Zwischen Hoffnung und Realität: Mit Krebspatienten zu sprechen erfordert viel Einfühlungsvermögen, Schema F funktioniert nicht.

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Elisabeth Andritsch ist Psychoonkologin und Mitglied der Occursus-Jury.

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STANDARD: Wie ist es aktuell um die Kommunikation mit Krebspatienten bestellt?

Andritsch: Prinzipiell ist bei den Onkologen ein sehr großes Bemühen für eine gelungene Kommunikation mit den betroffenen Patienten zu bemerken. Die Arzt-Patient-Kommunikation hat ja auch in der Behandlung einen elementaren Stellenwert für die Bewältigung und die Lebensqualität unserer Patienten. Allgemein hat sich die Kommunikation in den letzten Jahren sehr verändert. Die Informations- und Aufklärungsbedürfnisse bei den Patienten sind größer geworden. Darüber hinaus werden von den Betroffenen mittlerweile viele Informationen über Soziale Medien, Zeitungen, Fernsehen oder Radio gesammelt.

STANDARD: Wo gibt es noch Baustellen?

Andritsch: Für Ärzte gibt es viele Barrieren auf dem Weg zur Kommunikation mit den Patienten. Speziell im onkologischen Bereich müssen oft für den Patienten belastende Nachrichten überbracht werden, etwa bei der Diagnosestellung oder wenn sich ein Befund verschlechtert hat. Es ist schwer, einem Patienten mitteilen zu müssen, dass Therapien nicht erfolgreich waren und weitere Therapien den Krebs zu besiegen, schwer möglich sind.

Ärzte sagen sehr oft, dass sie zu wenig Zeit für die Gespräche mit ihren Patienten haben. Auf der anderen Seite gibt es aber Studien, die zeigen, dass nicht die Zeit alleine ausschlaggebend für die Zufriedenheit auf beiden Seiten ist, sondern die Haltung des Arztes und wie er auf den Patienten eingeht. Auch die räumlichen Rahmenbedingungen sowie die Möglichkeit die Familie einzubeziehen, sind wichtige Aspekte einer guten Kommunikation. Ein weiterer wichtiger Aspekt gerade in der Onkologie ist, dem Patienten gegenüber ehrlich zu sein und gleichzeitig Hoffnung und Optimismus zu vermitteln.

STANDARD: Welche Probleme gibt es noch?

Andritsch: Die Arzt-Patienten-Kommunikation hat – was die Leistungen und das Ansehen betrifft – leider immer noch einen unterschätzten Stellenwert. Jeder hält das für selbstverständlich, die Kommunikation wird aber in den Leistungen nach wie vor zu wenig anerkannt. Den höchsten Lohn bekommt ein Arzt aber ohnehin von den Patienten zurück, wenn er spürt, dass er für den Patienten etwas Gutes bewegen konnte.

STANDARD: Gibt es auch auf der Seite der Patienten Barrieren?

Andritsch: Da gibt es natürlich vor allem die Angst, die ein Patient hat, vor dem was auf ihn zukommt. Manche Betroffene haben familiäre Vorerfahrungen mit einer Krebserkrankung, dies kann etwa die Compliance verringern. Es gibt aber auch subjektive Krankheitstheorien, die viele Patienten haben – das sind ganz klare Ideen, warum sie die Krankheit bekommen haben. Diese Menschen möchten damit ernst genommen werden und wollen dadurch Kontrolle über ihre Situation erlangen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Patienten sich in einer Art Trance im Rahmen einer Diagnosemitteilung erleben, wenn ihnen der Arzt die Information gibt, dass sie Krebs haben

STANDARD: Welche Unterschiede gibt es im Informationsbedürfnis von Patienten?

Andritsch: Es gibt Menschen, die wollen ganz detaillierte Informationen haben, und es gibt andere, die wollen sich weniger mit den vielen Fakten ihrer Krankheit belasten und so wenig wie möglich darüber hören. Der Arzt muss dann erkennen, was für ein Mensch ihm gegenübersitzt, was dieser genau wissen will und wie er den Patienten motivieren kann.

STANDARD: Was sind die Vorteile einer gelungenen Kommunikation?

Andritsch: Wenn Kommunikation auf menschlicher und partnerschaftlicher Ebene passiert, erhöht dies die Compliance bei den Patienten und die Zufriedenheit. Auch der Gesundheitszustand kann durch gute Kommunikation verbessert werden. Zu dem Thema gibt es viele wissenschaftliche Studien. Die Art der Kommunikation beeinflusst außerdem, ob ein Patient ein Leben in Hoffnung und mit guter Lebensqualität verbringt oder in ständiger Verzweiflung. Auch Ängste und Depressionen können reduziert werden. Patienten können sich wesentlich besser an Inhalte des Gesprächs erinnern, wenn auch die emotionale Ebene in einem Arzt-Patienten-Gespräch berührt wird. Des Weiteren kann dies auch dazu führen, dass ein Patient selbst an seiner Gesundung viel besser mitwirkt.

STANDARD: Bringt das auch dem Arzt was?

Andritsch: Auf der Arztseite führt gute Kommunikation zu höherer Zufriedenheit im Beruf, vor allem wenn Ärzte das Gefühl haben, dem Patienten auf menschlicher Ebene zu begegnen und auf die wesentlichen Bedürfnisse eingehen zu können. Dieses Erfolgsgefühl kann auch Burn-out verhindern, denn zur Vermeidung von Burn-out ist Spiel- beziehungsweise Gestaltungsraum im Beruf ganz wesentlich. Und den hat man, wenn man Patienten in ihrer Ganzheit wahrnimmt.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Andritsch: Dass die Kommunikation mit den Patienten noch tiefer in der Ausbildung von Ärzten verankert wird, das Thema sollte obligat sein. Ein Onkologe führt in seiner Laufbahn ungefähr 150.000 Gespräche über Befunde, da sollte es auch nach dem Studium weit mehr Weiter- und Fortbildungsprogramme geben. Patienten sollten noch mehr als "Experten in ihrer eigenen Sache" wahrgenommen werden. Außerdem sind Initiativen, wie sie mit dem Occursus gefördert werden, inspirierend, um Ärzte, anderen Professionen und auch Laien dazu zu motivieren, ihre Bemühungen und Projekte zu demonstrieren. (Bernadette Redl, 17.11.2016)