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Vom Leben der Bakterien im Darm. Forscher fragen heute: Sind die beobachteten Unterschiede im Mikrobiom die Ursache oder die Folge von Erkrankungen?

Illustr.: Picturedesk/Fuller

Rob Knight: "Es geht darum, das Mikrobiom gezielt positiv zu beeinflussen – mit ballaststoffreicher Kost oder Sport."

Foto: Casey A. Cass / University of Colorado

Berlin – Wir leben nicht allein. Wir teilen unseren Körper mit Billionen Bakterien, die Mundhöhle, Haut und Darm besiedeln. Rund eineinhalb Kilogramm wiegt unser sogenanntes Mikrobiom, also die Gesamtheit aller auf und in uns lebenden Bakterien. Die Bedeutung der Winzlinge wurde lange Zeit unterschätzt. Neuere Forschung zeigt, dass unsere Mitbewohner weit mehr Fäden ziehen als gedacht. Sie beeinflussen unsere Gesundheit, unser Gewicht und sogar unser Verhalten. Rob Knight, einer der Pioniere der Mikrobiomforschung, behauptet gar: "Unsere Mikroben machen uns zu dem, was wir sind." Knight forscht an der Universität von San Diego in Kalifornien und ist an mehreren großen Mikrobiomprojekten beteiligt.

STANDARD: Sie sammeln Bakterienproben aus dem Darm, aus der Spucke von Komodowaranen, von Computertastaturen – was ist Ihr Ziel dabei?

Knight: Mikroben sind allgegenwärtig. Indem wir sie studieren, erkennen wir Verbindungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt, von denen wir nie ahnten, dass sie überhaupt existieren. Indem wir immer bessere Technologien entwickeln, um Bakterien zu identifizieren, unabhängig davon, wo sie leben, können wir in diese bisher unsichtbare Welt sehen.

STANDARD: In einem Teelöffel Erde leben Millionen Bakterien. Wie identifizieren Sie sie?

Knight: Viele Bakterien lassen sich im Labor bislang nicht züchten, die meisten Keime in unserem Darm zum Beispiel. Weswegen wir indirekte Methoden verwenden, um sie zu identifizieren. Wir nutzen dazu einen Teil ihres Erbguts, die sogenannte 16S ribosomale RNA. Der Abschnitt kommt in allen Bakterien vor, unterscheidet sich aber geringfügig von Art zu Art. Wir isolieren die DNA aus der Probe, sequenzieren sie und visualisieren und vergleichen die Daten mit entsprechender Software. Die technischen Fortschritte der vergangenen zehn Jahre waren enorm. Was früher Jahre brauchte, geschieht heute in Tagen.

STANDARD: Was war Ihre bislang aufregendste Entdeckung?

Knight: Die Entdeckung, dass es eine Verbindung gibt zwischen Fettleibigkeit und Darmbakterien. Um das menschliche Mikrobiom zu erforschen, nutzen wir Mäuse, die unter keimfreien Bedingungen leben und kein eigenes Mikrobiom besitzen. Überträgt man diesen keimfreien, normalgewichtigen Mäusen die Darmbakterien übergewichtiger Mäuse, nehmen sie zu. Bislang ist es noch nicht gelungen, Mäuse mithilfe von Darmbakterien abnehmen zu lassen, aber das ist langfristig das Ziel.

STANDARD: Es gibt auch Hinweise darauf, dass Darmbakterien das Gehirn beeinflussen. Wie kann das sein?

Knight: Diese Verbindung hätte tatsächlich niemand erwartet. Erste Hinweise stammen wieder aus Mausversuchen: Überträgt man schüchternen Mäusen die Darmbakterien von mutigen Artgenossen, werden die schüchternen ebenfalls mutiger. Auch Ängstlichkeit lässt sich auf diese Weise übertragen. Darmbakterien verdauen Nahrung, bauen Medikamente ab und produzieren Hormone. Denkbar ist, dass die entstehenden Stoffwechselprodukte über die Blutbahn ins Gehirn gelangen, wo sie die Konzentration bestimmter Neurotransmitter wie Serotonin beeinflussen, was Auswirkungen auf unser Verhalten hat.

STANDARD: Inwieweit sind die Ergebnisse aus Mäuseversuchen überhaupt auf den Menschen übertragbar?

Knight: Sie sind nicht eins zu eins übertragbar. Aber ein Mausmodell demonstriert eine biologische Möglichkeit.

STANDARD: Wenn man Ihnen die Mikrobiomdaten eines beliebigen Menschen vorlegt – was können Sie daraus erkennen?

Knight: Ich erkenne, ob der Mensch an bestimmten Krankheiten leidet, etwa an Diabetes. Ich kann mit 90-prozentiger Genauigkeit sagen, ob die Person übergewichtig ist oder schlank, und erkenne, ob sie sich vegetarisch ernährt oder lieber Fleisch isst. Grundsätzlich ist die Bakterienvielfalt beim Menschen riesig. Bis zu 1000 Bakterienarten leben im menschlichen Darm. Während wir 99,9 Prozent unseres Genoms mit unserem Nachbarn teilen, können es nur zehn Prozent beim Mikrobiom sein. Noch wissen wir aber nicht, was die Unterschiede bedeuten.

STANDARD: Ihre Tochter wurde durch einen Notkaiserschnitt geboren, und Sie haben sie nachfolgend mit den Vaginalbakterien Ihrer Partnerin bestrichen. Warum?

Knight: Evolutionsbiologisch betrachtet, ist das sinnvoll: Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts wurde jedes Baby durch den Geburtskanal geboren und dabei zwangsläufig mit den Vaginalbakterien der Mutter benetzt. Babys, die durch einen Kaiserschnitt geboren werden, kommen stattdessen mit den Hautbakterien der Mutter in Kontakt. Kaiserschnittbabys haben ein leicht höheres Risiko für Asthma und Übergewicht – ob der unterschiedliche mikrobielle Start dafür verantwortlich ist, wissen wir noch nicht.

STANDARD: Kann man sein Mikrobiom auch als Erwachsener beeinflussen?

Knight: Wir tun es täglich. Indem wir Fleisch essen oder Salat, Alkohol trinken, Medikamente einnehmen. Es geht darum, es gezielt positiv zu beeinflussen. Kurz gesagt, haben eine ballaststoff- und pflanzenreiche Kost, Sport und Aufenthalte im Freien einen positiven Effekt, Zucker, rotes Fleisch und Antibiotika einen gegenteiligen Effekt. Generell gilt: Eine geringe Vielfalt ist schlecht und mit vielen Krankheiten assoziiert. Studien an Ureinwohnern wie den Hadza und den Yanomami haben gezeigt, dass unser Mikrobiom erheblich an Vielfalt verloren hat.

STANDARD: Was sind die aktuellen Herausforderungen in der Mikrobiomforschung?

Knight: Oft stellt sich das Problem der Kausalität: Sind die beobachteten Unterschiede im Mikrobiom die Ursache oder die Folge einer Erkrankung? Außerdem entwickeln sich die Methoden rasend schnell: Wir produzieren ungeheure Mengen Daten – auf ein menschliches Gen kommen 100 bakterielle Gene – und müssen Software entwickeln, um die Daten zu interpretieren und sie auch verbraucherfreundlich zu gestalten. Eines Tages sollen schließlich Ärzte und Patienten sie so einfach nutzen können wie etwa ein GPS.

STANDARD: Was können wir von der Mikrobiomforschung in den nächsten zehn Jahren erwarten?

Knight: Das Mikrobiom wird in Verbindung gebracht werden mit weiteren chronischen Krankheiten, und wir werden beginnen zu verstehen, wie Bakterien diese Krankheiten hervorrufen beziehungsweise wie sie unsere Gesundheit aufrechterhalten. Es wird weniger um Korrelationen gehen als vielmehr darum, konkret zu erkennen, was Bakterien verursachen. Mit zunehmendem Wissen könnten wir es schaffen, unser Mikrobiom so zu beeinflussen, dass es uns gesund erhält oder heilt. (Juliette Irmer, 9.11.2016)