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Diese französische Druckgrafik aus der Serie "Das Leben des Jesus", die rund um das Jahr 1900 entstand, zeigt Jesus mit Mutter Maria und seinem weltlichen Vater Josef in der Werkstatt bei Zimmermannstätigkeiten. In Europa ist man bis ins Mittelalter davon ausgegangen, dass Jesus Schmied gewesen war.

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Heidelberg/Wien – Der Nabel der Welt war es gewiss nicht. Nazareth hatte vor knapp 2000 Jahren wahrscheinlich nur einige Hundert Einwohner – ein Dorf eben. Man kann sich den Ort als Ansammlung niedriger Häuser auf einer Anhöhe vorstellen. Die Straßen sind ungepflastert und staubig, ein Hirte treibt gerade seine Schafe hinaus. Weiter hinten ertönen Hammerschläge. In einer offenen Werkstatt brennt Feuer, ein Mann schiebt gerade einen Eisenbarren in die Glut. Der Schweiß steht ihm im Gesicht. Dass dieser kräftige Kerl bald eine Weltreligion begründen wird: Wer würde es erahnen?

Als Wichtigtuer abgetan

Den Bibelfesten mag die obige Szene seltsam vorkommen. Das Evangelium des Markus (6,3) hat zu Jesu Berufstätigkeit schließlich eine klare Aussage parat: "Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn ...", heißt es beim Auftritt mit seinen Jüngern in Nazareth. Die Dorfbewohner haben den Ihrigen wiedererkannt, und in seiner Heimat wird der Prophet überhaupt nicht geehrt. Sie halten ihn wohl für einen Wichtigtuer. Wie die Geschichte ausgeht, weiß heute jeder. Das Neue Testament berichtet ausführlich.

Manches ist allerdings nicht so unverrückbar, wie allgemein geglaubt wird. Die ersten Schriften über Leben und Wirken Jesu Christi haben Chronisten auf Altgriechisch verfasst, wie der Sprachwissenschafter Frankwalt Möhren von der Universität Heidelberg erklärt. Schließlich gehörte Palästina im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung zum hellenischen Kulturraum, auch wenn das Gebiet Teil des Römischen Reichs und die Volkssprache Aramäisch war. "Griechisch ist eindeutiger", sagt Möhren. Im ursprünglichen Markusevangelium trugen sowohl Jesus wie auch sein weltlicher Vater Josef deshalb die Berufsbezeichnung "tekton". Auf Deutsch lässt sich der Begriff als "Erbauer" oder auch "Handwerker" übersetzen.

Das Problem taucht bereits im 4. Jahrhundert auf. Zu jener Zeit schuf Hieronymus mit der sogenannten Vulgata die erste Zusammenfassung der Bibeltexte – übersetzt ins Lateinische. Aus dem "tekton" wurde ein "faber". Dieser sei ebenfalls ein Handwerker, betont Möhren. "Er kann alles Mögliche machen und ist auch Baumeister." Der Faber setzte verschiedenste harte Werkstoffe ein, von Holz und Metall bis zu Elfenbein.

Bessere Identifikationsfigur

In weiten Teilen Europas jedoch betrachteten Schriftgelehrte ihn vor allem als Schmied. Isidorus von Sevilla zum Beispiel behauptet in seinen Etymologiae, einer Art frühmittelalterlichen Lexikons, der Name entstamme der Eisenverarbeitung. Dass Christus genau diese Tätigkeit zugeschrieben wurde, dürfte kein Zufall gewesen sein, meint Möhren. Entscheidend war vermutlich die Verbindung mit dem Feuer. Letztere zeichnete auch die antiken Götter Jupiter und Vulcanus aus. "Jesus gab dadurch eine bessere Identifikationsfigur ab."

In östlichen Sprachräumen wie dem armenischen und koptischen fand stattdessen eine andere Interpretation statt. Dort galt der "tekton in erster Linie als ein Mann des Holzes. Der Grund hierfür war vielleicht auch wieder eine Frage der Reputation. Zimmerleute genossen in jenen Kulturen ein hohes Ansehen, der Tempel von Jerusalem könnte überwiegend aus Zedernholz erbaut worden sein.

Allerdings gab es zu biblischen Zeiten wohl kaum eine klare Trennung der beiden Berufsgruppen – schon gar nicht in einem Dorf wie Nazareth. Josef, so heißt es im Protoevangelium des Jakobus, lässt den Dechsel fallen, als er seine spätere Braut Maria im Tempel holen geht. Wofür er das Werkzeug benutzte, wird nicht erwähnt.

Verblüffende Einsicht

Für die spätere Wahrnehmung spielte das alles gleichwohl keine Rolle. "Tausend Jahre lang war Jesus ein Schmied, aber nur im Westen", betont Frankwalt Möhren. Zahlreiche damalige Texte nennen ihn so. Die Neuzuschreibung setzte erst mit Thomas von Aquin in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein. Der berühmte Gelehrte las die Schriften des Johannes Chrysostomus, des einstigen Patriarchen von Konstantinopel, und stellte verblüfft fest, dass dieser den heiligen Josef als "Holzhandwerker" bezeichnet. Der Beruf wurde vom Vater auf den Sohn weitergegeben, Christus musste also dieselbe Tätigkeit ausgeübt haben. Aquin ist schockiert. Chrysostomus hat für ihn überragende Autorität, saß er doch näher an den griechischen Quellen. Im Wintersemester 1269/70, während einer Vorlesung an der noch jungen Universität von Paris, berichtet Aquin den Studenten von seiner Entdeckung. Man habe sich offenbar geirrt, Jesus müsse ein Zimmermann gewesen sein.

Die entsprechende Sicht setzte sich in den folgenden Jahrhunderten radikal durch. Heute scheint die Erinnerung an Christus als Schmied fast völlig vergessen zu sein. Nur die Anthropologin Mary Helms von der University of North Carolina wies 2006 auf eine Verbindung zwischen Josef und dem Schmiedehandwerk hin, welche ihrer Meinung nach einen Bezug zum vorchristlichen Schöpfungsmythos darstellt (Anthropos, Bd. 101, S. 451). Die Verwechslung der Berufe muss jedoch rein linguistischer Natur sein, wie Möhren erklärt. "Es hängt ausschließlich mit der Bedeutung des lateinischen 'faber' zusammen." Eines ist immerhin klar: Jesus war auf jeden Fall ein Multitalent. (Kurt de Swaaf, 24.12.2016)