Das Meer hat sich seinen Weg gebahnt: Dieses Foto wurde mit einer Drone aufgenommen.

Foto: Building with Nature

Jakarta/Wien – Die Ebbe ermöglicht den Einblick. Vom schlammigen Boden ragt ein Dickicht aus verzweigtem Holz empor, die Bäume darüber scheinen auf Stelzen zu stehen. Es sind ihre Wurzeln. Inmitten des Geflechts wuseln Krebse herum. Wirklich einladend mag dieser Wald mit seinem matschigen Untergrund vielleicht nicht wirken, doch er ist ein wahrer Garten Eden mit unzähligen Arten, die hier ein Refugium finden.

Mangroven säumten einst weite Küstenstrecken entlang der tropischen Meere. Sie sind ein Schlüsselökosystem, dessen Wert aber lange ignoriert wurde. Zerstörung war die Folge. Indonesien zum Beispiel hat seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts rund ein Drittel seiner Mangroven verloren.

Ihre Gesamtfläche schrumpfte von 4,5 Millionen auf drei Millionen Hektar. Besonders dramatisch entwickelte sich die Lage auf der Insel Java. Dort waren die Gezeitenwälder schon vor 35 Jahren so gut wie verschwunden, berichtet die Geografin Femke Tonneijck von der Naturschutzorganisation Wetlands International auf Anfrage des STANDARD. Die Bedeutung dieses Verlusts wird meistens unterschätzt, betont die Expertin. "Alle Untersuchungen zeigen, dass gerade Mangroven enorm wichtige Dienste leisten."

Schädliche Aquakulturen

Viele der vormals dichtbewachsenen Areale hatte man auf Java schon zu Zeiten der niederländischen Kolonialherrschaft in Reisfelder umgewandelt. Später wurden zahlreiche Aquakulturanlagen gebaut. Die Zucht von Fischen und Garnelen, Letztere vor allem für den Export, erbrachte zunächst satte Gewinne. Oft jedoch wirtschaftet diese Industrie nicht nachhaltig. Die Verschmutzung nimmt zu, Tierseuchen brechen aus und machen die Teiche unbrauchbar. Erosion trägt den Boden ab. "Die Investoren ziehen dann weiter, während die lokale Bevölkerung mit leeren Händen zurückbleibt", sagt Tonneijck.

Die schlimmste Folge des Mangrovenschwunds ist der fehlende Küstenschutz. Das Meer bekommt freie Bahn. Wellen und Strömungen spülen die über Jahrhunderte hinweg abgelagerten Sedimente fort – nicht selten in einem erschreckend hohen Tempo.

Meer ist vorgedrungen

Femke Tonneijck legt Luftbilder des Dorfes Timbul Sloko an der Nordküste Javas vor. Die Aufnahmen zeigen, wie das Meer dort seit 2003 zum Teil mehr als einen Kilometer weit landeinwärts vorgedrungen ist. Ähnliche Schäden sind auch anderswo auf der dichtbesiedelten Insel zu beobachten. Insgesamt sind an die 30 Millionen Menschen betroffen. "Sehr oft weist man dem Klimawandel dafür die Schuld zu", sagt Tonneijck. Aber diese Erklärung greife deutlich zu kurz.

Die Aquakultur benötigt auch Süßwasser. Es wird aus bis zu 90 Meter tiefen Brunnen an die Oberfläche gepumpt. Das Land sackt dadurch ab, die Flutgefahr nimmt weiter zu.

Dem Meer Einhalt zu gebieten ist gleichwohl nur eine der Leistungen von Mangroven, von denen die Bevölkerung profitiert. Die Gezeitenwälder binden große Mengen Kohlenstoff und liefern auch erstklassiges Bauholz. Manche Sorten davon sind salzwasserresistent. Weniger wertvolles Mangrovenholz wird gern als Brennstoff benutzt. Wildbienen produzieren Honig, und einige der Baumarten haben essbare Früchte.

"Aus den Blättern macht man sogar Chips", erzählt Tonneijck. Vielen wirtschaftlich wichtigen Fisch- und Garnelenarten dienen die überfluteten Wurzelgeflechte als Kinderstuben. Das Ökosystem hat zudem eine starke Reinigungsfunktion. Die Abwässer aus der Aquakultur sind schwer mit Stickstoff- und Phosphorverbindungen belastet. Mangroven nehmen diese auf. Sie wirken also wie natürliche Kläranlagen.

Umdenken in Java

Inzwischen hat auf Java immerhin ein Umdenken eingesetzt. Noch bestehende Waldflächen werden zunehmend unter Schutz gestellt oder nachhaltig bewirtschaftet. Man versucht, Nutzung und Erhalt in Einklang zu bringen (vgl.: Ocean & Coastal Management, Bd. 116, S. 353). Auch Neupflanzungen sind vielerorts im Programm. Meistens jedoch scheitern solche Wiederaufforstungsversuche, wie Femke Tonneijck erklärt. Denn sind die Sedimente einmal fortgeschwemmt, haben die Setzlinge kaum Überlebenschancen.

Ihnen fehlen schlichtweg eine geeignete Wachstumsgrundlage und die darin enthaltenen Nährstoffe. Abgesehen davon werden oft die falschen Baumarten gepflanzt. Insgesamt sind in Indonesien rund 70 verschiedene Mangrovenspezies heimisch. Nur wenige davon eignen sich als Pioniere für die Besiedlung freier Flächen.

Um die Probleme zu umgehen, hat Wetlands International zusammen mit anderen Organisationen und der indonesischen Regierung ein neuartiges Projekt gestartet. Sein Grundsatz lautet "building with nature", Bauen mit der Natur.

Die Idee basiert auf einer jahrhundertealten Technik der Landgewinnung. In niederländischen und norddeutschen Küstengebieten wurden am Rande von Wattflächen ganze Netzwerke aus flachen, durchlässigen Dämmen errichtet. Diese Strukturen fungierten als Sedimentfallen. Mit jeder täglichen Flut wurde etwas Schlick hineingetragen, der sich dann absetzen konnte. Die Schichten wuchsen stetig an, bis sie hoch genug waren, um komplett eingedeicht zu werden.

Erste Bäumchen sprießen

Dieses Prinzip setzen Femke Tonneijck und ihre Kollegen nun auch in einem Testareal an der javanischen Küste um. Die bisherigen Ergebnisse sind überaus positiv. Langgestreckte Wehre aus Holz und Reisig halten reichlich Sedimente zurück, die Wattflächen wachsen wieder an. Das Wasser trägt aber auch Saatgut herein, und die ersten Mangrovenbäumchen sprießen bereits. Gleichzeitig unterstützen die Experten die Kommunen vor Ort bei der Umstellung auf nachhaltige Landbewirtschaftung.

"Man muss natürlich auf beiden Seiten arbeiten", betont Tonneijck abschließend. Ohne sozialökonomische Entwicklung werde der ökologische Wiederaufbau nicht gelingen. (Kurt de Swaaf, 2.11.2016)