Foto: Maria von Usslar
Foto: Maria von Usslar
Foto: Maria von Usslar
Foto: Maria von Usslar
Foto: Maria von Usslar
Foto: Maria von Usslar

"Wo geht es hin mit uns? Wenn wir so weitertun, landen wir in einer Katastrophe." Wir, das ist Österreich, für das So-Weitermachen ist die Politik verantwortlich. Er, der Pensionist Franz S., Karopulli, kleiner Wohlstandsbauch, sieht das Land den Bach hinuntergehen. Franz sitzt mit einem Himbeerkracherl an der Theke bei Don Peppo, einem rustikalen Hacklerimbiss in Greinbach in der Oststeiermark.

derStandard.at

Es ist Mittag, und nach und nach strömen die Arbeiter aus der Umgebung ein. "Es muss sich dringend etwas ändern", sagt der 68-jährige Franz und verschränkt seine Arme. Die da oben würden auf Kosten derer da unten leben. "Irgendwann", da sei er sich sicher, "werden die Leute aufsteh'n."

Franz sagt, seine Meinung würden viele teilen. Er rede mit den Greinbachern, die sähen das auch. In der Tat ist er mit seinem Urteil nicht allein. Bei Don Peppo nicht, in Österreich nicht. Der Pessimismus hat sich im Land breitgemacht. Was in der Zukunft passiert, weiß keiner, dass sie aber schlechter wird, denken immer mehr. Den Pessimisten zuzuhören lohnt sich. Denn sie, die Zukunftsängstlichen, die Verunsicherten, die Schwarzmaler, sind drauf und dran, eine Mehrheit im Land zu werden.

Im Dezember haben in Greinbach, einer 1800-Seelen-Gemeinde, an die 80 Prozent für Norbert Hofer gestimmt. Seine Wähler waren großteils Pessimisten, sagen Meinungsforscher. Wer verstehen will, was sie antreibt, ist hier in Greinbach gut aufgehoben.

Fast jeder zweite Österreicher erwartet mittlerweile, dass sich die Lebensqualität in den nächsten fünf Jahren verschlechtert. Die Zukunftsangst hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, so viele Pessimisten wie jetzt gab es noch nie, sagt der Sozialwissenschafter Christoph Hofinger.

Wenn sich so viele Menschen vor der Zukunft fürchten, bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Denn während gar nicht so weit von der österreichischen Grenze, in Budapest, Warschau oder Ankara, illiberale Kräfte auf dem Vormarsch sind, sagen auch hierzulande bereits 40 Prozent, es brauche einen starken Führer, der sich nicht um Wahlen und Parlament scheren muss.

Der Hackler-Imbiss Don Peppo.
Foto: Maria von Usslar

Don Peppo ist mittlerweile gepackt voll, es riecht nach Bratfett, auf dem Menü steht Backhendl. Aus der Küche tönt der Dunstabzug, im Lokal, durch das riesige braune Stützbalken ragen, breiten sich die Rauchschwaden aus.

"Die gehören nach der Reihe gekündigt", sagt ein Tischler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Die" sind die Politiker. "Alles Trottel", brüllt er, schaut verunsichert in die Runde und erntet Lachen und Nicken. Ein anderer regt sich über die Chauffeure auf, die Spitzenpolitiker oft durch die Gegend fahren. "Die sollen selber fahren", sagt er wütend, "mich fährt auch niemand."

Dass die Menschen mit der Politik unzufrieden sind, ist alles andere als ein neues Phänomen. Laut dem Meinungsforscher Peter Hajek, der Daten für ATV erhebt, sagen seit vielen Jahren 70 bis 80 Prozent, dass sie über die Arbeit der Bundesregierung nicht gerade glücklich sind.

Das liegt zum Teil auch daran, dass die Politik ein willkommener Sündenbock ist, sagt der Statistiker Ivo Ponocny von der Modul University Vienna. Er hat sich in einer Studie damit befasst, wie zufrieden die Österreicher mit ihrem Leben sind. Zwar geben die Menschen großteils an, glücklich zu sein, bei genauerem Nachfragen stellte sich aber heraus, dass das nicht ganz stimmt. Er ist zum Ergebnis gekommen, dass 55 Prozent der Menschen "in ihrem Glück auffallend beeinträchtigt sind". Von den restlichen Menschen fühlt sich die Hälfte gut, obwohl sie große Probleme hat.

Politik als willkommener Sündenbock

"Die Leute schieben ihren Frust zum Teil auf die Politik", sagt Ponocny. In der Psychologie nenne man das "Projektion", man suche sich für persönliche Schwierigkeiten einen Schuldigen, sehr oft sei das eben die Regierung.

Ist es also der Frust im Hier und Jetzt, der den Blick in die Zukunft von immer mehr Menschen trübt? Wirft man einen Blick auf die Mittelschicht, die auch in Österreich seit 30 Jahren schrumpft, haben einige Leute durchaus Grund, frustrierter zu sein. Die Veränderungen sind nicht dramatisch, aber mehr Leute klettern nach oben oder fallen nach unten.

"Sobald die Mittelschicht unter Druck ist oder sich unter Druck fühlt, werden die Herausforderungen für das demokratische System größer", sagt der Meinungsforscher Peter Hajek. Der Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung sei aber abgesichert, sagt er. "Den meisten Menschen geht es derzeit nicht so schlecht."

Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage für einige in den vergangenen Jahren etwas eingetrübt hat, können objektive Veränderungen nur einen kleinen Teil des wachsenden Pessimismus erklären.

In Greinbach leben etwas unter 2.000 Menschen, darunter um die 90 Flüchtlinge.

Das zeigt auch eine Auswertung, die das Forschungsinstitut Sora für den STANDARD vorgenommen hat. 2014 sagten 37 Prozent der Arbeitnehmer, sie blicken pessimistisch in die Zukunft der österreichischen Wirtschaft. Damals lief es konjunkturell auch wirklich sehr schlecht.

Obwohl sich die Daten gebessert haben, ist die Stimmung schlechter.

Mittlerweile hat sich die heimische Wirtschaft stabilisiert, sie wächst wieder so schnell wie in anderen Ländern Europas, der Arbeitsmarkt entwickelte sich im Vorjahr stabil. Jetzt schauen aber bereits 47 Prozent der Arbeitnehmer pessimistisch in die Zukunft. Obwohl sich die Daten gebessert haben, ist die Stimmung schlechter.

Die Greißlerin in Greinbach macht täglich um sechs Uhr auf und ist am Vormittag ein Treffpunkt für viele Pendler, Hausfrauen und Pensionisten. Den Eingang zu Karins Nahversorger ebnet ein Stapel Bierkisten. Eine Runde Männer verlässt das Lokal mit den dottergelben Wänden, einer bleibt kurz stehen. Wie es um Österreich steht? "Nicht sehr rosig", sagt er und huscht davon.

In Karins Nahversorger.
Foto: Maria von Usslar

Karin, lange blonde Haare, Piercing auf der Oberlippe, Schal mit Zebrastreifen um den Hals gebunden, schmeißt hier den Laden. Sie nimmt gerade Geld entgegen, von "Freddie", einem älteren Herrn, der Zwieback und Biskotten erwirbt. Ihr gehe es sehr gut, sagt sie, schlecht sei die Stimmung hier nur, wenn es um die Politik gehe. Ob sich das Land in die richtige Richtung bewege? Sie lacht laut auf, schüttelt stürmisch den Kopf. "Na sicher nicht."

"Es wird alles komplizierter", sagt sie und zuckt mit den Schultern. "Ich glaube, es wird alles immer ärger werden."

Jeder habe Angst vor der Zukunft, sagt sie, während im Hintergrund das Gelächter einer Frauenrunde zu hören ist. "Keiner weiß, was kommt. Was wird mit den Jobs sein?" Sie selbst komme aber gut aus, die Gemeinde zahlt ihr die Miete, damit sie das Geschäft betreibt. "Es wird alles komplizierter", sagt sie und zuckt mit den Schultern. "Ich glaube, es wird alles immer ärger werden."

Aussagen wie jene von Karin kennen Meinungsforscher gut. Viele gehen davon aus, dass es Österreich schlechtergehen wird, "wesentlich weniger meinen aber, dass sie selber betroffen sein werden, dass es ihnen schlechtergehen wird", sagt der Meinungsforscher Christoph Hofinger. Schon 2014 hat in einer Sora-Befragung ein Drittel der Menschen gesagt: "Es ist heute alles so unsicher und wechselt so schnell, dass man häufig nicht mehr weiß, wonach man sich richten soll." Aktuellere Werte dafür gibt es nicht, man kann aber davon ausgehen, dass sie nicht besser geworden sind.

Greinbach ist nicht nur eine Hochburg der Pessimisten, sondern auch Heimat von ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Seinen grauen Audi A6, den er selbst fährt und der hier irgendwie nicht herpasst, parkt er vor dem Gemeindeamt. Zu Fuß ist es nur eine Minute bis zur Greißlerin. Lopatka, nimmt neben den vielen Bierkisten Platz, legt seinen schwarzen Mantel ab und bestellt Semmerl, Butter, Marmelade.

Reinhold Lopatka wohnt in Greinbach. Die Sorgen der Menschen kann er verstehen, sagt er.
Foto: Maria von Usslar
"Wo ist der Lichtblick auf dem Planeten?"

Er hat viele Erklärungen für den Pessimismus parat, den Strukturwandel, die vielen Bauern in der Gegend, die es nicht leicht hätten, Menschen würden wegziehen. In der Stadt seien viele bereits im Ausland gewesen, hier auf dem Land würden die Ängste überwiegen. "Brexit, Trump, EU-Krise, Türkei, Putin", zählt er auf. "Wo ist der Lichtblick auf dem Planeten?"

Auch den Ärger mit der Politik verstehe er, was etwas heißen will, denn seine Partei, die ÖVP, ist seit 1987 durchgängig in der Regierung. Große Reformen passieren kaum, bei den Pensionen tue sich auch wenig. Die Menschen seien verunsichert, die Kriminalität im Bezirk nicht gestiegen, 90 Prozent würden aber das Gegenteil glauben. "Es hilft nicht, mit der Statistik zu kommen", sagt er. "Da muss man reagieren." Um die Verfasstheit der Demokratie macht er sich Sorgen. "Man muss aufpassen, dass es nicht gefährlich wird, weil Protestparteien am Rand die Mitte als stärkste Kraft ablösen."

Flüchtlinge im Ort

Man dürfe aber nicht alles negativ sehen, im Ort habe man im Gewerbepark hunderte Jobs geschaffen. Da bei Don Peppo ums Eck. Dann, sagt er, aus dem Fenster blickend: "Ich will jetzt nicht mit dem Finger zeigen", um dann doch zögerlich seinen Zeigefinger zu heben. "200 Meter da runter sind mehrere Gasthäuser, wo bis zu 90 Flüchtlinge untergebracht sind." Die Stimmung sei dadurch schlechter.

Der Ausländeranteil in Greinbach liegt bei nur 3,9 Prozent. Trotzdem stoßen sich viele Menschen an der Zuwanderung. Es ist ein bekanntes Phänomen: Dort, wo wenige Ausländer leben, denken Menschen negativ über sie. Wer mit jenen ins Gespräch will, die täglich mit Ausländern zu tun haben, muss eine halbe Stunde mit dem Auto gegen Süden fahren.

Ein Mann entlädt einen Laster voller Stierhäute, aus denen bald Leder wird.
Foto: Maria von Usslar

Dort steht ein Laster voller stinkender Stierkadaver. Sie sehen aus, als hätte jemand eine Düse an ihre Stirn gehalten, alle Innereien herausgesaugt und hunderte von ihnen fein säuberlich übereinandergestapelt. In 2,5 Wochen können sie dann über ein Sofa, einen Autolenker oder einen Flugzeugsitz gezogen werden. Wollsdorf in Sankt Ruprecht an der Raab, hier produzieren einige Hundert Mitarbeiter 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Leder.

In der schmutzigen Fabrik arbeiten fast nur Ungarn, Rumänen, Slowenen.

Die Hälfte der Leute ist nicht aus Österreich, in der lauten, nassen, schmutzigen Fabrik arbeiten fast nur Ungarn, Rumänen, Slowenen. "Babylonisches Sprachgewirr" nennt das der Chef. 16.00 Uhr. Die zweite Schicht macht Pause.

Ungarn nicht ungern hier

Gottfried (55) sitzt abseits und blättert in einem Kleinformat. Er trägt eine Brille, seine Zigarette hat er lässig zwischen Zeige- und Mittelfinger gezwickt. Für ihn ist Sicherheit das wichtigste Thema, es werde sicher noch ärger. "Nur noch eine Frage der Zeit, bis auch bei uns eingebrochen wird." Wer mit den paar Österreichern redet, trifft hier durchwegs Pessimisten. Es gehe ihnen gut, aber die Zukunft werde wohl nichts Positives bringen. Die Ungarn oder Rumänen hingegen sind zuversichtlich.

Die Skepsis gegenüber der Politik, der großen, weiten Welt, den Migranten ist in Österreich altbekannt. Christian Friesl, Werterforscher an der Uni Wien und Bildungschef bei der Industriellenvereinigung, hat dazu vor vielen Jahren ein Buch verfasst.

Zuletzt hat sich diese Skepsis mit der schwächeren Wirtschaft, mehr Arbeitslosen, dem Flüchtlingsandrang, Terror und globalen Krisen zu einem giftigen Cocktail vermischt. Dabei sind die meisten davon überzeugt, dass es ihnen persönlich gutgehen wird – auch die Greinbacher.

Es ist ein bisschen so wie in einem Flieger. Dass er abstürzt, ist sehr unwahrscheinlich, trotzdem steigen viele mit Bauchweh ein. Vor dem viel gefährlicheren Auto fürchten sie sich nicht. Dort hat man den Lenker in der Hand. Derzeit wackelt der Flieger, und die Österreicher halten den Piloten für höchst inkompetent. Daher der Ruf nach einem starken Führer.

derStandard.at

Lupenreine Demokraten waren einige nie, wie Friesls Buch zeigt. Die Zahl der Demokratieskeptiker liegt konstant bei etwa 15 Prozent, auch in der Zeit, als die Wirtschaft besser lief und die Welt noch übersichtlicher schien, gab es viele.

Das System wirklich infrage stellt aber eine nur kleine Minderheit, von radikalen Änderungen spricht auch in Greinbach niemand. Die Polizei müsse härter durchgreifen können, einer allein regieren, der einmal richtig aufräumt. Die Regeln der Demokratie werden verhandelbarer, Tabubrüche akzeptabel – wie in den USA.

"Die Politik darf die Menschen beim Interpretieren der Welt nicht alleinlassen", sagt Autor Friesl. Und muss die Frage des Greinbachers von ganz am Anfang beantworten: Wo geht es hin mit uns? (Andreas Sator, Maria von Usslar, 22.1.2017)