Man sollte schon ortskundig sein oder zumindest ein funktionierendes Navigationssystem besitzen, um den kleinen Ort Trautmannsdorf in der Oststeiermark zu finden. Gerade einmal 800 Einwohner hat das unscheinbare Dörfchen, das jährlich unzählige Menschen anlockt. Die meisten kommen wahrscheinlich nicht, um die barocke Pfarrkirche auf dem Dorfplatz zu besuchen. Vielmehr machen sie kurz vor dem Eingang des Gotteshauses halt, um sich auf eine himmlische Reise kulinarischer Natur zu begeben.
Hier ist die Heimat von Richard Rauch, Dreihaubenkoch, Kochbuchautor und Lokalmatador. Bereits mit 19 Jahren erkochte er seine erste Haube als Küchenchef im familieneigenen Wirtshaus Steirawirt. Mittlerweile sind einige Jahre vergangen, und Richard Rauch hat einen festen Platz in der Spitzengastronomie. Seinen Wurzeln bleibt er dabei treu. Gäste können in seinem Restaurant zwischen Fine Dining und der klassischen Wirtshausküche wählen. Damit bedient er nicht nur die Wünsche der weitgereisten Gourmets, sondern auch jene der Hausmannskostfans.
Für unser Weihnachtsmenü hat Richard Rauch fast ausschließlich regionale Lebensmittel verwendet. Die Gerichte lassen sich gut vorbereiten. So muss der Koch oder die Köchin am Festtag nicht stundenlang in der Küche stehen. Als ersten Gang serviert Rauch Kalbstatar mit in Isabellatrauben gekochter Schwarzwurzel, eingelegten Roten Rüben und Rote-Rüben-Schaum. Der Hauptgang: geschmorte Rindsschulter mit Sternanis, Mangold und violetten Karotten. Dazu gibt es gegrilltes Rindermark. Als Dessert gibt es Lebkuchenmoussekugeln mit Blattgold, Sanddorn- und Gewürzkompott sowie Pistazieneis. Die passende Weinempfehlung kommt von Sonja Rauch, der Schwester des Spitzenkochs, die das Restaurant führt.
Kalbstatar mit in Isabellatrauben gekochter Schwarzwurzel, eingelegten roten Rüben und Rote-Rüben-Schaum
1 – Kalbstatar
2 – Isabellatrauben-Schwarzwurzeln
3 – Eingelegte Rote-Rüben-Bänder
4 – Rote-Rüben-Schaum
5 – Weinempfehlung
Geschmorte Rindsschulter mit Sternanis, Mangold, violette Karotten und gegrilltes Rindermark
1 – Gegrilltes Rindermark
2 – Violette Karotten
3 – Mangold
4 – Geschmorte Rindsschulter mit Sternanis
5 – Weinempfehlung
Lebkuchenmoussekugeln mit Blattgold, Sanddorn- und Gewürzkompott sowie Pistazieneis
1 – Pistazieneis
2 – Lebkuchenmoussekugeln
3 – Sanddornkompott
4 – Quitten-Gewürz-Kompott
5 – Weinempfehlung
"Beim Kochen geht es darum, Emotionen zu erzeugen"
Wirtshausküche oder Fine Dining? Im Restaurant Steirawirt in Trautmannsdorf bekommt man beides. Die Geschwister Sonja und Richard Rauch haben es geschafft, aus einem Dorfwirtshaus eine Pilgerstätte für Gourmets zu machen.
STANDARD: Sie haben sich in den letzten Jahren einen Namen in der Spitzengastronomie gemacht. Wie kam die Idee, ein Gourmetrestaurant mitten in Trautmannsdorf zu eröffnen?
Richard Rauch: Meine Schwester hat vor 17 Jahren den Betrieb hier übernommen. Damals habe ich gerade die Tourismusschule absolviert und schnell gemerkt, dass drei Stunden Kochausbildung in der Woche eindeutig zu wenig sind, um ein guter Koch zu sein. Also begann ich meine Lehre im eigenen Gasthaus. Im letzten Lehrjahr habe ich dann bereits die Küche übernommen, weil wir so einen regen Küchenchefwechsel hatten. Ich habe damals gewusst, dass man hineinbeißen muss, und habe das durchgezogen. Alles war aber immer eine Bauchentscheidung. Es gab keinen Businessplan, und wir hatten damals nicht das Ziel, drei Hauben zu erkochen. Wir wollten einfach einen guten Job machen.
STANDARD: Wann hatten Sie die Idee, aus dem einfachen Gasthaus ein Spitzenrestaurant zu machen?
Richard Rauch: Mit 17 Jahren wollte ich unbedingt ein Dreisternerestaurant sehen, weil ich wusste: Es muss noch mehr geben als das, was ich kenne. Meine Schwester hat mir dann eine Reise zu Jean-Georges Klein nach Frankreich geschenkt.
Sonja Rauch: Wir sind mit dem Auto nach Baerenthal gefahren, und es war ein bisschen unheimlich, weil dieses Restaurant im Nirgendwo war. Irgendwann war die Straße zu Ende, und wir haben uns gedacht: Wer soll dort hinfahren? Die Überraschung war groß, als wir ankamen und gemerkt haben, dass das Restaurant mitten unter der Woche komplett ausgebucht war. So etwas war damals ungewöhnlich für uns.
STANDARD: Und so entstand die Vision, dass so etwas auch im beschaulichen Trautmannsdorf möglich wäre?
Sonja Rauch: Ja, das war auf jeden Fall der Impuls. Damals hätten wir uns natürlich niemals gedacht, dass so etwas bei uns funktioniert. Wir wollten es aber ausprobieren, weil die Tatsache, dass das möglich ist, uns beflügelt und motiviert hat.
Richard Rauch: Es war ein Aha-Erlebnis für uns und hat uns die Augen geöffnet, dass es so ein Konzept auch gibt und dass das offensichtlich ankommt. Die Frage war natürlich, ob sich das bei uns wirtschaftlich ausgeht, wenn wir uns auf diese Linie konzentrieren. Wir haben versucht, Dinge auszuprobieren und uns in eine gewisse Richtung zu entwickeln.
STANDARD: Das Besondere an Ihrem Konzept ist, dass man zwischen Fine Dining und klassischer Wirtshausküche wählen kann. War das ein Kompromiss, um Stammgäste zu behalten?
Sonja Rauch: Wir hatten natürlich eine Stammklientel, die wir nicht vertreiben wollten. Und auch beim Fine Dining war uns klar, dass wir unseren Prinzipien treu bleiben müssen. Also haben wir uns dazu entschlossen, zwei unterschiedliche, aber konsequente Linien zu kreieren.
STANDARD: War es nicht schwierig, plötzlich ein Gourmetmenü zu kochen?
Richard Rauch: Eine Rindsroulade zuzubereiten ist für einen Spitzenkoch oft mehr Herausforderung als ein aufwendiges Gourmetgericht. Es geht beim Kochen immer darum, Emotionen zu erzeugen. Wenn man Speisen kocht, die man aus der Kindheit kennt, besteht die Herausforderung darin, dem bekannten Geschmack möglichst nahezukommen. Das ist nicht einfach. Essen muss immer nachvollziehbar und darf nicht zu intellektuell sein. Es bringt nichts, wenn ich bei einem Gericht unzählige Techniken anwende und der Gast am Ende nicht merkt, dass ich dafür stundenlang in der Küche gestanden bin.
STANDARD: Wie würden Sie Ihre Küchenlinie und Ihr Restaurant beschreiben?
Richard Rauch: Moderne österreichische Küche, gepaart mit steirischer Gastfreundschaft. Bei uns ist jeder willkommen, auch wenn er im Radlerdress dasitzt und nur eine Rindsuppe ist. Das macht unser Konzept aus und ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Mir ist außerdem wichtig, dass ich die Produzenten kenne. Da geht es nicht immer um eine Biozertifizierung. Wenn ich weiß, wie der Bauer arbeitet, kann ich seine Produkte mit ruhigem Gewissen verwenden. Wichtig ist es, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Das bedeutet auch, dass man Gäste manchmal an unbekannte Dinge gewöhnen muss. Ich verwende zum Beispiel nur Freilaufhühner für unser Backhendl. Das ist für viele ungewohnt, weil das Hendl einen festeren Biss hat.
Sonja Rauch: Wir wollen mit den Produkten auch unsere Herkunft noch einmal herzeigen. Buchweizen zum Beispiel oder Käferbohnenschmalz servieren wir in Pralinenform als Gruß aus der Küche. Es geht immer darum, kreativ zu sein, aber dabei seine Wurzeln nie aus den Augen zu verlieren.
STANDARD: Sie verzichten aber nicht gänzlich auf exotische Zutaten?
Richard Rauch: Nein, man darf als Koch keine Angst vor internationalen Geschmäckern haben. Eine Passionsfrucht zum Beispiel ist großartig. Die Grundprodukte müssen natürlich aus der Region sein. Aber ein moderner Akzent mit exotischen Zutaten ergibt durchaus Sinn.
Sonja Rauch: Wir wollen mit unserem Gourmetmenü immer eine Geschichte erzählen, eine Geschichte mit Produkten, die meinen Bruder gerade bewegen.
STANDARD: Und welches Produkt bewegt Sie im Moment?
Richard Rauch: Schweinefleisch ist für mich im Moment sehr wichtig, und ich arbeite gerne damit. Im großen Gourmetmenü servieren wir aktuell drei Gänge mit Schweinefleisch. Ich bereite es zum Beispiel auch roh als Tatar zu. Das verwundert natürlich viele Gäste.
STANDARD: Wahrscheinlich, weil Schweinefleisch nicht so ein gutes Image hat.
Richard Rauch: Ja, und das ist schade. Schweinefleisch hat bei uns an Bedeutung verloren. Man muss nur darauf schauen, dass das Schwein gut gehalten und gefüttert wurde. Auch die richtige Schlachtung ist enorm wichtig.
Sonja Rauch: Ich will nicht esoterisch klingen, aber wenn ein Freilandschwein mit einer positiven Energie aufgezogen wurde, ist es ein tolles Produkt. Das ist besser als eine hochgezüchtete Pute.
STANDARD: Innereien spielen in Ihrer Küche eine große Rolle. Das ist nicht jedermanns Sache.
Richard Rauch: Bei uns wird das sehr gut angenommen. Zum Beispiel die steirischen Jakobsmuscheln. Das sind weiße Nierndln und ein Stierhoden. Wir verkaufen um die 50 Portionen pro Woche davon. Früher waren Innereien etwas ganz Normales. Ich habe hier keinen neuen Trend geboren. Die Reaktion der Gäste ist toll, weil viele das schon seit Jahren nicht mehr gegessen haben. Innereienküche ist auch sinnvoll, weil es um den Kreislauf geht und darum, das Tier als Ganzes zu verarbeiten.
STANDARD: Eine Tradition, die teilweise verlorengegangen ist. Was hat sich noch verändert?
Sonja Rauch: Der soziale Aspekt beim Essen verschwindet. Früher hatte das gemeinsame Essen viel mehr Bedeutung. Und der Convenience-Markt ist enorm. Das liegt natürlich an der Nachfrage. Auch Gastronomen sind verleitet, mit diesen Produkten zu arbeiten. Für viele ist es verlockend, statt extra einen Mitarbeiter für das Waschen des Salats abzustellen, gleich essfertigen Salat zu kaufen. Natürlich wäre es auch einfacher, alles bei einem Händler zu kaufen. Wir tun uns aber lieber die Arbeit an und reden mit allen Produzenten einzeln.
Richard Rauch: Kaum jemand setzt sich heute hin und isst bewusst. Das finde ich sehr schade. Die Rezepte in meinem Kochbuch sind gerade deshalb einfacher gestaltet, damit auch berufstätige Leute unter der Woche nach der Arbeit noch kochen können und nicht Ewigkeiten am Herd stehen müssen.
STANDARD: In Ihrem neuen Kochbuch geht es um das Kochen mit saisonalen Lebensmitteln. Vielen Menschen fällt es schwer, im Winter auf gewisse Produkte zu verzichten.
Richard Rauch: Wir haben einmal ein Experiment mit Heidelbeeren gemacht. Im Dezember haben wir welche gekauft und einen Becher bis Anfang März stehen gelassen. Die Beeren haben sich nicht verändert. Ich denke, das erklärt einiges. Ich empfehle, so viel wie möglich einzukochen oder auf andere Art zu konservieren. Man kann auch Saisonales mit Eingekochtem kombinieren. Man muss ein bisschen kreativ sein. Viele Leute wissen nicht, wie vielfältig die Winterküche ist. Es gibt zum Beispiel viele unterschiedliche Rüben- und Krautsorten. Manches Gemüse kann man auch im Winter ernten.
STANDARD: Von einem Spitzenkoch wird vor allem zu Weihnachten erwartet, dass er alle festlich bekocht. Wie ist das bei Ihnen zu Hause?
Richard Rauch: Ich koche zu Weihnachten gar nicht zu Hause. Bei uns gibt es gekochtes Rindfleisch. Da muss man nicht viel machen, und es ist auch nicht schlimm, wenn jemand später kommt. Mir ist wichtig, dass man sich zu Weihnachten hinsetzt, miteinander redet und Spaß hat. Niemand steht da gerne stundenlang in der Küche. (Alex Stranig, RONDO, 16.12.2016)