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Songs von Leonard Cohen wie "Suzanne", "So Long, Marianne", "First We Take Manhattan (Then we take Berlin)", "Hallelujah" und "Chelsea Hotel #2" gelten als Klassiker.

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Ein Monolith unter den Singer-Songwritern dieser Welt ist nicht mehr. Leonard Cohen ist in der Nacht auf Freitag im Alter von 82 Jahren gestorben.

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Wien – Er sei bereit zu gehen, richtet er dem Herrgott auf seinem letzten Album schon im ersten Lied aus. Kein Monat ist das her. Nun ist Leonard Cohen gestorben. Der große kanadische Songwriter wurde 82 Jahre alt.

Auf dem Cover seines Debütalbums sah Leonard Cohen aus wie Al Pacino in dem Mafiaepos Der Pate. Aber das wusste damals noch niemand. Man schrieb das Jahr 1967, und Der Pate kam erst fünf Jahre später in die Kinos. Als Leonard Cohen The Songs of Leonard Cohen veröffentlichte, betrat einer der originellsten Charaktere die Welt der Popmusik. Das Folkrevival war in voller Fahrt, und Cohen spielte Folk. Doch nicht aus trendsportlichen Gründen.

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Der damals 33-Jährige entsprach weder den Vorgaben des zeitgeistig politischen noch dem traditionellen Folk. Er trug dunkle Anzüge, ein Buch lugte aus der Sakkotasche, und er strahlte eine Ruhe aus wie der Pate beim Hinterzimmertreffen mit verfeindeten Familienoberhäuptern. Dieses Image schlug sich in einer zurückhaltenden Instrumentierung nieder. Weniger ist mehr, heißt es, und nur wenige konnten aus wenig so viel machen wie Cohen. Selbst wenn er ein Lied ins Cinemascope trug, ins Epische, gehorchte es noch den Regeln seiner strengen Ökonomie.

Der am 21. September 1934 in einem Vorort von Montreal geborene Leonard Norman Cohen gelangte über den Umweg der Literatur in die Welt des Pop. Dort wuchs er zu einer Instanz, zu einer monolithischen Erscheinung, deren Bedeutung nur knapp hinter jener von Bob Dylan rangierte.

Erweckung mit Garzía Lorca

Der Popzirkus war ihm eigentlich zu banal. Der aus der kanadischen Mittelklasse stammende Cohen wuchs in der Zeit vor dem Rock-’n’-Roll-Urknall auf. Sein Erweckungserlebnis trat nicht in Gestalt des Elvis Presley in sein Leben, sondern mit der Entdeckung des Werks des spanischen Schriftstellers Federico García Lorca. Nach einer Zeile aus einem dessen Gedichte, sagte Cohen, war er für das bürgerliche Leben als Erbe des Textilgeschäfts seines Vaters für immer verloren.

Während sich die Weltjugend vom Virus des Rock-’n’-Roll willig infizieren ließ, veröffentlichte Cohen 1956 seinen ersten Gedichtband. In den nächsten zehn Jahren folgten drei weitere, dazu zwei Romane. Doch der finanzielle Erfolg stellte sich nicht ein, Cohen lebte weiter vom Nachlass seines Vaters.

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Denkt man an Cohen, denkt man an eine Stimme. An einen Bariton, der im Laufe der Jahre tiefer und tiefer in den Keller stieg, zum Bass wurde. Als er einmal nach längerer Karrierepause auf seine Stimme angesprochen wurde, sagte er, sie wäre nun um 100.000 Zigaretten tiefer als beim letzten Album. Dann lächelte er dieses milde Patenlächeln und nahm einen tiefen Zug.

Cohens Stimme war die halbe Magie seiner Kunst, den Rest verwendete er auf die Geschichten, die er erzählte. Daraus schuf er einen Stil, seinen Stil. Und niemand hat je ernsthaft versucht, ihn zu kopieren, wenngleich sein Einfluss auf nachfolgende Generationen sich vielfach manifestierte. Allein der Song Hallelujah von seinem 1984 erschienenen Album Various Positions wurde hundertfach gecovert.

Aus der kulturellen Isolation der englischsprachigen jüdischen Minderheit Montreals stammend, entdeckte er als junger Mann weltliche Versuchungen, wie sie Philip Roth literarisch festhielt. Neben der Literatur war es die Countrymusic, die ihn prägte. Die präzisen Songs eines Hank Williams zum Beispiel. Daneben lauschte er der Kunst des Ray Charles und den Chansons eines Jacques Brel.

Cohen thematisierte in seinen Liedern Beziehungen und Einsamkeit – oft autobiografisch gefärbt unter dem Einfluss seiner Depressionen. Er sang über Sexualität und Spiritualität, über elementare Ängste und Seelenpein. Er packte diese Themen in drei, vier Minuten lang dauernde Songs und würzte sie mit Zweifeln. Nur die Anmaßung haut ihre Texte in Stein. Nicht Cohen, er wusste, dass die Poesie vom Leben jederzeit über den Haufen geworfen werden kann.

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So entstanden Klassiker wie Songs from a Room (1969) das mattschwarze Songs of Love and Hate (1971), erste Meisterwerke einer Karriere, die sich entlang des Mainstreams über 50 Jahre entwickelte und hielt. Es folgten weitere Großtaten wie das umstrittene, 1977 von Phil Spector unter Zuhilfenahme einer Knarre produzierte Death Of A Ladies’ Man, das von Synthesizern dominierte I’m Your Man (1988) oder Ten New Songs (2001).

Sinnsuche im LSD

Seine Suche nach dem Sinn des Daseins, einer alltagstauglichen spirituellen Kraft, währte ein Leben lang. Cohen, ein Sir mit Hut und Humor, meinte, zwar reiche ihm das Judentum als Religion vollkommen, das hielt ihn jedoch nicht davon ab, andere Schulen zu besuchen. Bis zum LSD habe er überall sein Glück versucht.

In den 1990ern ließ sich Cohen zum buddhistischen Mönch ausbilden, kehrte dem Showbusiness den Rücken. Während er im Kloster war, veruntreute seine Managerin seine Altersvorsorge und zwang ihn zu einer späten zweiten Karriere. Dieses Ungemach bescherte der Welt Cohens Wiederkehr. In den Nullerjahren tourte er wieder, hierzulande konnte man den Meister mehrmals erleben, und seine Konzerte galten den Fans als großzügig bemessene Weihestunden. Und er veröffentlichte neue Alben. Auf Old Ideas (2012) folgte Popular Problems (2014) und gerade erst im Oktober das finale, 14. Studioalbum You Want It Darker.

Klarheit und Weisheit

In Popular Problems ließ er sich vom Publikum in die Karten schauen. "Slow is in my blood", offenbarte er als Grundstimmung seiner Kunst. Als wäre das nicht aufgefallen. Damals war er längst wie ein alter Freund, einer, der nie enttäuschte, dessen Geschichten nie banal erschienen. Die Klarheit seiner Kunst und ihr beseelter Vortrag verströmten eine Weisheit, ohne sie seinem Publikum wie ein Missionar nachzutragen. Leonard Cohen macht seinem Publikum bloß ein Angebot. Und davon waren viele sehr überzeugend. Ein schlechtes Album wird man im Nachlass dieses Jahrhundertkünstlers vergeblich suchen. (Karl Fluch, 11.11.2016)