Gottesdienst für die Opfer des Anschlags vom Sonntag in der Boutrosiya, einer kleineren Nebenkirche der koptischen Kathedrale.

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Kairo/Wien – Entsetzen und Solidarität – auch von islamischen Organisationen – und eine dreitägige Staatstrauer, antichristliche Hasspostings, die den Tätern gratulieren, Vorwürfe an die ägyptischen Behörden, aber auch innerkoptische Kritik vor allem aus dem Ausland: Das sind unterschiedliche Stränge von Reaktionen auf den Anschlag in der Boutrosiya, der kleineren Kirche neben der großen koptischen Kathedrale in Kairo am Sonntag. Es war die folgenschwerste Attacke auf eine Kirche seit jener am 1. Jänner 2011 in Alexandria, vor der Revolution, die Präsident Hosni Mubarak stürzen sollte.

Zwischen den beiden Bombenattentaten – damals mit 23, diesmal mit mindestens 24 Toten – liegen bittere Jahre für die Kopten in Ägypten: zuerst die Hoffnung auf eine neue Art der Emanzipation als Bürger in einem demokratischen Staat, die Sorge über die erratische Machtausübung der durch Wahlen in die Ämter gekommenen Muslimbrüder – und vor allem der Backlash, als nach dem Sturz des Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi die Gewaltakte gegen Kopten in die Höhe schnellten.

2013 mehr als 40 Kirchen angegriffen

Als "Rache" für das gewalttätige Durchgreifen des Militärs gegen Morsi-Anhänger am Rabia al-Adawiya in Kairo am 14. August 2013 wurde noch am selben Tag eine Kirche in Kerdasa in Brand gesteckt. Laut Human Rights Watch wurden seither mehr als vierzig Kirchen angegriffen. Und es sind nicht immer nur ausgewiesene Extremisten und Terroristen, die auf Christen losgehen: Ende Mai wurde eine 70-Jährige von einem muslimischen Mob nackt durch ein Dorf in der südlichen Provinz Minya geschleppt, weil ihrem Sohn eine Affäre mit einer muslimischen Frau nachgesagt wurde.

Unzufriedenheit und Kritik an der Führung wird heute in_Ägypten offener gezeigt als vor dem Arabischen Frühling, trotz aller staatlichen Knebelungsversuche. Auch am Sonntag richtete sich die Wut mancher Kopten direkt gegen die Regierung: Nicht nur der Rücktritt des Innenministers wurde gefordert, auch der Slogan "Wir wollen den_Sturz des Regimes" wurde vereinzelt laut.

Politische Kirche

Die Kopten fühlen sich doppelt im Stich gelassen. Die koptisch-orthodoxe Kirche, die für den Staat als alleiniger Vertreter der Kopten – ob sie es wollen oder nicht – fungiert, gehört zu den loyalsten Institutionen. Das war unter Mubarak so und ist unter Präsident Abdulfattah al-Sisi, dem Erretter aus der islamistischen Gefahr, nicht anders. Dabei kommt es vereinzelt zu Auswüchsen wie im September, als Kirchenvertreter anlässlich des Auftritts von Sisi vor der Uno-Generalversammlung nach New York reisten, um Jubelkundgebungen zu organisieren.

Dutzende prominente Kopten forderten damals die Kirchenführung in einem Brief auf, sich aus der Politik herauszuhalten. Der Vorwurf, durch ihre politische Rolle die Attacken auf ihre Mitglieder zu provozieren, blieb am Sonntag – meist geäußert im Internet – nicht aus.

Statt "Minderheit" alle "Ägypter"

Die Kopten haben im Staat einen zwiespältigen Beschützer. Das Wort "Minderheit" ist im offiziellen Sprachgebrauch verpönt, denn es gibt nur "Ägypter". Diesem Anspruch widerspricht aber letztlich auch das erst Ende August verabschiedete Gesetz, das Bau und Erhalt von Kirchen regelt: Ein einheitliches Gesetz für Sakralbauten wäre wohl zu viel der Gleichheit. Die Kirchen (koptisch, katholisch und evangelikale) sahen das Gesetz, das von der neuen Verfassung von 2014 verlangt wurde, zähneknirschend, aber doch als Fortschritt. Für ein Urteil, wie es funktioniert, ist es zu früh. So muss etwa der demografische Bedarf nachgewiesen werden.

Viele der koptisch-muslimischen Zusammenstöße haben mit diesem Thema zu tun. Erst Ende November wurden in El-Naghamish in Oberägypten christliche Häuser angezündet. Die etwa 2000 Seelen starke christliche Gemeinde hatte ein Gemeinschaftshaus errichtet, hinter dem Muslime einen heimlichen Kirchenbau vermuteten. Mangels Genehmigungen werden Kirchenräume tatsächlich auch in Privathäusern eingerichtet. (Gudrun Harrer, 12.12.2016)