Der kubanische Journalist Amehd beim Gespräch mit dem STANDARD.

Foto: standard/Bert Eder

Amehd, mit vollem Namen Remedios Gonzalez Norberto Amehd, schüttelt den Kopf, wenn man ihm eine Frage zu Castros Tod stellt. Er lehnt sich im Stuhl zurück und beginnt mit seiner legeren Stimme zu erzählen. Er glaube nicht, dass sich etwas radikal ändern wird. Fidel Castro sei so lange im Hintergrund gewesen, dass er zu einer bloßen Ikone geworden sei. "Neben Che-Guevara-T-Shirts werden in den Touristenläden jetzt auch die mit dem Bild Fidel Castros zu finden sein. Viel mehr nicht", meint er. "Das Gesicht der kubanischen Revolution ist das eines verdorbenen Kürbisses – das war aber von Anfang an so."

Studienabbruch wegen Diplomarbeitsthemas

Ende September 2014 musste Amehd fliehen. "In Kuba gibt es das 'social dangerousness law'. Auf Basis dieses Gesetzes können die Behörden eine bis zu vier Jahre lange Haftstrafe verhängen – ohne dass man ein Verbrechen begangen hat, nur als eine Art Prävention." Auf die Frage, was genau der Grund bei ihm war, zählt er mehrere Punkte auf. Bereits in der Schule sei er durch seine Kommentare aufgefallen und war daher im Verhaltensregister als problematisch vermerkt. Je mehr jemand gegen das kommunistische System und seine Regeln denke, umso intensiver nehme sich die lokale Polizei seiner an.

Als Amehd sein Journalismusstudium aufnahm, bekam er ernstere Probleme. Seine Seminararbeiten seien mehrmals als systemwidrig und konterrevolutionär eingestuft worden. Als der 32-Jährige sein Diplomthema über Sozialismus als ein idealistisches und nicht funktionsfähiges System einreichte, fand er keinen Betreuer. Er musste sein nahezu abgeschlossenes Studium abbrechen und suchte nach Arbeit. Währen er als Grafikdesigner im lokalen Kunstzentrum arbeitete, wurde ihm vorgeworfen, er diene nicht dem Staat und sei daher faul, was noch einen weiteren Minuspunkt in Amehds Register ausmachte. Als er sich dann für andere Jobs bewarb, wurde sein Hintergrund durchleuchtet. Da fingen die Polizeibesuche an.

Visafrei nach Russland, Weißrussland oder Serbien

Lokale Polizisten waren mehrmals bei ihm und "scherzten" anfangs darüber, was in kubanischen Gefängnissen alles geschieht. Als sie ihn das letzte Mal besuchten, gab es jedoch keine Witze mehr. Es war eine erste Warnung vor der Verhaftung. Amehd buchte einen Flug nach Moskau. "In Russland, Weißrussland, Serbien und Montenegro haben Kubaner Anspruch auf ein freies Visum", erklärt er. Von Moskau flog er nach Serbien, wurde jedoch aufgehalten und wieder nach Sheremetyevo geschickt, wo er am Flughafen in einem winzigen Zimmer gemeinsam mit Drogenhändlern, unter schlimmen hygienischen Bedingungen kontrolliert, verhört und schließlich nach Kuba zurückgeschickt wurde. Dort warteten zwei Polizeibeamte bereits auf ihn. Er wurde verhaftet.

Von Havanna nach Debrecen

Die Korruption in Kuba sei weit verbreitet. Amehds Familie habe ihn finanziell unterstützt, und gemeinsam sammelten sie genug Geld für die Freilassung. Er wusste aber, dass er nun in großer Gefahr war und keinesfalls in Kuba bleiben konnte. Er traf sich mit einem Freund, der gute Kontakte in Russland und einen Bekannten an der Grenzkontrolle hatte. "So funktioniert es in Kuba: Man zahlt 1.000 Euro und hat dann 24 Stunden Zeit zu flüchten. Ich buchte wieder einen Flug nach Russland und dann nach Serbien." Diesmal gelang ihm die Flucht. Im Dezember 2014 war er in Belgrad und erfuhr von der Flüchtlingswelle, die im Sommer angefangen hatte. Amehd sah darin eine Gelegenheit und flüchtete mit Bus, Taxi und schließlich zu Fuß Richtung Ungarn.

Aus der serbischen Stadt Subotica flüchtete Amehd in einer Dezembernacht zu Fuß nach Assothalom.
Foto: Remedios Gonzalez Norberto Amehd

Durch Apfelgärten, Wälder, über Zäune und vor streunenden Hunden floh er in einer Dezembernacht bei Minustemperaturen über die Grenze, erinnert sich Amehd. Polizei brachte ihn von Asotthalom ins Flüchtlingsheim in Debrecen, wo er die nächsten 10 Monate lebte.

Amehds Fluchtgründe wurden nicht ernst genommen

Bei allen drei Behördengesprächen wurde seine Geschichte zwar mit Interesse aufgenommen, jedoch hätte kein Beamter den Ernst seiner Situation verstanden. "Sie wollten mich zurück nach 'sunny Cuba' schicken. Alle dachten, Kuba ist vor allem nach der Grenzöffnung mit den USA zu einem tollen, freien Ort geworden." Im Debrecener Flüchtlingsheim arbeitete Amehd als Übersetzer im Informationsbüro. Was er übersetzt habe? Im Heim waren mindestens 20 andere Flüchtlinge aus Kuba. Wegen der großen Flüchtlingswelle wurden sie aber nie medial thematisiert, einen Artikel findet man nur in der katalanischen Zeitung "La Vanguardia". Amehd drehte während seines Aufenthalts ein Video über die Lebensbedingungen im Heim für den katarischen Sender Al Jazeera. "Die Wärter behandelten uns oft wie Tiere, drängten uns bei Kontrollen in kleine Container", erzählt er.

Im Flüchtlingsheim in Debrecen kam es Ende Juni 2015 wegen eines religiösen Konflikts zu Ausschreitungen.
Foto: Remedios Gonzalez Norberto Amehd

Sogar seine Mutter erfuhr von Amehds Flucht erst, als dieser bereits in Debrecen untergebracht war. Dem Rest seiner Familie und Freunde habe er seine Situation nie direkt geschildert und anfangs nur gesagt, er sei auf einer Europareise. "Es wäre viel zu riskant, im Fluchtprozess etwas zu verraten. Man weiß nie ganz genau, was sich verbreitet."

Debrecen, Gran Canaria, Schweiz und schließlich Wien

Amehds Redseligkeit und positive Energie mögen ihm zu seinem letztendlich gewährten Asyl verholfen haben. Einen Anwalt aus Budapest habe seine Geschichte begeistert und er half Amehd über Beamte in Bicske (ein weiteres Flüchtlingsheim), ein Reisedokument für Flüchtlinge zu besorgen. Mit diesem Papier darf Amehd zwar innerhalb der EU reisen, jedoch offiziell nur in Ungarn arbeiten, was aber sehr gute Ungarischkenntnisse voraussetze. Über Freunde und Bekannte verschaffte er sich Gelegenheitsjobs und zog im Laufe des Jahres von Budapest nach Gran Canaria, von dort nach Zürich, dann weiter nach Westösterreich und vor knapp drei Wochen nach Wien. Vorübergehend wohnt er nun bei einem Freund. Für das kommende Jahr wünscht sich Amehd mehr Stabilität, eine Wohnung, einen Job und eine Beziehung. "Einfach mehr Sicherheit", sagt er.

Auf die Frage, was er über Donald Trumps Sieg denkt und ob sich die Lage für kubanische Immigranten in den USA nun ändern wird, zuckt er mit den Schultern. "Ich sehe diesen Clown einfach nicht im Weißen Haus. Es ist wie in der Serie 'Die Simpsons'", sagt er. "Obama ist zwar cool, aber auch er hat nichts gemacht, hauptsächlich wegen der kubanischen Regierung. Ich bezweifle es zwar stark, aber wer weiß, vielleicht wird Trump sogar zum besten Präsidenten werden?", lässt er die Frage in der Luft hängen. (Anja Malenšek, 29.11.2016)