kaiser seine Unikate in der Steiermark. Und auf die stehen Sammler in aller Welt, stellt er doch in Galerien von London bis Melbourne aus.

Wer Kaisers Kreationen live sehen will, hat dazu zum Beispiel im Wiener Restaurant Mochi die Chance, für das er Geschirr töpferte. Gleich daneben im Café Ansari in der Praterstraße wurden seine handgearbeiteten Kacheln in die Schank eingearbeitet. Kaiser spricht von einer regelrechten Explosion in Sachen Aufträge. Den Ursprung für die Sehnsucht nach handgemachter Keramik sieht Kaiser in den USA, den Grund dafür erklärt er folgendermaßen: "Das Ganze zieht dem Boom des Bio-Essens nach. Man kann das mit dem Benzinpreis vergleichen. Steigt der, schnellt auch irgendwann der Gaspreis in die Höhe."

Anders betrachtet: Legen die Menschen zuerst mehr Wert auf Qualität in Sachen Ernährung, bekommt irgendwann auch das dazugehörige Gefäß einen größeren Stellenwert. Eine weitere nicht unwesentliche Begründung für den Boom bei Getöpfertem ortet der Keramikkünstler in der omnipräsenten virtuellen Welt. "Menschen wollen nicht nur Dinge anschauen, sie möchten etwas angreifen, sie wollen auch Dreckiges. Das sieht man am Erfolg der vielen Töpferkurse, die mittlerweile angeboten werden. In den USA gibt es eine Unmenge an Töpfern", sagt Kaiser, der diese Konkurrenz kaum fürchten muss.

Rinderknochen

Apropos Töpferkurs: Porzellan ist im Prinzip eine Unterart der Keramik. Beide Werkstoffe setzen sich aus anorganischen Materialien zusammen, die sich in eine feste Form brennen lassen. Keramik besteht in erster Linie aus groben Tonerden, die Hauptbestandteile von Porzellan sind Kaolin, Quarz und Feldspat, und es wird außerdem höher gebrannt.

Auch Hedwig Rotter darf sich über den Trend freuen. Sie ist die einzige Designerin in Österreich, die Bone-China herstellt, ein besonders edles Porzellan, dem sie in ihrem Atelier in Wien-Ottakring Formen von Bechern, Tellern, Leuchten, Tassen und anderem verleiht. Der dicke, blaue Ofen in ihrem Atelier erzeugt höllische Temperaturen von über 1200 Grad. Zwei Tage braucht das Ding, um abzukühlen. Bone, also Knochen, steht für die Asche von Rinderknochen, die den anderen Zutaten beigemischt wird.

Rotter bezeichnet das Material als "die Diva unter den Porzellanen". Die Designerin glaubt, der Trend zu handgefertigter Keramik gehe mit dem Wunsch nach Individualisierung einher. "Durch die Globalisierung und Industrialisierung ging viel von kultureller Identität verloren. Ich glaube auch, dass die sogenannte Industrie 4.0 und das Handwerk sehr gut nebeneinander existieren und sich gegenseitig beeinflussen können."

Was Geschirr betrifft, nennt die Keramikkünstlerin die Gastronomie einen Vorreiter. Sie selbst arbeitet gerade an einer Serie für das Restaurant Kiang Wine & Dine. Mit Matthias Kaiser ist sie auch d'accord, wenn sie sagt, "das Bewusstsein für unsere Ernährung hat sich geändert. Dadurch bekam auch Keramik einen anderen Stellenwert."

Gegenstrom zum Digitalen

Und was sagen die Kunsthistoriker zu der Entwicklung? Der Mak-Kustode für Glas und Keramik, Rainald Franz, der vor kurzem die Ausstellung "Firma Goldscheider – Wiener Keramik 1885 bis 1938" eröffnete, sieht den Boom ebenfalls in einem Bedürfnis nach primären Materialien und einer Gegenströmung zur digitalisierten Welt begründet.

In diesem Zusammenhang erwähnt er auch den Möbelbau, wo zusehends archaische Materialien wie Marmor und Kupfer beliebt und auch Einzelanfertigungen wieder stärker im Kommen sind. "Ich war als Kommissär beim European Ceramic Context im dänischen Bornholm, und es war sehr interessant zu sehen, wie groß der Aufschwung auf dem Gebiet der Keramik ist.

Nicht nur die arrivierten Leute zeigten, wo es langgeht, sondern auch Leute aus dem Grafikdesign wandten sich dem Thema Keramik zu. Extrem spannend." In diesem Zusammenhang weiß Franz aber auch von einem Wermutstropfen zu berichten: "Wiener Keramik hatte eine unglaubliche Tradition bis in die 1950er-Jahre. Dass an diese Zeit nicht angeschlossen wird, liegt auch daran, dass Matteo Thun in den 1980er-Jahren der Letzte war, der auf der Angewandten eine Keramikausbildung angeboten hat." In Anbetracht des Glücks, das Scherben derzeit in den Keramikateliers bringen, könnte sich das allerdings rasch ändern.(Michael Hausenblas, RONDO, 14.11.2016)