Mit der rhetorischen Figur "Furie des Verschwindens" bezeichnet Hegel die Wirkung des jakobinischen Terrors, der alle Errungenschaften der Französischen Revolution total zunichtemachte – absolute Negation. Furie des Dableibens könnte man die derzeit konträre gesellschaftliche Verfasstheit nennen. Trotz aller markant klaffenden Widersprüche bleibt alles beim Alten. Versteinerter Status quo.

Welche Rolle wollen die Grünen in Zukunft spielen? Mit Erstaunen registrieren wohlwollende Beobachter und solche, die mit mehr oder weniger Bauchweh den Grünen stets ihre Stimme leihen, den gehässigen und unprofessionellen Ton, den Parteichefin Eva Glawischnig derzeit anschlägt, um eine längst fällige Debatte zu ersticken. Unprofessionell ist's, mit der Falschmeldung über eine nicht geleistete Spende an die Öffentlichkeit zu gehen – woher stammte ihr vermeintliches Wissen überhaupt? Kontrollierte sie alle Initiativen?

Mit gehässigen Abkanzelungen, wie dass Pilzens Vorschläge "total retro" seien, ihm "wohl langweilig" oder etwas "aus den 90ern" sei, bedient sie sich einer Argumentationslinie, die aus dem Fundus neoliberaler Thinktanks stammt. Bravo! Als wären Überlegungen deshalb falsch, weil sie alt sind! Ja, dann müssten die Grünen ihr ganzes Parteiprogramm in der Biotonne der Geschichte entsorgen.

Ökologische Kritik etwa gibt es schon seit mehr als 150 Jahren. Schlagen Sie hübsch nach bei den utopischen Sozialisten Saint-Simone oder Robert Owen, Frau Glawischnig. Selbst bei Marx und Engels, den kritischen Bewunderern der kapitalistischen Produktivkraftsteigerung, finden Sie explizit ökologische Anmerkungen. Überhaupt, Sozialismus, welch abgewracktes Vokabel. Nur ein uralter Trottel wie Bernie Sanders kann auf die verschrobene Idee kommen, diesen "Begriff aus der Mottenkiste" wiederzubeleben.

Oder nehmen Sie die "gemeinsame" Schule. Im Roten Wien von Otto Glöckel gefordert und "Einheitsschule" oder "allgemeine Mittelschule" genannt. 100 Jahre alt, also weg damit. Und gar der Feminismus ... "Furie, verschwinde!" Charles Fourier, von Wikipedia Vater des Feminismus genannt, schrieb vor 200 Jahren, nur Dumpfbacken beschränkten Frauen auf Küche und Kochtopf. "Die Natur hat beide Geschlechter gleichermaßen mit der Fähigkeit zu Wissenschaft und Kunst ausgestattet." Und auch mit der Fähigkeit zur Politik.

Peter Pilz komme "immer wieder mit denselben Rezepten daher", so die grüne Bundessprecherin. Was soll daran grundsätzlich schlecht sein? Jeder vernünftige Arzt oder Koch agiert so. Mit keinem Wort geht Eva Glawischnig inhaltlich auf Peter Pilz ein.

Er fordert unter anderem, den Gerechtigkeitsdiskurs ins Zentrum zu rücken. Rund zwei Millionen Menschen in Österreich, nahe der Armutsgrenze, gehören tatsächlich – sie fühlen es nicht nur, wie oft zynisch behauptet wird – zu den Verlierern der ökonomischen Entwicklung. Um all diese sollen sich die Grünen nicht kümmern? Die soziale Frage ist bei den Grünen seit Jahren extrem unterbelichtet. Dieses Vakuum wissen die rechten Parteien geschickt zu füllen. Hier nennen sie sich "soziale Heimatpartei".

Pilz fordert ferner konkretere Kritik der Grünen an der neoliberalen Ausrichtung der EU-Politik. (Darf man neoliberal sagen?) Was ist falsch an dieser Forderung? Viele klar Sehende erkennen, dass die derzeitige EU-Wirtschaftspolitik verheerende Auswirkungen hat. Steuergerechtigkeit, schmecks! Tobin Tax, nix! Auch schon eine sehr, sehr alte Idee. Schade, Herr Tobin.

"Unsere Partei ist ausgerichtet auf Wachstum, und wir haben die erfolgreichste Phase in der Geschichte der Grünen hinter uns." Zitat Glawischnig. Nicht auf Politik im Dienste der Durchschnittsbevölkerung (sehr, sehr vorsichtige Wortwahl!) ist der Fokus gerichtet, nein, auf Wachstum.

In 18 Jahren haben die Grünen rund sieben Prozent dazugewonnen. Das ist ein Anstieg von etwa 0,4 Prozent pro Jahr. Wahrlich nicht berauschend, wenn man etwa die rasanten Zuwächse von Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland zum Vergleich nimmt. Beide haben übrigens die soziale Frage (ur retro) zentral an ihre Fahnen geheftet.

Keine Deklamationen

Ökologie, Bildung, Europa sind die grünen Schlagwörter. Damit holt man mit Sicherheit die Massen hinter dem kalten Ofen hervor. "Europa" ist ja im politischen Kontext einer der dümmsten Begriffe überhaupt. Das Bekenntnis "Ich bin für Europa" ist ebenso scharfsinnig wie "Ich bin für das Wetter". Es geht um die "EU-Politik" und nicht um "Europa". Dann die Bildung. Weder wird bessere Schulbildung die Arbeitslosigkeit nachhaltig senken noch den moralischen Zustand unserer Gesellschaft veredeln. Fast alle Kriegsverbrecher, die in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, waren hochgebildete Männer. Feuerbach schrieb (lang ist's her): "Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist, was er isst."

Die Grünen sollten sich nicht der Täuschung hingeben, der Erfolg Alexander Van der Bellens würde sich von selbst positiv auf die Partei auswirken. In meinem Bekanntenkreis wimmelt es von "Bauchweh-Grünen", die sich im BP-Wahlkampf kräftig engagiert haben, deren Stimme für die Grünen aber keineswegs sicher ist. (Georg Herrnstadt, 16.12.2016)