Die Ausstellung "Handwerk – Tradiertes Können in der digitalen Welt" ist ab 14.12. im Mak zu sehen.

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Tina Zickler fungiert als Gastkuratorin.

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STANDARD: Man hat den Eindruck, dass die mediale Präsenz rund ums Thema Handwerk die Sache immer mehr zu einem modischen Lifestyle-Thema macht.

Tina Zickler: Das stimmt. Gerade die Werbung ist da ein guter Indikator. Sehen Sie sich nur die Luxuslabels an. In diesem Bereich ist das Thema ein Distinktionsmerkmal. Gleichzeitig handelt es sich aber auch um eine politische Angelegenheit.

STANDARD: Inwiefern?

Zickler: Nun, auf der einen Seite gibt's diesen Hype in den Medien und der Werbung, auf der anderen Seite steht die ganz normale, harte Realität der Handwerker. Man könnte diesen Leuten viel Gutes tun, indem man zum Beispiel die Lohnnebenkosten senkt.

STANDARD: Sie sprechen von Tischlern oder Fliesenlegern.

Zickler: Ja, sogar von Fleischern. Die alle müssen ganz schön kämpfen mit all der Bürokratie. Es erscheint demnächst eine Studie der Unesco, die das unterstreicht. Nicht zu vergessen die gerade stattfindende Schlacht um die Gewerbeordnung. Der Handwerksboom ist also nicht nur ein Hipsterthema.

STANDARD: Das heißt, der klassische Handwerker in der Vorstadt profitiert eher nicht von dem ganzen Tamtam.

Zickler: Teilweise. Eher die jungen Labels. Das war auch ein Impuls für die Schau im Mak. Ich möchte das Thema auf einer anderen Ebene reflektieren. Es geht um eine Wertschätzung der materiellen Kultur und des handwerklichen Könnens. Auch der "normale" Handwerker soll stärker wahrgenommen werden.

STANDARD: Eine handgemachte Tasche von Hermès gilt ebenso als Handwerk wie die Leistung eines Installateurs. Wo fängt Handwerk an? Wo hört es auf?

Zickler: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. In Griechenland oder Großbritannien gilt vor allem Kunsthandwerk als Handwerk. Ich möchte nicht nur die wundervollen dekorativen Seiten zeigen. Es geht zum Beispiel auch um Aspekte der Nachhaltigkeit.

STANDARD: Begründet wird der Hype ums Handwerk auch mit einer wachsenden Sehnsucht nach Analogem in unserer digitalisierten Welt. Ist die wirklich so groß?

Zickler: Viele Menschen verbringen acht Stunden des Tages vor dem Rechner. Das ist eine Realität. Wir sind aber haptische Wesen. Schauen Sie sich das Geschäft Supersense im zweiten Bezirk an, wo sich alles ums Analoge dreht, Fotografie, Druckerei etc. Deren Zielgruppe sind die Digital Natives, also Menschen zwischen 25 und Anfang 40.

STANDARD: Das Supersense ist nicht gerade ein Beispiel für klassisches Handwerk.

Zickler: Trotzdem ist es interessant, dass gerade die jungen Leute dorthin pilgern.

STANDARD: Was wiederum den Verdacht nahelegt, dass es sich um eine modische Strömung handelt.

Zickler: Natürlich ist es eine Mode. Aber die gilt es zu nutzen, um sich zu fragen, was an der Sache eigentlich dran ist. Was leisten diese Leute?

STANDARD: Fällt der Begriff Handwerk, kommt auch immer das Thema Qualität zur Sprache, obwohl die auch beim Handwerk nicht automatisch gewährleistet ist.

Zickler: Für mich gehören diese beiden Dinge zusammen. Es geht auch um Sorgfalt, Material, Effizienz, Langlebigkeit. Das sind schon Dinge, die ich dem Handwerk positiv unterstelle. Klar gibt es auch einen Haufen Pfuscher. Unterm Strich geht es mir um eine Inspiration, sich für qualitativen anstatt quantitativen Konsum zu entscheiden.

STANDARD: Der hat seinen Preis. Es wird schwierig sein, einem jungen Menschen einzutrichtern, er solle sich ein Bett tischlern lassen, für dessen Preis er bei Ikea die halbe Wohnung einrichten könnte.

Zickler: Natürlich ist es eine Frage des Preises, und junge Menschen haben es diesbezüglich schwerer. Das muss auch nicht von heute auf morgen gehen. Junge Menschen können sich auf diesem Gebiet auch ein Bewusstsein bilden, indem sie sich intensiver mit Objekten auseinandersetzen, die bereits vorhanden sind. Das können zum Beispiel Erbstücke sein. Ich thematisiere sehr gern die Biografien eines Produktes. Wo kommt es her? Wem hat es gehört? Auch das schafft reflektierteren Konsum.

STANDARD: Ich bin 47 und habe (noch) keine Erbstücke.

Zickler: Gut, lassen Sie mich eine andere Geschichte erzählen: Mir hat jemand erzählt, dass man früher, wenn man ins Wirtshaus kam, schon an der Garderobe an den Mänteln erkannte, wer bereits am Stammtisch saß. Die dazugehörige Frage lautet: Brauchen wir 20 Jacken? Hinzu kommt die Reparaturfähigkeit von handwerklich Gefertigtem. Ich kenne jemanden, der trägt 40 Jahre alte Schuhe. Seine Frau trägt die der Großmutter.

STANDARD: Aber auch das muss man erst wieder in die Köpfe bringen. Wir stecken noch immer mit mehr als einem Fuß in der Wegwerfgesellschaft. Schuh hin oder her.

Zickler: In Schweden wird das Reparieren mittlerweile von der Politik gefördert. Es ist es einfach wert, darüber nachzudenken.

STANDARD: Welche Art von Handwerk wird denn auch in Zukunft "goldenen Boden" haben, und welches wird sich schwerer tun?

Zickler: Das ist eine schwierige Frage. Handwerk war immer einem Wandel unterzogen. Die Frage lautet: Wie kann ein Handwerk neue Technologien integrieren?

STANDARD: Man liest derzeit überall, dass unsere Arbeitskraft sowieso von Robotern ersetzt werden wird.

Zickler: Es gibt aber auch Menschen, die sagen, dass gerade die Handwerker am Ende übrig bleiben werden, da Roboter keine Rohre verlegen können.

STANDARD: Noch nicht.

Zickler: Noch nicht, ja. Vielleicht wird sich das eines Tages ändern.

STANDARD: Apropos neue Technologien: Wie versteht sich denn das Handwerk mit der Welt des Digitalen?

Zickler: Das Handwerk hat immer Maschinen integriert, wenn es Sinn machte. Warum also nicht auch das Digitale? Es gibt genügend Berührungspunkte. Wenn man sich ansieht, wie der Wiener Schmuckmacher Thomas Hauser seine Stücke am Computer entwirft und dann mit der Hand erschafft, dann ist das ein beeindruckendes Beispiel von gutem Verständnis. Wir zeigen in der Ausstellung einen Film über diese Wanderung zwischen zwei Welten.

STANDARD: Wie viel modischen Schwung unterstellen Sie der ebenfalls längst boomenden Do-it-yourself-Bewegung?

Zickler: Klar geht es da auch um Mode, aber es ist auch eine Reaktion auf die Digitalisierung. Die Leute wollen ein Ergebnis sehen, egal ob sie eine Stunde im Garten arbeiten oder einen Kuchen backen.

STANDARD: Apropos Kuchen backen. Auch in Sachen Ernährung und Kulinarik gibt es schon länger ähnliche Tendenzen im Sinne einer bewussten Auswahl von Nahrungsmitteln, regionaler Produkte etc. Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Trend zum Handwerklichen?

Zickler: Natürlich. Darum singt bei der Eröffnung der Ausstellung am 13. Dezember auch der Männergesangsverein der Wiener Fleischer.

STANDARD: Angenommen, Sie dürften sich ein Stück Handwerk aus dem Mak mit nach Hause nehmen: Welches wäre es?

Zickler: Sie stellen Fragen. Keine Ahnung.

STANDARD: Sie haben noch zehn Sekunden.

Zickler: Gut, dann nehme ich den Teppich von Josef Hoffmann. (Michael Hausenblas, RONDO, 9.12.2016)

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