Götz Werner: "Im Leben braucht es keinen Druck, sondern Sog."

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STANDARD: Sie haben dm gegründet und zu einer der größten Drogerieketten ausgebaut. Wäre ihr Berufsweg anders verlaufen, wenn Sie ein Grundeinkommen bekommen hätten, an das weder Leistung noch Bedingung geknüpft gewesen wären?

Werner: Ganz sicher. Es hätte damals zumindest nicht die Gefahr bestanden, dass ich gar nichts gegründet hätte. Ich war frisch verheiratet, hatte null Geld, zwei kleine Kinder, sehr spießige Schwiegereltern, die sich nicht vorstellen konnten, dass ich einen guten Job aufgebe, um mich selbstständig zu machen. Es kam damals zu einem Zerwürfnis, das sich bis zu ihrem Tod nie mehr aufgelöst hat. Mein ganzes Lebensgefühl wäre mit einem Grundeinkommen ein anderes gewesen. Jetzt gehöre ich zwar zu jenen, die es trotzdem wagten – aber wie viele tun es nicht?

STANDARD: Ist der Druck, sich eine Existenz aufbauen zu müssen, für viele nicht Anreiz, Neues zu schaffen? Mit sicherer finanzieller Basis geht es ja nur noch um mehr oder weniger, statt um alles oder nichts. Würde Unternehmergeist da vielerorts nicht zu Stillstand erstarren?

Werner: Das ist ein Denkfehler. Im Leben braucht man keinen Druck, sondern Sog. Wer fliegen möchte, braucht Thermik. Flugzeuge fliegen, weil Sog aufgebaut wird. Ich selbst bin Vater von sieben Kindern – die reagierten alle nur auf Sog. Kunden, die bei uns kaufen, kommen, weil sie Sog verspüren, nicht weil ihnen jemand in den Hintern tritt. Philosophisch gesehen ist die Sache mit dem Druck ein Irrtum, den der Teufel erfand.

STANDARD: Sie treten seit mehr als zehn Jahren für bedingungsloses Grundeinkommen ein: 1000 Euro für alle ohne Wenn und Aber. Wurden Sie in Ihrem Glauben an das Gute im Menschen nie enttäuscht?

Werner: Man wird immer wieder enttäuscht. Was wir jedoch aus der Aufklärung gelernt haben, ist Gleichheit: Jeder hat die gleichen Rechte. Aus Grundeinkommen erwächst ein Raum der Freiheit. Es stellt eine ganze Gesellschaft vom Kopf auf die Füße. Niemand muss mehr zu Kreuze kriechen, keiner ist mehr bedrohbar oder erpressbar. Man begegnet Chefs, Ehepartnern, Schwiegereltern auf Augenhöhe. Betrüger, Bettler, Schlawiner gibt es immer. Aber Sie können dann sagen: Junge, hör mir zu, du hast ein Grundeinkommen.

STANDARD: Die Frontlinie bei dieser Debatte verläuft zwischen zwei völlig konträren Menschenbildern. In einem arbeitet der Mensch gern, findet in Arbeit Sinn und Struktur. Im anderen ist er von Natur aus faul.

Werner: Die einen haben ein Menschenbild, die anderen ein Tierbild. Ist der Mensch denn ein determiniertes Reiz-Reaktions-Wesen? Von sich selbst behauptet jeder, er wisse, worauf es ankommt. Die anderen aber, die müsse man auf Trab bringen. Von sich selbst hat man ein Menschenbild, von anderen ein Tierbild. Es ist ein ethisches Problem: Wie trete ich meinen Mitmenschen gegenüber?

STANDARD: Kritiker des Gelds ohne Gegenleistung warnen, dass damit der Anteil der Erwerbstätigen massiv einbrechen würde, dass es jene befreit, die nichts arbeiten wollen, und alle anderen unter der Steuerlast erdrückt. Auch Teilzeitkräfte könnten sich aus dem Arbeitsmarkt in Scharen zurückziehen.

Werner: Wenn ich will, dass was getan wird, habe ich drei Möglichkeiten: Ich schaffe einen attraktiven Arbeitsplatz, ich entwickle eine Maschine, die das erledigt oder ich mache es selbst. Wenn ich anderen Menschen mit Wertschätzung begegne, werde ich sie als Mitarbeiter gewinnen können.

STANDARD: Was, wenn sich Menschen nicht über ihren Job definieren? Bei allem Respekt für den Verkauf von Zahnpasta: Aber stilisieren Sie Arbeit nicht zu etwas hoch, das sie für viele einfach nicht ist?

Werner: Jeder Topf hat einen Deckel, jeder Mensch findet seinen Platz im Leben. Welche Arbeit ich mache, hängt von der Wertschätzung ab, die ich erfahre. Deswegen ist Schlecker zugrunde gegangen. Weil ihn Kunden und Mitarbeiter nicht mehr wertgeschätzt haben. Wir brauchen Arbeit, um uns als Individuum zu definieren und um über uns hinauszuwachsen. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Journalist wären?

STANDARD: Ohne auf ein Gehalt angewiesen zu sein? Vielleicht würde ich jahrelang um die Welt reisen. Das wäre fein für mich, Dienst an der Gesellschaft ist das keiner.

Werner: Aber auch da würden Sie etwas finden, das Sinn macht, womit Sie sich einbringen könnten. Ganz schlaue Linksgestrickte, wobei mir alle gleich lieb sind, sofern sie Zahnpasta brauchen, meinen: Wenn ich ein Einkommen habe, muss ich nicht länger arbeiten. Ich sage: Wollen wir leben, brauchen wir Einkommen. Aber wenn wir leben, können wir auch arbeiten. Das ist die kopernikanische Denkwende.

STANDARD: Was, wenn sich ein riesiger Schwarzmarkt auftut?

Werner: Sie öffnen hier ein zweites Fass: unser falsches Steuersystem. Es ist 300, 400 Jahre alt und besteuert die Arbeit – was ein folgenschwerer Fehlschluss ist. Wir dürfen nicht den Leistungsbeitrag besteuern, sondern die Leistungsentnahme. Es gilt, am Konsum anzuknüpfen.

STANDARD: Sie würden das Grundeinkommen mit deutlich höheren Mehrwertsteuern finanzieren ...

Werner: Alte Steuer raus, Konsumsteuer rein. Es ist ja schon alles finanziert, nur kompliziert und aktivitätshemmend. Jede Steuer, die wir bezahlen, und jedes Einkommen landen ja in den Preisen.

STANDARD: Höhere Preise würden zur einer Konsumflucht über die Landesgrenzen hinaus führen.

Werner: An Grenzregionen ja. Aber letztlich regelt das die Entfernung.

STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt, für existenzsichernde Jobs zu sorgen.

Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch.

STANDARD: Was ist mit Sozialleistungen? Viele fürchten, dass diese über die Hintertür gekippt würden.

Werner: Nein. Das Sozialsystem ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Das Grundeinkommen ist wie eine Flatrate. Es wäre vernünftig, es so hoch zu gestalten, dass alle damit auskommen.

STANDARD: Wer darf rein in dieses System, wer muss draußen bleiben – und wer zieht hier die Grenze? Es wäre Magnet für Zuwanderung.

Werner: Das ist doch schon heute so: Sie müssen bei jedem fragen, der unser Gast sein will, ob er ein Recht dazu hat. Wer gehört dazu, wer nicht: Dieses Problem ist immer zu lösen. Wir können nicht Leute einladen, beim Weihnachtsgansessen teilzunehmen, sie dann an den Katzentisch setzen und ihnen nichts zum Essen geben.

STANDARD: Was halten Sie von einer Verkürzung der Arbeitszeit, um die Arbeitslosigkeit zu senken?

Werner: Oscar Lafontaine (Anm.: früherer SPD-Chef) hat mir einmal gesagt: Sie brauchen doch nur die Arbeitszeit verkürzen, dann haben alle wieder Arbeit. Ich habe zu ihm gesagt: Aber Herr Lafontaine, das heißt, Sie wollen die Zwangsarbeit wieder einführen? Finanziere ich alles über Arbeit, muss jeder einen Arbeitsplatz haben. Genau das gab es in der DDR: Den Leuten wurden Jobs zugewiesen.

STANDARD: Die Schweizer haben sich jüngst klar gegen das bedingungslose Grundeinkommen entschieden.

Werner: 25 Prozent sind dafür! Das muss man ernst nehmen. Bis es in der Schweiz 1972 gelang, das Wahlrecht für Frauen durchzusetzen, hat es im Übrigen drei Volksabstimmungen gebraucht. (Verena Kainrath, 20.01.2017)