Boston/Wien – Ende November 2016 schrieb Ethan Zuckerman einen für ihn typischen Kommentar auf cnn.com, der Website des Nachrichtensenders. Klar in seiner politisch weltoffenen Haltung, bot der Medienwissenschafter, Internetaktivist und Blogger den Lesern des Beitrags dennoch keine einfachen Lösungen. Er schrieb über Richard Spencer, Führungsfigur der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung, der kurz nach dem Wahlsieg Donald Trumps in einer Rede Naziparolen is Auditorium gebrüllt hatte: "Hail Trump! Hail our people! Hail victory!" Spencer war dabei heimlich gefilmt worden.

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Ethan Zuckerman bei einem seiner öffentlichen Auftritte: Der renommierte Medienwissenschafter vom MIT Media Lab glaubt, dass die Medien das in sie verlorene Vertrauen zurückgewinnen könnten.
Foto: Stefan Boness / Visum / picturedesk.com

Zuckerman begrüßte, dass diese Ansichten und Gedanken der Ewiggestrigen nun auch öffentlich diskutiert werden. Hätte Hillary Clinton gewonnen, "würden wir darüber lachen, was 2016 doch für ein seltsames Jahr war". Die meisten US-Amerikaner würden Menschen wie Richard Spencer nicht einmal kennen. Die Gedankengänge eines Realisten.

Pop-up-Werbung

Der Wissenschafter, geboren 1973, ist als Direktor des Centers for Civic Media am MIT Media Lab in Boston intellektuellen Diskurs gewöhnt. In den 1990er-Jahren arbeitete der Familienvater als Designer für Tripod.com, einer der ersten Communityseite mit User Generated Content. Dabei hat er wohl die Pop-up-Werbung zumindest miterfunden – und sich später sogar dafür entschuldigt. Zuckerman gründete unter anderem Geekcorps, ein Non-Profit-Unternehmen, das technologieaffine Menschen in Entwicklungsländer entsandte, um dort beim Aufbau einer Computerinfrastruktur zu helfen.

Zwei Wochen nachdem der CNN-Kommentar veröffentlicht worden war, schrieb Zuckerman in seinem seit 2003 laufenden Blog My heart's in Accra, benannt nach der Hauptstadt Ghanas, wo er als Fulbright-Stipendiat unter anderem Ethnomusik und Schlagzeug studierte: Er habe unterschiedlichste Reaktion gehört, zum Beispiel, dass er übergewichtig sei und übel rieche. Aufforderungen an den Arbeitgeber, ihn schnellstmöglich zu feuern, hätte es natürlich auch gegeben.

Ethan Zuckermans Keynote bei der Konferenz "Constructive Journalism"
Constructieve Journalistiek

Die interessanteste Reaktion sei aber von einem Alumnus des Williams College im westlichen Massachusetts gekommen, ein College, das er auch absolviert hatte. Der Mann wollte ihn zum Lunch einladen und ihm erklären, warum er ein "Trump supporter" sei.

Die beiden Männer unterhielten sich recht lang und gut über Familien und Berufe, ehe sie zu der Frage aller Fragen kamen: Warum Trump? Zuckermans Gegenüber nannte damals, Anfang Dezember, die versprochene restriktive Einwanderungspolitik als Grund. Die Löhne der Menschen, die unterbeschäftigt sind und schlecht bezahlt werden, würden durch einen Stopp der Migration wieder steigen.

Interessantes Treffen

"Wir hatten natürlich Differenzen, aber die bezogen sich ausschließlich auf unsere Werte", sagte Zuckerman kürzlich zum STANDARD. "Er sprach davon, wie wichtig ihm Amerikaner seien und wie unwichtig alle Nichtamerikaner. Ich kann so natürlich nicht denken. Wir leben alle auf einem Erdball, wir sind untereinander vernetzt. Ich bin nur zufällig in den USA geboren." Das Ergebnis des Gesprächs? "Ich konnte ihn genauso wenig überzeugen wie er mich." Trotzdem sei das Treffen ein Erfolg gewesen. Nun wisse er viel mehr über die Motive eines Trump-Wählers, wenn er auch die Wahlentscheidung selbst niemals nachvollziehen könne.

Zuckerman fragt sich aber immer noch: "Was kann jemanden dazu bewegen, einen Mann wie Trump zu wählen?" Die vorläufige Antwort ist nicht neu: "Die Wähler sind frustriert, sie fühlen sich von den bisherigen politischen Eliten nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen und wählen deshalb jemanden, der ihnen Besserung verspricht und ihre Ängste vordergründig ernst nimmt. "Das ist ja kein rein US-amerikanisches Phänomen, das haben wir in Europa genauso."

Nach gut siebzig Jahren, in denen es um ein gedeihliches Miteinander auf der Erde ging, sei man plötzlich bereit, in die ganz andere Richtung zu streben. "Die Wähler der rechtsnationalen Bewegungen fallen zurück, sie fühlen sich nur als Nation stark, als Community – und wollen Grenzen bauen." Fakten und Vernunft seien für sie keine Argumente mehr.

Ethan Zuckerman erklärt bei einem TED Talk seine Internet-Philosophie.
TED

Zuckerman präsentierte Anfang Dezember 2016 während der Konferenz "Constructive Journalismus" ein Beispiel für mangelnde Vernunft: In Kolumbien stimmte das Volk im vergangenen Herbst gegen einen Friedensvertrag, der verhandelt wurde, um den 52 Jahre andauernden Bürgerkrieg mit der Guerilla zu beenden. Und er sagte im Vortrag: "Das macht eigentlich keinen Sinn, wenn man sich nicht gleichzeitig vor Augen führt, dass mein Land gerade einen Mann gewählt hat, der nicht an Politik, sondern nur an seiner Macht interessiert ist."

Kein Vertrauen mehr

Die Wähler von Trump und Co hätten kein Vertrauen mehr in die Politik, in Institutionen, in die Wissenschaft und auch in die Medien. Eine Situation, die "wirklich furchterregend" sei. Aber: "Angst ist ein angemessener erster Schritt. Man darf sich aber in der Folge nicht paralysieren lassen." Das heißt? Immer wieder auftauchende, hysterische Vergleiche zwischen Trump und Hitler seien unangebracht. "Wer das sagt, hat keine Ahnung von Geschichte." Man sollte vielmehr versuchen, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen.

Auch die Medien seien dazu in der Lage. "Sie sind angeschlagen, aber sicher nicht machtlos." Dabei sei es wichtig, sorgfältig zu arbeiten und sachlich zu berichten. Man müsse dabei die Sorgen der rechten Wähler ernst nehmen, denn die hätten zuletzt zu Journalisten vor allem eines gesagt: "Du verstehst uns nicht. Du schreibst nicht über uns."

Zuckerman selbst bereitet ein Buch über diese Zeit des großen Misstrauens vor. "Ich kann nicht sagen, wann es fertig ist. Ich bin ja Wissenschafter", meinte er beim Interview lachend. In der weltweiten Diskussion über Fake-News fällt er schon seit einiger Zeit mit einem Einwand auf. "Wir nennen Nachrichten so, die Unsinn verbreiten." Nun seien aber auch Politiker dazu übergegangen, ihnen unangenehme Nachrichten so zu bezeichnen. Trump beschimpfte in einer Pressekonferenz einen CNN-Reporter und rief: "Fake-News!" Das wirklich relevante Thema sei wirklich Misstrauen. Und das sei in der laufenden Diskussion zu wenig apräsent. (Peter Illetschko, 12.2.2017)