Stein des Anstoßes für eine Diskussion akademischer Ehrungen: Konrad Lorenz, hier mit Hakenkreuzanstecknadel (vermutlich 1940).

Geheimes Staatsarchiv Berlin

Die Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse wurde erst ein Mal revidiert: NS-Arzt Heinrich Gross musste den Orden 2003 zurückgeben.

APA

Wien – Als die Uni Salzburg vor knapp einem Jahr beschloss, dem Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz das 1983 verliehene Ehrendoktorat posthum abzuerkennen, war der mediale Wirbel groß. Von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bis zur "Kronen Zeitung" verurteilten die meisten Medien die Entscheidung, auch im "Standard" wurde zumindest die inkonsistente Begründung der Aberkennung kritisiert.

Zur Erinnerung: Lorenz war vorgeworfen worden, sich das Ehrendoktorat "erschlichen" zu haben, weil "die aktive Beteiligung an verbrecherischen Handlungen oder die aktive Mitgestaltung oder Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie verschwiegen wurde". Bei der Begründung stützte man sich zum einen auf sein Parteieintrittsgesuch aus dem Jahr 1938, das erst Ende 2000 bekannt wurde, zum anderen auf Zitate aus einer Arbeit, die Lorenz 1940 veröffentlichte.

Altbekannte Zitate

An der Aberkennung ist einiges problematisch: Wieso sollte sich der Nobelpreisträger und damals neunfache Ehrendoktor einen weiteren Dr. h. c. erschleichen wollen? Dann war vieles an Lorenz' Parteieintrittsgesuch, auf das sich das neue Gutachten stützte, schlicht gelogen: Lorenz machte sich 1938 zu einem größeren Nazi, als er eigentlich war. Und schließlich waren jene Passagen, die als Aberkennungsgrund übrig blieben, spätestens seit den frühen 1970er-Jahren bekannt und sogar in den Zeitschriften Profil und Forum abgedruckt worden.

Der Aberkennungsbeschluss der Uni Salzburg ging prompt nach hinten los. Denn anstatt die eigene Nachlässigkeit bei der Vergabe der Ehrung selbstkritisch aufzuarbeiten, schob man die Schuld Lorenz in die Schuhe, mit dessen Namen man sich 32 Jahre zuvor noch geschmückt hatte und der sich nicht mehr wehren konnte. Der Akt politischer Korrektheit bekam den schlechten Beigeschmack von politischem Opportunismus.

Weitaus weniger Wirbel verursachten zwei weitere Streichungen von akademischen Ehrungen, die der akademische Senat der Uni Salzburg beschloss: 2014 verlor der Zoologe Eduard Paul Tratz, unter anderem SS-Hauptsturmführer und Träger des SS-Totenkopfrings, seinen Dr. h. c. Gleichzeitig mit Lorenz entzog man auch dem deutschen Juristen Wolfgang Hefermehl, einem SS-Obersturmführer, der in seinen Schriften aktiv NS-Ideologie verbreitete, das 1983 zeitgleich mit Lorenz verliehene Ehrendoktorat.

Später Diskussionsbedarf

Diese drei umstrittenen Streichungen sind zwar auf Wikipedia registriert, auf den online abrufbaren Ehrenlisten der Uni selbst war bis zum Erscheinungstag dieses Texts nur jene von Tratz vermerkt. (Mittlerweile ist diese Liste aktualisiert, die andere ist verschwunden, Anm. der Red.) Da in der Frage allem Anschein nach Diskussionsbedarf herrscht, haben die Historiker Alexander Pinwinkler (Uni Salzburg) und Johannes Koll (WU Wien) an der Uni Salzburg eine Tagung organisiert, bei der am Freitag und Samstag über fragwürdige akademische Ehrungen und den Umgang damit diskutiert wird.

Zu diskutieren gibt es bei der Tagung eine ganze Menge: So etwa haben sich zwei Mitarbeiter der Uni Salzburg im "Standard" mit einigem Recht gefragt, ob bei Anwendung der strengen neuen Satzungen nicht auch der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr oder Herbert von Karajan, die beide NS-belastet waren, ihre ehrenhalber verliehenen Doktortitel konsequenterweise verlieren müssten.

An anderen österreichischen Unis steht man allem Anschein nach zu den vergebenen Ehrungen (auch für Konrad Lorenz). Eine historische Ausnahme war nur jener Dr. h. c., den die Uni Wien 1965 dem deutschen Juristen Ernst Forsthoff verleihen wollte, einem Ex-NSDAP-Mitglied und Autor des Buches "Der totale Staat" (1933). Nach heftigen, auch parlamentarischen Diskussionen drohte der damalige Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät bei Nichtverleihung (!) mit Amtsniederlegung. Die Verleihung 1965 scheiterte, womöglich wurde sie aber laut Auskunft von Katharina Kniefacz Jahre später nachgeholt.

Die ersten Ehrensenatoren der Uni WIen

Im Fall des vom Nationalsozialismus geprägten Dichters Josef Weinheber wiederum, der 1942 mit viel Nazi-Pomp ebenfalls das Ehrendoktorat der Uni Wien erhalten hatte, war nach Kriegsende für die damaligen Univerantwortlichen keine Rücknahme nötig, denn Weinheber hatte sich beim Einmarsch der Roten Armee das Leben genommen.

Sehr wohl zurückgenommen wurden im Jahr 1945 aber die Verleihungen des Titels "Ehrensenator" an sechs Nazi-Professoren, die 1941 mit der Ehrung dafür entschädigt wurden, dass man sie im "Ständestaat" frühpensioniert hatte. Dazu eine Fußnote: Erster Ehrensenator der Uni Wien nach 1945 wurde ausgerechnet Richard Meister, der sich seit Mitte der 1920er-Jahre auch als antisemitischer Unipolitiker "verdient" gemacht und mit allen sechs entehrten Ex-NS-Professoren engen Kontakt gehabt hatte.

Erloschene Mitgliedschaften

Mit Ausnahme der Uni Salzburg scheint an österreichischen Hochschulen die Rechtsmeinung vorzuherrschen, dass mit dem Tod der geehrten Person auch die Ehrung erlischt. Das gilt auch für die Mitgliedschaften an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die in der Nachkriegszeit zu einem richtiggehenden Auffanglager für "Ehemalige" wurde: Wenngleich etliche Professoren nach 1945 wegen NS-Verstrickungen ihre Professur verloren hatten, wurden alle Belasteten früher oder später wieder ÖAW-Mitglieder. Dazu zählten im Übrigen auch alle noch lebenden Exehrensenatoren der Uni Wien, was auch daran lag, dass Richard Meister ab 1945 Vizepräsident und ab 1951 Präsident der ÖAW war.

Unter seiner Präsidentschaft, die bis 1963 dauerte, wurden auch einige Forscher, die heute höchst umstritten sind, mit der ÖAW-Mitgliedschaft geehrt: So etwa wählte man 1959 den deutschen Humangenetiker Otmar von Verschuer zum korrespondierenden Mitglied im Ausland. Verschuer war vor 1945 einer der führenden Rassenhygieniker Deutschlands gewesen und in engem Kontakt zu seinem Assistenten Josef Mengele gestanden, dem berüchtigten Lagerarzt von Auschwitz.

Fragwürdige Ehrenkreuze

Neben der ÖAW und den Unis vergibt auch der Bundespräsident Ehrungen für Wissenschafter wie das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Bei dieser Auszeichnung kam es 2003 zum bisher einmaligen Fall der Aberkennung und zuvor zu einer nötigen Umformulierung des Gesetzestexts. Betroffen war der Mediziner Heinrich Gross, dem die Auszeichnung 1975 von der damaligen Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg überreicht worden war.

Das SPÖ-Mitglied Gross war, wie sich teilweise erst später herausstellte, in der NS-Zeit an der Ermordung hunderter Kinder beteiligt gewesen. Der Mediziner, der 2003 noch lebte, ist der bisher einzige Fall einer Ehrenzeichenaberkennung, bestätigt Heinz Hafner, Leiter der Österreichischen Ehrenzeichenkanzlei. Dort geht man nach herrschender Lehre davon aus, dass Tote keine Auszeichnungen "besitzen" können. Der Gesetzeswortlaut würde freilich auch eine andere Auslegung zulassen, so Hafner.

Historisches brisantes Beweismaterial

In der recht langen Liste der Träger der Ehrenkreuze und Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (mit oder ohne I. Klasse) seit 1955 gibt es etliche mit politisch fragwürdiger Vergangenheit. Dazu zählen – um nur zwei Namen für viele zu nennen – der NS-Gerichtspsychiater Anton Werkgartner oder Fritz Knoll, der 1938 als NS-Rektor der Uni Wien die größte politische und rassistische Vertreibung von Uniangehörigen administrierte, die je an einer Hochschule durchgeführt wurde. Deren Vergangenheit hätte jedenfalls an der Uni Salzburg ausgereicht, das Ehrendoktorat zu verlieren.

Vermutlich aber ist es in den meisten dieser Fälle tatsächlich besser, posthum keine Aberkennungen mehr zu forcieren. Stattdessen sollte man diese verfehlten Ehrungen aber als Zeitzeugnisse analysieren und thematisieren: als Beweismaterial für die wenig nachhaltige Entnazifizierung im akademischen Milieu und als Hinweise auf die Existenz rechter Wissenschafter- und Elitenetzwerke, die sich aus der Zwischenkriegszeit und dem Nationalsozialismus erhalten haben und bis weit in die Zweite Republik hinein unheilvoll nachwirkten. (Klaus Taschwer, 17.11.2016)