Doppel- oder Mehrfachsternsysteme sind wahrlich keine Seltenheit – unsere Sonne ist aber alleine.

Illustr.: NASA/Mark A. Garlick/space-art.co.uk

Die Mehrheit der Sterne im Universum existiert nicht isoliert, sondern als Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems. Unsere Sonne dagegen ist alleine und hat keinen Begleiter. Oder vielleicht doch? Und vielleicht ist dieser andere Stern der Grund dafür, dass auf der Erde immer wieder globale Massensterben auftreten? So lautete zumindest die "Nemesis-Hypothese", bei der es mir ganz besonders leidtut, dass sie zu den Irrtümern der Wissenschaft zählt und nicht bestätigt werden konnte.

Die Dynamik von Asteroiden war von Anfang an mein bevorzugtes Arbeitsgebiet als Astronom, und dabei vor allem die Frage, ob sie mit der Erde kollidieren können. Dass sie das in der Vergangenheit immer wieder getan haben und auch in Zukunft tun können, ist heute bekannt und unumstritten. Einige der größten Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten konnten auf die Auswirkungen großer Einschläge zurückgeführt werden.

Periodische Massenaussterben?

Als die Paläontologen David Raup und John Sepkoski im Jahr 1984 aber eine Arbeit veröffentlichten, in der sie behaupteten, dass solche Massenaussterben periodisch alle etwa 26 Millionen Jahre stattfinden, stießen sie zuerst auf Ablehnung. Welcher Mechanismus sollte dafür sorgen können, dass Asteroideneinschläge regelmäßig passieren? Den Kollisionen zwischen den kleinen Felsbrocken und den großen Planeten liegt eine chaotische Dynamik zugrunde, Periodizitäten sind hier eigentlich nicht zu erwarten.

Der amerikanische Physiker Richard Muller hatte dann allerdings ebenfalls 1984 eine faszinierende Idee: Was, wenn die Sonne kein Einzelstern ist, sondern Teil eines Doppelsternsystems? Sie könnte einen fernen, kleinen und schwach leuchtenden Begleitstern haben, der sich auf einer langen und langgestreckten Umlaufbahn um sie herumbewegt. Alle 26 Millionen Jahre könnte er dann in der Nähe der Oort'schen Wolke vorbeikommen, jenem großen Reservoir an Asteroiden und Kometen, das sich an den äußersten Grenzen unseres Sonnensystems befindet. Die gravitativen Störungen, die durch den Vorbeiflug des Sterns verursacht werden, könnten einige dieser Felsbrocken so umlenken, dass sie ins innere Sonnensystem und auch in die Nähe der Erde gelangen.

Unauffälliges Sternchen

Untersuchungen zur Häufigkeit und zum Alter von Einschlagskratern, die man auf dem Mond und der Erde gefunden hatte, schienen diese Vermutung zu bestätigen: Auch hier meinte man, eine entsprechende Periodizität entdeckt zu haben. Dass niemand bis jetzt den hypothetische Stern – der mittlerweile den Namen "Nemesis" erhalten hatte – gesehen hatte, war vorerst kein Problem.

Nemesis könnte ein kleiner und damit sehr schwach leuchtender Stern sein, der mit freiem Auge und selbst mit kleinen Teleskopen nicht sichtbar ist. Von den großen Teleskopen könnte er durchaus auch schon irgendwann einmal fotografiert worden sein. Nemesis würde dort aber genau so aussehen wie tausende andere schwach leuchtende Sterne, die deswegen schwach leuchten, weil sie sehr weit entfernt sind. Es ist aber nicht trivial, die Entfernung zu einem anderen Stern zu bestimmen, und viel zu aufwendig, das für jeden der vielen Sterne zu tun, die auf einer astronomischen Aufnahme auftauchen (und auch meist nicht sinnvoll, weil Astronomen im Allgemeinen nur an wenigen speziellen Objekten interessiert sind).

Neue Daten

Aber in den letzten Jahren hat sich das Bild gewandelt. Zuerst legten neuere Analysen zum Alter der Einschlagskrater auf der Erde nahe, dass die Periode von 26 Millionen Jahren vielleicht doch nicht real ist, sondern nur ein Ausdruck der geringen Datenmenge war. Und Nemesis selbst blieb weiterhin unentdeckt. Als das Wise-Weltraumteleskop der Nasa zwischen 2010 und 2011 den gesamten Himmel durchmusterte und die Eigenschaften und Entfernungen von mehr als 750 Millionen Himmelskörpern bestimmte, hätte Nemesis dabei eigentlich auftauchen sollen. Es konnte allerdings kein Stern in passender Distanz zur Sonne gefunden werden.

Heute sind sich die Astronomen weitestgehend einig, dass die Nemesis-Hypothese widerlegt ist. Die Sonne ist ein Einzelstern und hat keinen fernen Partner, der regelmäßig für Massensterben auf der Erde sorgt. In den äußeren und unbekannten Regionen unseres Sonnensystems könnte es zwar durchaus noch größere Himmelskörper geben. Zum Beispiel den "Planet 9", über den seit letztem Jahr immer intensiver spekuliert wird. Aber dabei würde es sich eben um einen vergleichsweise nahen Planeten handeln, nicht um einen Stern. Und ob so ein Himmelskörper, sofern es ihn überhaupt gibt, irgendwas mit den Massensterben in der Vergangenheit der Erde zu tun hat, ist ebenfalls fraglich.

Aus astronomischer Sicht wäre es interessant gewesen, wenn es Nemesis wirklich gegeben hätte. Die Entdeckung, dass die Sonne in Wahrheit Teil eines Doppelsternsystems ist, hätte uns viele neue Erkenntnisse über die Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems gebracht. Und der Einfluss von Nemesis auf die Dynamik der Asteroiden wäre eine sehr elegante Erweiterung der himmelsmechanischen Ausgangssituation gewesen. Aber auch die schönste Hypothese ist wertlos, wenn sie nicht durch die Fakten gestützt wird. Und wer weiß, was wir dort draußen in Zukunft noch entdecken werden. Nemesis gibt es nicht, aber die eine oder andere Überraschung hat das Sonnensystem sicherlich noch parat! (Florian Freistetter, 20. 12. 2016)