Sacharow-Preisträgerin Lamiya Aji Bashar (Mitte) mit Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments zuständig für das Sacharow Netzwerk des Europaparlaments (links) und Mirza Dinnayi, Vorsitzender der NGO "Luftbrücke Irak".

Foto: APA/Ludwig Schedl

Bagdad/Wien – Erst vor kurzem vermeldeten jesidische und kurdische Einheiten Erfolge im Kampf gegen den "Islamischen Staat" im Irak: Aus fünf jesidischen Dörfern südlich des Sinjar-Gebirges wurde die Terrormiliz vertrieben. Die Jesidin Lamiya Aji Bashar, die im Oktober gemeinsam mit Nadia Murad den Sacharow-Preis des Europaparlaments erhielt, hofft dass der IS bald besiegt werde. Noch gefährlicher sei aber die "Ideologie der islamischen Fundamentalisten", sagt sie zum STANDARD. "Jederzeit kann ein neuer IS entstehen."

Die nun offenbar befreiten Dörfer waren im Jahr 2014 vom IS überrannt worden. Damals brachte der IS das Sinjar-Gebirge und die Umgebung unter seine Kontrolle. Die dort Lebenden wurden zu Tausenden getötet, gefangen genommen und versklavt. Aji Bashar wurde damals mit ihrer Familie aus dem Dorf Kojo vom IS verschleppt. Die Eltern wurden kurz danach ermordet, Aji Bashar und ihre Schwester als Sexsklavinnen an IS-Terroristen verkauft, zunächst in Raqqa, dann Mossul und Tikrit. Zuvor ging sie zur Schule und war "sehr zufrieden mit ihrem Leben". Sie habe sie sich "nie vorgestellt, das Dorf zu verlassen", sagt Aji Bashar.

Durch Mine bei Flucht verletzt

Im April gelang es der 18-Jährigen zu entkommen – bei ihrer Flucht trat sie auf eine Mine und wurde schwer verletzt, im Gesicht hat sie tiefe Narben. Nun lebt sie in Deutschland und möchte auch dort bleiben, um ein neues Leben zu beginnen. Durch die Auszeichnung mit dem Sacharow-Preis habe sie das Gefühl bekommen, "dass die Welt uns nicht vergisst". Am 13. Dezember findet in Straßburg die Verleihung statt.

Die Situation der Jesiden im Irak sei aber immer noch "sehr schlecht", sagt Aji Bashar. Hunderttausende teils traumatisierte Frauen und Kinder würden in Flüchtlingslagern unter schlechten Bedingungen leben.

Die Jesiden sind ethnisch und linguistisch Kurden mit Hauptsiedlungsgebiet in der Gegend von Mossul. Ihre Gesamtzahl wird meist mit etwa 500.000 angegeben; außer im Irak gibt es kleine Minderheiten in Syrien, der Türkei, dem Iran, Armenien, Georgien und Russland und vermehrt in der Diaspora. Der jesidische Glauben ist synkretistisch, das heißt aus Glaubenselementen anderer Religionen zusammengesetzt. Geheiratet darf nur innerhalb der Gemeinschaft werden. (Noura Maan, 2.12.2016)