Die Frist von Bundeskanzler Kern wurde nicht eingehalten, doch nun gibt es eine Einigung.

Foto: FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Das ÖVP-Verhandlerteam Mahrer (li.), Mitterlehner und Schelling verkündete das Ergebnis der zähen Verhandlungen.

Foto: FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Foto: APA/Schlager

Wien – Die Frist, die Bundeskanzler Christian Kern sich und seiner Regierung zu Beginn der Woche gesetzt hatte, wurde um fast 48 Stunden überschritten. Statt wie geplant am Freitag wurde schließlich erst am Sonntagabend die Einigung vermeldet: SPÖ und ÖVP haben sich auf eine Erneuerung ihres Koalitionsabkommens verständigt. Das teilte Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner nach acht Stunden abschließender Verhandlungen mit.

ORF

Inhalte werden aber erst nach der Zustimmung in den jeweiligen Gremien am Montagvormittag kommuniziert. Die SPÖ hat ihr Präsidium, die ÖVP den Vorstand einberufen. Beginn ist jeweils um zehn Uhr. Noch davor informieren Kern und Mitterlehner Bundespräsident Alexander Van der Bellen persönlich über die Ergebnisse der Verhandlungen.

Sonderministerrat um 12.30 Uhr

Neben den Parteigremien wird das neue Arbeitsabkommen am Montag auch Thema in einem Sonderministerrat. Die Regierung tritt um 12.30 Uhr im Bundeskanzleramt zusammen, dabei sollen alle Minister, wie von Kern gefordert, den Koalitionspakt neu unterschreiben.

"Wenn das jemand nicht unterschreibt, werden wir uns gemeinsam den Kopf über Konsequenzen zerbrechen müssen", sagte Kern Sonntagabend nach Verhandlungsende. Im Anschluss an den Ministerrat werden Kanzler Kern und Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner die Eckpunkte des Arbeitsübereinkommens in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentieren.

Burkaverbot, Arbeitspflicht für Asylberechtigte

Am Sonntagabend drangen schon einzelne Punkte an die Öffentlichkeit. Nach APA-Informationen sollen die Lohnnebenkosten für jene Unternehmen gesenkt werden, die Arbeitsplätze schaffen, also eine Art Jobbonus.

Auch ein neues Integrationsgesetz mit Vollverschleierungsverbot beziehungsweise Burkaverbot im öffentlichen Raum sowie Kopftuchverbot für Exekutive, Richter und Staatsanwälte ist vorgesehen. Neben der Einführung eines Integrationsjahrs sollen Asylberechtigte auch zu gemeinnütziger Tätigkeit verpflichtet werden.

Die kalte Progression, also die schleichende inflationsbedingte Steuererhöhung, soll abgeschafft werden. 80 Prozent der kalten Progression werden künftig nach einer gewissen Zeit automatisch angepasst. Der Ausgleich für die kalte Progression kommt damit allen Steuerzahlern zugute.

Die Forschungsprämie für Unternehmen soll von zwölf auf 14 Prozent steigen, weitere Investitionsförderungen sind bei den vorzeitigen Abschreibungen für Unternehmen geplant. Gelockert werden sollen der Arbeitnehmerschutz – Stichwort Entbürokratisierung – und der Kündigungsschutz für über 50-Jährige. Die Regierung will die Anstellungschancen von über 50-Jährigen erhöhen.

Frauenquoten in Aufsichtsräten

Am Schlusstag der Verhandlungen noch hinzugekommen ist, dass in den Aufsichtsräten auch privatwirtschaftlicher Unternehmen Frauenquoten durchgesetzt werden sollen. Ebenfalls geplant ist, Schülern kostenlos Tablets und Laptops zur Verfügung zu stellen. Allerdings dürfte das erst in einigen Jahren umgesetzt werden. Weitere Zugangsbeschränkungen an den Universitäten kommen ebenfalls, im Gegenzug soll die Studienbeihilfe deutlich ausgebaut werden.

Schritt für Schritt

Laut Mitterlehner handelt es sich um ein "relativ umfangreiches und gutes Programm". Auch die Finanzierung sei geklärt, versicherte Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Mitterlehner ließ offen, ob nun alle Minister das Papier unterzeichnen müssen. Man gehe hier Schritt für Schritt vor.

Es handle sich nun um ein sehr vernünftiges Programm, sagte Kern. Er könne sich also keinen Grund vorstellen, dieses nicht zu unterschreiben, so der SPÖ-Chef wohl in Anspielung auf Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der am Samstag gemeint hatte, er wolle nur das Sicherheitskapitel unterfertigen. Die SPÖ besteht darauf, dass alle Regierungsmitglieder das Arbeitsprogramm unterschreiben. Das sei mit Mitterlehner ausdrücklich so vereinbart worden.

Sobotka attackiert Kern

Sobotka schießt allerdings weiterhin quer. "Das ist ein Misstrauen des Bundeskanzlers gegenüber dem Vizekanzler", erklärte der Innenminister im "Kurier". "Kern kann sich nicht aussuchen, wer von der ÖVP was unterschreibt. Er ist Bundeskanzler und hat keine Richtlinienkompetenz. Und ich habe eine Ministerverantwortung." Im Ministerrat werde er selbstverständlich an der Umsetzung mitarbeiten, sagt Sobotka, aber Kern "soll endlich aufhören, ständig einen Popanz aufzubauen". Für die SPÖ ist das ein Affront.

Sobotka hatte bereits zuvor die Feststellung in eigener Sache getroffen. "Ich setze meine Unterschrift unter mein Kapitel, das ich ausgearbeitet habe, unter sonst nichts", sagte er. Auf Nachfrage betonte eine Sprecherin: "Und wir werden unsere Meinung in diesem Punkt ganz sicher nicht mehr ändern." An einer Unterschrift werde die Koalition ja wohl "bestimmt nicht" scheitern.

Im harmloseren Falle wolle sich Sobotka wichtig machen, lautet die Interpretation aus der SPÖ – im schlimmeren Fall handle es sich um einen handfesten Sabotageversuch: Der Innenminister sichere sich persönlich ab, indem er eigene Verhandlungsergebnisse ausplaudere, hintertreibe gleichzeitig aber das große Ganze.

Flache Sicht

In den offiziellen Repliken aus der SPÖ klang das so: "Ich finde es notwendig, dass das alle auch als ihr Projekt sehen", sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. "Dass jeder nur sagt, ich bin für meinen Teil zuständig, das wäre eine etwas flache Sicht auf Regierungsarbeit. Das heißt auch, dass damit Störfeuer und all diese Dinge, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, aufhören."

Auch ÖVP-Veteran und Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol rief am Sonntag den Innenminister zur Ordnung: "Letzten Endes hat er nur die Wahl, alles zu unterschreiben oder dem Herrn Mitterlehner zu sagen: 'Lieber Reinhold, ich kann das nicht.' Dann muss er gehen."

Von schwarzer Seite in der Koalition wurde ein möglicher Kompromiss skizziert: Die Chefverhandler unterzeichnen den Pakt, der wird dann als Punktation im Ministerrat eingebracht, wo ohnedies alle Beteiligten zustimmen müssten. Also auch Sobotka. Doch der SPÖ war das zu wenig. Sie pochte bis zuletzt auf die Unterschrift aller Regierungsmitglieder ohne Wenn und Aber.

Kern prinzipiell zufrieden

Mit dem Inhalt des ausverhandelten Programms zeigte sich Kern am Sonntagabend zufrieden. Es sei gelungen, ein "pragmatisches Programm" auszuarbeiten. Gleichzeitig erwarte er sich, dass die ganze Regierung zu dem Paket stehe. Von den Ländern verlangt er, dass sie ihren Beitrag leisten.

Was Kern darunter versteht, blieb am Sonntagabend unbeantwortet, denn auch der Kanzler gab vor der Sitzung des SPÖ-Präsidiums keinerlei Details bekannt. Über Nacht wurde noch an der Ausformulierung des Verhandlungsergebnisses gefeilt. Jedenfalls sei das Programm so konkret, dass es keinen Spielraum für Nachverhandlungen oder Interpretationen gebe. Die Gegenfinanzierung sei sichergestellt, ein konkreter Fahrplan festgelegt. Kern will verhindern, dass das Ergebnis im Nachhinein hintertrieben wird oder weiterhin Querschüsse kommen.

Soziale Gerechtigkeit

Erfreut zeigte sich Kern jedenfalls schon, dass die Sozialpartner sich zur Mitarbeit bereiterklärt hätten. Zu den ihm wichtigen Punkten, die nun gelöst seien, zählt für ihn die soziale Gerechtigkeit. Auch bei Sicherheit und Integration habe man gut zueinandergefunden.

Sextett sorgt für Abschluss

Für den Abschluss war schließlich ein Sextett zuständig: Kern, Kulturminister Thomas Drozda und Schieder auf roter Seite sowie Mitterlehner, Schelling und Staatssekretär Harald Mahrer aus dem schwarzen Lager waren angetreten, um eine Einigung zu besiegeln.

Die Endfassung des Papiers wird Montagvormittag vorliegen. Der Öffentlichkeit präsentiert wird das Programm dann am Nachmittag. (red, APA, Gerald John, Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 29.1.2017)