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Mohamed ElBaradei bei einem Interview mit dem STANDARD im November 2015. Nun kehrte er auch ins arabische TV zurück.

Foto: AP / Khalil Hamra

Kairo/Wien – Mit Terrortoten auf dem Sinai, angespannter Wirtschaftslage und wachsender Unzufriedenheit hat Ägypten einen schwierigen Jahresanfang hinter sich: Da mag es für regierungsfreundliche Medien eine Erleichterung sein, wenn man sich auf den Staatsfeind schlechthin besinnen kann.

Am vergangenen Wochenende ist Mohammed ElBaradei – ehemaliger IAEA-Chef, Friedensnobelpreisträger und ägyptischer Kurzzeit-Vizepräsident von 2013 – mit der ersten Tranche eines mehrteiligen TV-Interviews mit Al-Araby in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Gleichzeitig veröffentlichte der ägyptische Fernsehkanal "Sada al-Balad" 2011 und 2012 abgehörte Telefonate ElBaradeis, in denen er sich kritisch über einige seiner damaligen Politikerkollegen äußert. Ein Parlamentarier, Mustafa Bakry, forderte daraufhin, ElBaradei die Staatsbürgerschaft abzuerkennen: El Ba radei hetze gegen Ägypten.

Nasser oder Sisi

Schon der Trailer zum Interview hatte die Wogen hochgehen lassen: Ein Satz, den ElBaradei über Gamal Abdel Nasser (gestorben 1970) sagte, wurde auf den jetzigen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi bezogen: "Ein Armeeabsolvent kann ein großartiger Befehlshaber sein, aber er wird nicht wissen, wie man ein Unterrichtsministerium führt."

Im ersten Teil des Interviews sprach der 74-Jährige hauptsächlich über die Vergangenheit und persönliche Dinge, Aussagen zur politischen Ge genwart sollen folgen. Das Interview begründete ElBaradei, der seit Sommer 2013 nicht mehr nach Ägypten zurückgekehrt ist, damit, dass es angesichts der Zustand der arabischen Welt die Pflicht eines jeden sei, sich zu Wort zu melden: "Die arabische Welt hat einen Punkt erreicht, an dem sie sich selbst zerstört."

Von Wien nach Kairo

Der ägyptische Jurist und Diplomat Mohamed ElBaradei war von 1997 bis 2009 Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, 2005 bekamen er und die IAEA den Friedensnobelpreis. Im Jänner 2011 kehrte er während der laufenden Unruhen nach Kairo zurück und engagierte sich nach dem Sturz Hosni Mubaraks mit der von ihm gegründeten "Verfassungspartei" als Oppositionspolitiker.

Vizepräsident wurde ElBaradei Mitte Juli 2013: Der Armeechef und Verteidigungsminister al-Sisi hatte mit einer breiten Unterstützung der politischen Eliten den 2012 gewählten Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi gestürzt, der durch Oberstgerichtshofspräsident Adly Mansur ersetzt wurde. Aber ElBaradei war gegen die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen von Morsi-Anhängern, bei denen Hunderte Menschen getötet wurden, trat Mitte August zurück und verließ Kairo. Seitdem ist er für viele Ägypter ein Verräter und Agent des Auslands. Sein Interview auf Al-Araby ließ die Vermutung zu, dass er ein politisches Comeback beabsichtigt – wobei eine Rückkehr nach Ägypten für ihn nicht ungefährlich sein dürfte.

Die "Heuchler"

In den vom TV-Präsentator Ahmad Moussa, einem glühenden Sisi-Anhänger, vorgespielten Telefonaten kritisierte ElBaradei unter anderem den Ex-Chef der Arabischen Liga, Amr Moussa, und den Nasseristen Hamdeen Sahabi, die beide bei den Präsidentschaftswahlen 2012 antraten, als "Heuchler". Auch Wael Ghoneim, einer der Köpfe der Proteste von 2011, kam nicht gut weg: ElBa radei nannte ihn "konfus". Ghoneim lebt mittlerweile in den USA, viele frühere Aktivisten sind heute mit der Sisi-Regierung über Kreuz und teilweise im Gefängnis.

Gegen ElBaradei brach nach der Sendung ein Sturm in den sozialen Medien los, wobei typischerweise Personen wie Ahmad Moussa oder Mostafa Bakry, die heute die Ehre der von ElBaradei Beleidigten verteidigen, damals deren größte Gegner waren (und heute noch sind). Vereinzelt hat ElBa radei aber auch Verteidiger, die betonen, dass ElBaradei nichts strafrechtlich Relevantes gesagt habe – dass hingegen das Abhören und die Veröffentlichung der Telefonate sogar gegen die ägyptische Verfassung verstießen.

Die ganze Affäre spielt vor dem Hintergrund eines zunehmend unter Druck geratenden Präsidenten Sisi, der seine Versprechen nicht einlösen kann. Es ist klar, dass man nicht gerne hört, wenn ElBaradei sagt, es sei nun erwiesen, dass seine Bedenken gegen Sisis Weg 2013 berechtigt waren. (Gudrun Harrer, 12.1.2017)