Im Ryokan, heißt es, übernachten Reisende noch wie im Japan der Edo-Zeit. Im traditionellen Gästehaus muss man sofort raus aus den Straßenschuhen, rein in die Hausschlapfen sowie den Yukata-Mantel und darf nur so auf die Tatami-Matten, wo auf niedrigen Tischchen der Begrüßungstee dampft. Eh total typisch, halt für die Edo-Zeit. Wer etwas über das Leben im heutigen Japan erfahren will, mietet sich besser in privaten Wohnungen ein.

Supersauber in Tokio

Im Nordosten Tokios liegt Yanaka, eines der ältesten Viertel der Stadt. Eingefriedet ist es von Wohnvierteln wie Asakusa. Hier stehen die Chancen gut, in einem Sento sauber zu werden. Rund 1.000 dieser öffentlichen Badehäuser existieren noch in Tokio. Kein Wunder, oft sind die Wohnungen in der Hauptstadt zu klein für ein eigenes Badezimmer.

Kein eigenes Badezimmer? Dann ab ins Sento.
Foto: 2016 Airbnb Inc.

Yuichi Tamura ist der Besitzer eines solchen Sento in Asakusa und Vermieter einer kleinen Wohnung darüber. Die verfügt zwar über ein Bad, doch den Gang ins Sento legt der Mittdreißiger jedem seiner Gäste mit missionarischem Eifer ans Herz – ohne dafür Eintritt zu kassieren.

Mit großer Geste überreicht er einen bunten Plastikkübel, ein kleines Handtuch und ein Stück Seife. Den Kübel stellt der Westler dann verkehrt auf den Boden vor einen Wasserhahn, nimmt darauf Platz und schrubbt sich so lange ab, bis er keine skeptischen Blicke mehr von den älteren Herren in den Holzwannen erntet. Denn in den unterschiedlich temperierten Bottichen darf wirklich nur entspannen, wer supersauber ist.

"Und, wie war's?", wird einen Yuichi danach fragen. "Wie im Wiener Tröpferlbad", lautet die Antwort. Yuichi, der noch nie dort war, wird dann antworten: "In Wien würd' ich aber in die Otto-Wagner-Sparkasse gehen. Die schaut eher aus wie mein Bad."

WG auf der Künstlerinsel

Naoshima ist ein bemerkenswertes Inselchen im japanischen Binnenmeer. Die Benesse-Stiftung hat dort in den 1990ern spektakuläre, teilweise unterirdische Museen errichtet, die weltweit ihresgleichen suchen.

Haus mit Elektroboot-Schwan
Foto: Sascha Aumüller

Dennoch leben dort wie auch auf dem benachbarten Eiland Mukojima überwiegend Senioren. Genau 14 Menschen sind es auf Mukojima, der Mittvierziger Yoshio und seine achtzigjährige Mutter schon eingerechnet. Die beiden geben Künstlern, aber prinzipiell jedem Unterkunft, der in ihrem Haus mit Elektroboot-Schwan im Vorgarten temporär wie in einer Kommune leben will.

Fünf Matten in Hiroshima

Japaner geben die Größe ihrer Wohnung in Tatami-Matten an; eine Standardmatte misst 90 x 180 Zentimeter, und Meririns Heim in Hiroshima fünf Tatamis. Wohnen geht dort so: In der Früh rollt der um Authentizität Bemühte vom Futon-Bett stufenlos auf die erste Tatami.

Die Matte ist das Größenmaß.
Foto: 2016 Airbnb Inc.

Auf der zweiten steht bereits das Tischchen, auf der Matcha-Tee oder Miso-Suppe eingenommen werden. Zur eierschalenfarbenen Einbau-Nasszelle hinter der falschen Mahagoni-Tür ist es dann nur noch einmal Umfallen (vorausgesetzt, man steht), zur Wohnungstür sind es zweimal. Das Einzige, was man hier im Vergleich zum Ryokan vielleicht vermisst, sind Shojis – jene wunderbaren Papierwände, die die Rollgeräusche der Nachbarn durchlassen. (Sascha Aumüller, RONDO, 15.1.2017)