Es ist wieder einmal Zeit, der Milchsäuregärung ein Loblieb zu singen, weil Vergorenes ganz generell das Leben schöner und das Essen besser macht. Ich habe mich hier schon öfter über die Wunder des Fermentierens ausgelassen, ich zitiere daher heute einen jungen Mann, der mehr vom Essen versteht als die meisten anderen Menschen. Philipp Inreiter ist 23, hat ein halbes Jahr im Noma gearbeitet, im Ryugin in Tokio und im Relae ein Praktikum gemacht und jetzt gerade seine eigene Ramenbar in Kopenhagen aufgesperrt. Ich habe mit ihm für dieses Projekt geredet, unter anderem über das Gären:

"Ich war ja mal fast ein Jahr vegan. Mehr aus Interesse, weil ich das nicht verstehen konnte als Koch. Es hat mir aber sehr geholfen, wegzukommen von dieser Idee, dass Fleisch und Fisch immer im Mittelpunkt stehen müssen und rundherum zerkochter Reis liegt. Es führt dazu, dass du Produkte anders betrachtest und neu zubereitest. Mit Käse und Sauerrahm und Butter schmeckt alles gut, was musst du da noch kochen können? Aber wenn du nur einen Brokkoli hast, wie kriegst du den köstlich? So, dass den wer isst und ihm nichts fehlt? Und genau da fängst du an zu fermentieren. Da wird's dann anders, crunchy, exciting, fucking tasty."

Vergorene Rote-Rüben-Suppe
Foto: Tobias Müller

Bitte verzeihen Sie Philipps Wortwahl, falls Sie so was stört, aber er hat völlig recht. Und glücklicherweise muss man sich dafür auch nicht vegan ernähren – jeder kann ganz einfach bei sich zu Hause fermentieren. Es folgt daher ein wunderbarer Beweis für die Kraft der Gärung: vergorene Rote-Rüben-Suppe mit getrocknetem Sauerkraut, Dill und, weil's dann noch köstlicher wird, Sauerrahm und Ei. Vergorene Rote-Rüben-Suppe klingt zugegeben nicht so sexy – ist es aber.

Die Rübe bekommt durch die Gärung intensive, fleischig-umamige Noten und eine Komplexität, die sie roh einfach nicht hat, die Säure unterstreicht das alles noch. Gemeinsam mit dem knusprigen Sauerkraut, dem frischen Sauerrahm, dem würzigen Dill und dem üppigen Ei ergibt das eine ziemlich umwerfende Geschmacks- und Konsistenzsymphonie, eine Aromenorgie, die mehr an thailändisches Straßenessen denn an europäisches Lagergemüse denken lässt. Wer noch einen Extrakick Schärfe will, reibt frischen Kren darüber.

Borschtsch-Anleihen

Die Idee für die Suppe habe ich den Polen abgeschaut, die eine saure Rote-Rüben-Suppe aus Kwass (vergorenes altes Brot) machen. Die klassische Variante ist aber, wenn ich da richtig informiert bin, eine klare, eher erfrischend-dünne Suppe. Ich setze hier auf eine üppig-cremige Winterversion, die auch Anleihen am klassischen Borschtsch nimmt.

Das getrocknete Sauerkraut ist nicht unbedingt nötig und zugegeben in einer professionellen Küche sinnvoller machbar. Das Warten lohnt sich aber auf alle Fälle. Seine würzige Schärfe ist ein bisschen so etwas wie die österreichische Antwort auf reifen Parmesan. Wenn Sie alle Zutaten beisammenhaben, ist die Suppe in weniger als einer Stunde gemacht. Alles, was es braucht, ist etwas Planung: Die Rüben müssen etwa zwei Wochen vor Genuss eingesalzen werden. Machen Sie mehr, als Sie für die Suppe brauchen: Die Rüben schmecken hervorragend roh als Snack und Beilage, etwa statt Essiggurkerln.

Es gibt übrigens nichts, was Sie davon abhält, die vergorene Suppe auch einmal mit Karotten statt roten Rüben zu probieren oder sich dank Gärung in alte Langeweiler wie die Kürbissuppe neu zu verlieben. Schnappen Sie sich einen Gefrierbeutel (siehe unten) und etwas Gemüse und stoßen Sie die Tür auf in eine neue, aufregende Gemüsewelt.

Vergorene Rote-Rüben-Suppe

Schritt 1: Die Rüben vergären

Milchsäure-Gärung ist eine anaerobe Gärung, sie läuft also unter Abschluss von Sauerstoff ab (mehr zur Gärtheorie gibt's hier). Sie können sich dafür natürlich einen speziellen Gärtopf besorgen, am einfachsten und günstigsten geht es aber meiner Erfahrung nach mit simplen Gefrierbeuteln und einem kleinen Trick – siehe unten.

Schälen Sie Ihre Rüben und schneiden Sie sie in etwa fingergroße Stifte (oder eine andere Form, die Ihnen liegt). Mischen Sie eine fünfprozentige Salzlake: Auf einen Liter Wasser kommen 50 Gramm Salz, dann gut durchrühren, bis es sich aufgelöst hat. Geben Sie die geschnittenen Rüben in einen Gefrierbeutel mit Zippverschluss und gießen Sie genug Salzwasser hinein, dass die Rüben bedeckt sind. Falls Sie etwas Dill bei der Hand haben: Nun ist ein guter Zeitpunkt, ihn ebenfalls dazuzugeben.

Foto: Tobias Müller

Lassen Sie das Waschbecken mit Wasser volllaufen. Geben Sie den Gefrierbeutel hinein, senken Sie ihn langsam ab und drücken Sie dabei die Luft heraus. Wenn nur mehr der Zippverschluss herausschaut und keine Luft mehr im Beutel ist, zippen Sie ihn zu. Es hilft, den Beutel am Ende schräg zu halten und Stück für Stück zuzuzippen, sodass am Ende nur mehr ein Eck aus dem Wasser ragt.

Foto: Tobias Müller

Den Beutel an einem warmen Ort liegen lassen. Sollte er sich von den Gärgasen aufblasen, kurz öffnen, entlüften und die Wasserprozedur wiederholen. Je nach Zimmertemperatur, Rübenart und Salzgehalt der Lake dauert es etwa eineinhalb bis zwei Wochen, bis die Rüben beginnen, aufregend zu schmecken, wobei Geschmäcker natürlich verschieden sind – kosten Sie also regelmäßig, um zu entscheiden, wann Sie Ihre Rüben mögen.

Wenn Sie partout nicht vergären wollen: Die Suppe funktioniert natürlich auch mit frischen roten Rüben. Nehmen Sie dann vielleicht etwas Sauerkrautsaft als Extrakick.

Schritt 2: Sauerkraut trocknen (optional)

Die Chinesen, große Sauergemüseköche und -esser, trocknen ihr Gärgemüse regelmäßig und verwenden es als Würze für so ziemlich alles, was etwas Würze braucht. Bei uns ist das seltsamerweise eher unüblich, dabei geht es natürlich auch mit unseren Formen des Sauergemüses. Die Idee, Sauerkraut zu trocknen und in eine knusprig-würzig-scharfe Köstlichkeit zu verwandeln, verdanke ich Christoph Fink. Es geht furchtbar einfach, es dauert bloß eine Weile und lässt Ihre Wohnung intensiv nach Sauerkraut riechen. Entscheiden Sie selbst, ob das ein Vor- oder Nachteil ist.

Foto: Tobias Müller

Einen Backrost – also ein Gitter, kein Blech – mit Backpapier belegen und darauf locker-lose Sauerkraut verteilen. Es soll nicht zu dick und dicht liegen, sonst trocknet es nicht ordentlich. Bei 60 Grad und Umluft ins Rohr schieben, bis es hellbraun und knusprig ist, etwa vier, fünf Stunden.

Foto: Tobias Müller

Schritt 3: Suppe kochen

Jetzt geht alles ziemlich schnell. Schneiden Sie ein wenig von den vergorenen Rüben in kleine Würfel und stellen Sie sie für später als Suppeneinlage zur Seite.

Zwiebeln grob schneiden und in etwas Butter ordentlich anschwitzen. (Das Verhältnis Rübe zu Zwiebel sollte etwa 3:1 sein – wenn Sie also vorhaben, 600 Gramm Rüben zu Suppe zu machen, nehmen Sie 200 Gramm Zwiebel.) Mit einem ordentlichen Schuss Weißwein ablöschen. Die vergorenen Rüben dazugeben und mit Hühner- oder Gemüsesuppe oder einfach Wasser aufgießen, sodass alles gut bedeckt ist. Zum Kochen bringen und zugedeckt bei niedriger Hitze köcheln lassen, bis die Rüben gar sind, je nach Schnittgröße 30 bis 45 Minuten. Nicht salzen, die Rüben sind bereits salzig genug. Das Ergebnis wird trotz der wenigen Zutaten erstaunlich komplex und vielseitig schmecken.

In der Zwischenzeit pro Esser ein Ei hart kochen (Wie? So!), dann schälen und halbieren. Die fertig gekochte Suppe mit dem Passierstab passieren und mit nicht zu wenig Honig abschmecken. Die Rüben verlieren bei der Gärung viel von ihrer Süße, kommt mir vor, und die muss ihnen zurückgegeben werden. (Ich habe alternativ auch geriebenen Apfel und Apfelessig probiert, der Honig bleibt die erste Wahl.)

In Schüsseln geben und mit je einem Ei, einem ordentlichen Löffel Sauerrahm, gewürfelten rohen Rüben, nicht zu knapp Dill, getrocknetem Sauerkraut und nach Lust und Laune frischem Kren garnieren. Mit Sauerteigbrot und Sauerrahmbutter servieren. (Tobias Müller, 19.2.2017)

Foto: Tobias Müller

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