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Der von den Piccards entwickelte Bathyscaph Trieste wurde 1958 von der US-Marine übernommen. Den Pioniertauchgang zum Grund des Marianengrabens ließ sich Jacques Piccard 1960 aber nicht entgehen, er unternahm das Abenteuer mit dem Marineleutnant Don Walsh.

Foto: Picturedesk

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Walsh (links) und Piccard in der Tauchkugel der Trieste.

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Wien – Das Wetter war denkbar schlecht. Doch Sturm und Regen spielten keine Rolle, als die beiden Passagiere den dunklen Schacht hinabstiegen, der in die druckfeste Tauchkugel führte. Für Komfort war in der Trieste kein Platz: Die zahlreichen Messinstrumente beschränkten den ohnehin knapp bemessenen Innenraum. Sitzen und aufrechtes Stehen waren immerhin gerade möglich – Aussteigen freilich nicht.

Beide konnten auf Erfahrung in Sachen Unterseefahrt zurückblicken: Der Schweizer Jacques Piccard war zwar studierter Ökonom, seine wahre Passion war aber die Ozeanografie. Zusammen mit seinem Vater Auguste Piccard hatte er das U-Boot, in dem er sich nun befand, entwickelt und getestet. Der US-Amerikaner Don Walsh hingegen war ein Routinier: Als Leutnant der United States Navy war er jahrelang in U-Booten unterwegs gewesen.

Mit Schokolade in die Tiefe

Doch ihr Vorhaben an jenem Morgen des 23. Jänner 1960 hatte mit Routine nichts zu tun. Piccard und Walsh schickten sich an, in die tiefsten Tiefen der Weltmeere hinabzutauchen – in den Marianengraben im westlichen Pazifik. Noch nie waren Menschen dorthin vorgedrungen, auch keine U-Boote ohne Besatzung.

Mit einer Geschwindigkeit von 0,9 Meter pro Sekunde ging es nun abwärts. Als Verpflegung hatten die Abenteurer mehrere Tafeln Schokolade mit, der Sauerstoffvorrat reichte zur Not für zwei Tage. In seinem Logbuch hielt Piccard die Reise fest: "731 Meter: völlige Finsternis". Um 11:44 notierte er: "8860 Meter – so tief wie der Everest hoch".

Der große Schreck

Knapp 20 Minuten später zuckten die Tiefseepassagiere erschrocken zusammen – ein dumpfer Knall erfüllte die Druckkapsel. War eine Schweißnaht geplatzt oder gar der Auftriebskörper beschädigt worden? Die Ursache ließ sich nicht finden, man entschied sich für die Weiterfahrt. Knapp eine Stunde später erreichte die Trieste den Meeresgrund. Im Scheinwerferlicht blickten Piccard und Walsh aus dem Bullauge, sahen zunächst jedoch nichts. Das U-Boot hatte die Bodensedimente stark aufgewirbelt. Die Instrumente an Bord zeigten eine Tiefe von 11.521, durch spätere Kalibrierungen wurde sie auf 10.916 korrigiert.

Der Druck in dieser Tiefe beträgt über 1000 Bar, und doch sahen sich die beiden Pioniere, kaum klärte sich die Sicht, lebendigen Tieren gegenüber: Ein Plattfisch und eine "rote Garnele" seien an ihnen vorbeigeschwommen, berichteten Piccard und Walsh später. Bis dahin war umstritten, ob in solchen Tiefen überhaupt irgendeine Form von Leben möglich ist. Eine andere Entdeckung bereitete den Tiefseetauchern hingegen Sorgen: Walsh hatte die Ursache für den Knall gefunden – das Plexiglas der Einstiegsluke war gesprungen. Der Tauchkugel konnte das zwar nichts anhaben, doch zur Sicherheit leiteten Piccard und Walsh nach nur 20 Minuten den Wiederaufstieg ein.

Ballonprinzip in der Tiefe

Bei der Trieste handelte es sich um einen sogenannten Bathyscaphen – das Konzept dafür hatte Auguste Piccard bereits in den 1930er-Jahren entwickelt. Dazu hatte er das Prinzip des Stratosphärenballons für die Tiefsee adaptiert: Für die Besatzung ist eine druckfeste Tauchkugel an einem größtenteils mit Benzin gefüllten Auftriebstank befestigt. Um einen Druckausgleich zu erreichen, ist der Tank an der Unterseite durchlässig, beim Tauchvorgang wird er mit Wasser geflutet. Das Benzin behält dabei sein Volumen und damit seinen Auftrieb bei.

Als Ballast dienten im Fall der Trieste mehrere Tonnen Eisenkugeln, die zum Aufstieg abgeworfen werden mussten. Als Sicherheitsmaßnahme wurde die Last in zwei Silos von Elektromagneten gehalten – denn wäre aus irgendeinem Grund die Stromversorgung während der Tauchfahrt ausgefallen, hätte sich der Ballast sofort gelöst und hätte den Aufstieg des Bathyscaphen selbstständig eingeleitet.

Knapp neun Stunden nach ihrem Aufbruch erreichte die Trieste wieder die Wasseroberfläche, die frischgebackenen Rekordtaucher Piccard und Walsh entstiegen dem U-Boot wohlauf. Mehr als 50 Jahre später wäre ihr Rekord um ein Haar gebrochen worden: Im März 2012 tauchte der Filmregisseur James Cameron mit der Deapsea Challenger ebenfalls in den Marianengraben. Er erreichte jedoch "nur" eine Tiefe von 10.908 Metern und blieb damit knapp hinter seinen Vorgängern zurück. Immerhin verbrachte der erste Solotaucher und dritte Mensch im Marianengraben drei Stunden am Meeresgrund.

Familie mit Rekorddrang

Was Jacques Piccards Rekord anging, so war er nur eine weitere Pioniertat in der Familie – und es sollte nicht die letzte bleiben. Jacques Vater Auguste hatte, ehe er an Konzepten für die Tiefseefahrt arbeitete, einen Rekord in die andere Richtung aufgestellt: Mit einem Gasballon war er 1932 knapp 17.000 Meter aufgestiegen. Seine Schwägerin Jeannette Piccard war die erste Frau in der Stratosphäre. Jacques Sohn Bertrand wiederum umrundete später gemeinsam mit Brian Jones beziehungsweise André Borschberg als erster Mensch die Erde in einem Ballon und in einem Solarflugzeug.

Jacques Piccard, der nach seinem größten Abenteuer bei der Meeresforschung blieb, starb 2008 im Alter von 86 Jahren. Kurz zuvor hatte er in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" noch bedauert, nicht auch Astronaut gewesen zu sein. Die Mondlandung sei die schönste Expedition gewesen, die man sich überhaupt vorstellen könne: "Das hätte mich natürlich ebenfalls interessiert." (David Rennert, 23.1.2017)