Sechs Gefährte, die jeweils nur aus einem Molekül zu maximal 100 Atomen bestehen, treten beim ersten "NanoCar-Race" in Toulouse in wenigen Monaten gegeneinander an. Von links oben im Uhrzeigersinn: Die Nano-Autos von Japan (grün), USA/Österreich (blau, violett), Deutschland (gelb), USA (türkis), Frankreich (pink) und Schweiz (blau).

Modelle: P. Abeilhou CEMES-CNRS, TU Dresden, Ohio University, Rice University, MANA-NIMS, Uni Basel; Montage: Beigelbeck

Wien – Am Start stehen vier kleine Autos. Und "klein" meint hier: im Bereich von Nanometern. Ein Nanometer, das ist etwa ein Haardurchmesser, geteilt durch 80.000. Oder vier aneinandergereihte Siliziumatome. Die Miniaturfahrzeuge bestehen jeweils nur aus einem Molekül. Maximal 100 Atome, großteils Kohlenstoff und Wasserstoff, sind darin so angeordnet, dass sie Fahrgestell, Motoren und bewegliche Räder bilden.

Die Bedingungen auf der Rennstrecke sind optimal für Nano-Autos: Die Strecke liegt in einem Ultrahochvakuum und ist aus Gold gefertigt. Es herrschen minus 268 Grad Celsius. Auf etwa 100 Nanometer Länge – also einem Zehntausendstelmillimeter – müssen zwei Kurven gemeistert werden. Die Zeit drängt: Die Nanopiloten sollen es schaffen, den Parcours in etwa 38 Stunden zu bewältigen. – Willkommen in der Welt der molekularen Maschinen, die mechanische Bewegung im kleinstmöglichen Maßstab umsetzen!

Möglichkeiten aufzeigen

Im Frühling 2017 soll dieses Rennen in Toulouse Wirklichkeit werden, der genaue Termin steht noch nicht fest. Rennleiter ist der Physiker Christian Joachim, der sich am Forschungsinstitut Cemes (Centre d' Élaboration de Matériaux et d'Etudes Structurales) in der französischen Stadt schon seit vielen Jahren mit der Struktur kleinster Materiebausteine beschäftigt. Als er 2013 für ein Wissenschaftsjournal seine Arbeit erklären sollte, kam er auf die Idee, an seinem Institut ein Nano-Autorennen zu veranstalten, um die Möglichkeiten von Mechaniken eines einzelnen Moleküls zu veranschaulichen.

Drei der Pioniere in dem Forschungsfeld molekularer Maschinen, dessen Grundlagen in die 1980er-Jahre zurückreichen, erhielten heuer den Nobelpreis für Chemie: Jean-Pierre Sauvage von der Universität Strasbourg in Frankreich, Fraser Stoddart von der Northwestern University in Evanston, Illinois, und Bernard Feringa von der Universität Groningen in den Niederlanden.

Hochsensible Abtastspitzen

Aus Anfängen mit einfachen Molekülringen, -ketten und -achsen wurden unter ihrer Regie bewegliche Aufzugsmechanismen, dehnbare Strukturen und 2011 Feringas erstes vierrädriges Nano-Auto mit Motor. Weiterentwicklungen können in Zukunft Teil von Sensoren, Energiespeichern oder neuartigen Materialien sein. Irgendwann könnten molekulare Maschinen gezielt Moleküle an ihren Bestimmungsort im Körper des Menschen transportieren oder andere Nanomaschinen konstruieren. Und in noch viel fernerer Zukunft könnten sie die Grundlage einer neuen industriellen Revolution sein, in der jegliche Objekte "bottom-up", Atom für Atom, Molekül für Molekül, zusammengesetzt werden.

Doch zuerst muss einmal das Rennen von Toulouse über die Bühne gehen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür: Das Cemes verfügt über ein Rastertunnelmikroskop mit vier Abtastspitzen. Strukturen in diesem Maßstab sind viel zu klein, um mithilfe von Lichtwellen untersucht zu werden. Die Spitze, die im Rastertunnelmikroskop eine Oberfläche abtastet, nutzt eine angelegte Spannung und den quantenmechanischen Tunneleffekt, der sehr sensibel auf Abstandsveränderungen reagiert. Ursprünglich war das Gerät am Cemes dafür ausgelegt, dass ein Wissenschafter mit vier Spitzen Untersuchungen durchführt. Für das Rennen wurde das System so adaptiert, dass je eine Abtastspitze von einem Computer aus gesteuert werden kann, sagt Joachim im STANDARD-Gespräch. "Jeder der Piloten kann sich vollkommen unabhängig um sein Molekül kümmern."

Maximal 100 Atome

Joachim und sein Team haben sich eine Reihe von Regeln überlegt, um "Tricks" der Rennteams zu verhindern. Die Größenordnung der Moleküle, die zwischen 15 und 100 Atomen liegen soll, ergibt sich aus dem Regelwerk der Natur. "Das ist ein Bereich, in dem noch die Wirkweise der klassischen Physik im Vordergrund steht", erklärt Joachim. Bei kleineren Molekülen würden Quanteneffekte an Bedeutung gewinnen.

Zudem kann die Technik die Rennstrecke nicht ewig auf einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt halten: "Wir wollten ursprünglich Atom für Atom eine Slalomstrecke errichten. Die Moleküle sollten um einige Goldatome herumfahren. Doch der Aufbau würde allein sechs bis zehn Stunden dauern." Übrig blieben die beiden Kurven, die die Nanopiloten "erwischen" müssen. Eine der sechs Forschergruppen, die in Toulouse an den Start gehen, wird von Leonhard Grill geleitet.

Der Physiker an der Universität Graz wird mit seinem amerikanisch-österreichischen Europrix-Team gegen Teams aus Japan, Deutschland, der Schweiz, Frankreich und den USA antreten. Das Molekül, das Grill und Kollegen verwenden, kommt aus den Laboren der texanischen Rice University. "Die Synthese ist extrem aufwendig. Wir reden dabei von Jahren", erklärt Grill. "Zuerst werden Untergruppen entwickelt, die etwa eine Dreh- oder Rollbewegung zulassen, die man dann zu einer Reaktion zwingt, um sie zusammenzuknüpfen."

Die Entwicklung von molekularen Maschinen sieht Grill nicht zwingend als ein Feld der Bionik, also als ein Nachahmen der Natur. "Natürlich wird die Forschung zu einem gewissen Grad von der Natur inspiriert. Das grundlegende Konzept und die veränderliche Form der Myosin-Moleküle, die die Muskelkontraktion zulässt, ist ein Beispiel", sagt der Wissenschafter. "Andererseits ist das Prinzip der Maschine – in unserem Fall eines Autos – etwas sehr Menschengemachtes. Es hat Räder, Drehachsen und einen Motor. Das ist ein völlig anderer Ansatz."

Elektronen-Antrieb

Auch die Rennsituation selbst hat mit der Natur – und auch mit den Vorbildern in der Formel 1 – nicht mehr sehr viel zu tun. Eine Herausforderung sei bereits, die Moleküle unbeschadet auf die Oberfläche zu bekommen, sagt Grill. Die Kühlung ist notwendig, damit die Gefährte nicht von allein losbrausen: "Das Molekül hätte bei normalen Temperaturen genug thermische Energie zur Verfügung, um sich von selbst zu bewegen, allerdings in beliebige Richtung", sagt Grill.

In der Rennsituation dient das Rastertunnelmikroskop nicht nur der Bildgebung, sondern es versorgt die Rennwägen auch mit "Sprit": Ein Spannungsimpuls gibt Elektronen an das Molekül ab, das die Energie dann in Bewegung umsetzt. Punkto Antrieb hebt Grill die Erfindung von Nobelpreisträger Feringa hervor, die auch im Rennwagen seines Teams zur Anwendung kommt: "Ein molekularer Motor, der eine Rotation erzeugt, die Bewegung nur in eine Richtung zulässt, ist aus thermodynamischer Sicht bahnbrechend." Nicht alle Teams bringen einen derart komplexen Antrieb mit. Dennoch: Das Gefährt mit der Mikroskopspitze einfach anzustupsen soll nicht erlaubt sein.

Laserantrieb am Horizont

Als einen nächsten Schritt in der Evolution der Molekülmaschinen plant der Physiker, die Moleküle auf Oberflächen mit Licht anzutreiben, was auch der grundlegende Mechanismus der Feringa-Motoren ist. "Laser könnten mit sehr hoher Genauigkeit viele Moleküle gleichzeitig mit Energie versorgen. Es könnte zudem verschiedene funktionale Gruppen geben, die durch unterschiedliche Wellenlängen stimuliert werden." Das lasergesteuerte Zusammenspiel der Nanomaschinen würde ein ganz neues Feld von Anwendungen möglich machen.

Zuerst müssen Grill und sein Team aber die ein Zehntausendstelmillimeter lange Goldbahn in Toulouse bestehen. Grill glaubt, gute Chancen zu haben: "Wir haben für das Rennen ein sehr schnelles Modell ausgewählt, das wir gut kontrollieren können." (Alois Pumhösel, 6.11.2016)