In einem eigenartigen Rundumschlag haben sich einzelne Vertreter der Wiener Architektenkammer unlängst in einer Pressekonferenz über die Wiener Stadtplanung für den Weg postfaktischer Kommunikation entschieden. Hier eine sachliche Sicht auf den erhobenen Befund und die Forderungen.

Erstens berichtete Hemma Fasch, dass die "Arbeit im Fachbeirat nicht seriös erledigbar" sei, man "pro Projekt nur etwa eine halbe Stunde Zeit zur Entscheidungsfindung" habe und "der Fachbeirat sich eine schrittweise Abstimmung über einen längeren Zeitraum wünscht". Konkret hat der Fachbeirat das von der Kammer gewählte Beispiel Projekt Intercont & WEV seit 2014 insgesamt siebenmal behandelt und dabei mehr 16 Stunden reine Sitzungszeit aufgewandt.

Zweitens übte Christoph Mayrhofer Kritik an der Besetzung des Fachbeirats. Die Diskussion über die Kompetenz der Mitglieder wird nun ja sicher auch innerhalb des Fachbeirats geführt werden – u. a. von Universitätsprofessoren wie Heinz Faßmann, András Pálffy und Sibylla Zech oder auch vom für Wien höchstrangigen Vertreter des Bundesdenkmalamts.

Und drittens bekrittelte Mayrhofer "fehlendes öffentliches Interesse" an den Umwidmungen. Mit diesem Vorwurf beweist Mayrhofer Blindheit (oder nur Unwissen?) in doppelter Hinsicht. Denn der Fachbeirat (mit Hemma Fasch) hat dem Projekt Intercont & WEV zahlreiche Mehrwerte attestiert – hier einige der im Protokoll der Sitzung vom 11. 5. 2016 dokumentierten öffentlichen Interessen:

• Errichtung und Gestaltung eines attraktiven, vielfältig nutzbaren zentralen Platzes, der außerhalb der Eislaufsaison öffentlich und großteils konsumfrei ist

• Erneuerung der Eislaufsportfreifläche des WEV samt technischer Anlagen und Eishallen

• Großzügiger öffentlicher Durchgang entlang des Wiener Konzerthauses

• Errichtung einer Turnhalle für öffentliche Schulen

• Verschiebung Lothringerstraße samt Bepflanzung zur Schaffung eines angemessenen Vorfeldes für den öffentlichen Raum vor Konzerthaus und Intercont

Außerdem hat Mayrhofer den zitierten § 1 der Wiener Bauordnung offenbar nicht zu Ende gelesen, denn dort wird als Ziel für Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne auch genannt: "Sicherstellung der zeitgemäßen Rahmenbedingungen für die Stellung Wiens als Bundeshauptstadt, Standort internationaler Einrichtungen und Organisationen, als Konferenz- und Wirtschaftsstandort sowie Sicherstellung der zeitgemäßen Rahmenbedingungen für den Fremdenverkehr."

Es besteht also sehr wohl ein gesetzlicher Auftrag, einem – noch dazu für die Kongressstadt Wien seit über 50 Jahren sehr bedeutsamen – Hotel die Weiterentwicklung zu ermöglichen. Möglicherweise erscheint es manch einem auf den ersten Blick romantisch, Widmungen nur gefördertem Wohnbau, Bildungsbauten und Parks vorzubehalten – allerdings fehlten dann lebenswichtige Bausteine einer Stadt! Sollte Mayrhofer wieder einmal planen, für "einen Rechtsstaat erbärmliche Zustände" anzuprangern, möge er vorher die kompetenten Juristen der Architektenkammer konsultieren, um sich über die Materie kundig zu machen.

Man muss auch gar nicht davon ausgehen, dass in dieser Pressekonferenz der Architektenschaft aus der Seele gesprochen wurde – in einer ehrenamtlich besetzten Interessenvertretung ist eine geschlossene Meinung ohnedies der Ausnahmefall. Bei Mayrhofer ist durchaus möglich, dass die persönliche Betroffenheit ihn an einer sachlichen Betrachtung hindert: Denn als Anrainer des in der Pressekonferenz von ihm ebenfalls kritisierten Projekts Danube Flats ist er seit Jahren Aktivist der um ihre Aussicht bangenden Bewohnerschaft des Harry-Seidler-Turms an der Reichsbrücke.

Bemerkenswert ist auch, dass die Kammervertreter in ihren Forderungen zur Wiener Stadtplanung ihre Kernaufgabe (also die Vertretung der Interessen des Berufsstandes) in den Hintergrund treten lassen und sich lieber als "moralisches Gewissen" der Stadt inszenieren. Um in dieser Rolle überzeugend zu wirken, wären aber Sachkenntnisse, besserer Überblick und vor allem Faktentreue geboten.

Da der Stadt Wien auch vorgeworfen wurde, die Prozesse gingen viel zu schnell, sei daran erinnert, dass eine sehr breite Plattform der Immobilienwirtschaft die Stadtregierung vor einem halben Jahr in einem offenen Brief aufgefordert hatte, laufende Projekte zügiger zu behandeln. Wenn der Gemeinderat im Jahr 2017 mit dem neuen Flächenwidmungsplan für das Projekt Intercont & WEV befasst wird, haben Stadtplanung und Projektwerber mehr als fünf Jahre intensive und Planungs- und Abstimmungsprozesse investiert – wer soll da den Vorwurf ernst nehmen, die Stadt beschränke sich darauf, die Wünsche der Investoren umzusetzen? (Klaus Wolfinger, 22.12.2016)