Dem Heldenplatz wurde und wird in seiner Geschichte immer wieder neue Bedeutung gegeben. Prinz Eugens Reiterdenkmal könne daher auch in einem "postheroischen Zeitalter" seinen Platz haben, meint Aleida Assmann.

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Aleida Assmann ist emeritierte Professorin der Uni Konstanz.

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Wien – Auf den ersten Blick haben Erinnern und Vergessen nicht viel miteinander zu tun. Dass die beiden Vorgänge einander in Wahrheit bedingen, daran erinnert die deutsche Kultur- und Literaturwissenschafterin Aleida Assmann in ihrem aktuellen Buch Formen des Vergessens (Wallstein). "Zum Erinnern gehört das Vergessen unbedingt dazu. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas fokussieren, muss sehr vieles drum herum ausgeblendet werden", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Ein wichtiges Zusammenspiel, das nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch im kollektiven Gedächtnis, bei Plätzen und Denkmälern, zum Tragen komme.

Assmann ist Mitglied im internationalen Beirat des Hauses der Geschichte Österreich (HGÖ), das gerade in der Neuen Burg entsteht. Die Debatte um eine mögliche Umbenennung des Heldenplatzes verfolgt sie mit Interesse – nur zu gut hätte diese auch in ihr Buch gepasst. Sie hält darin aber genügend andere Fallbeispiele parat, die der Debatte zuträglich sind.

Macht durch Geschichte

In einem Streifzug durch die Literaturgeschichte setzt sich Assmann kritisch mit Konzepten des Vergessens auseinander. Da wäre zunächst Robert Musil, der den Denkmälern Unauffälligkeit und Wirkungslosigkeit unterstellte, dabei laut Assmann aber übersah, dass die steinernen Monumente und Gedenkorte durch Riten wie Kranzniederlegungen, Paraden, Kundgebungen oder eben Umbenennungsdebatten sehr wohl regelmäßig ins Bewusstsein der Menschen zurückgeholt werden.

Einem Konzept des produktiven, erneuernden Vergessens im Sinne einer "Tabula rasa" haben Friedrich Nietzsche oder Bertolt Brecht das Wort geredet. "Die Schwäche des Gedächtnisses verleiht dem Menschen Stärke", schrieb Brecht, sie helfe ihm, nach traumatischen Erlebnissen überhaupt neu anfangen zu können. Eine Kehrseite des Vergessens zeigt etwa George Orwell, der in seinem Roman 1984 die missbräuchliche Aneignung der Geschichte in autoritären Systemen analysiert: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit", so sein Schlüsselsatz.

Ambivalenter Umgang

"Zur Umbenennung von Straßen, Plätzen und sonstigen Orten kommt es ganz typisch nach politischen Systemwechseln", sagt Aleida Assmann. Nach 1945 waren das etwa die Adolf-Hitler-Plätze, nach der Wende von 1990 betraf es in den ehemaligen Ostblockstaaten zahlreiche Lenin-Gedenkorte. Der Umgang damit verlief allerdings ambivalent.

Beispielhaft zeigt Assmann etwa, dass der Lenin-Tilgung im Russland unter Wladimir Putin partiell eine Stalin-Restaurierung folgte. Für (unfreiwillig) gelungen hält sie hingegen Skulpturenparks in Moskau und Budapest, wohin man "pensionierte" Denkmäler, die man politisch nicht mehr will, übersiedelt und wo man diese wie in einem Freiluftmuseum besichtigen kann.

Auch für problematische Denkmäler in Österreich wäre so etwas ein gangbarer Weg, meint Assmann. Die Reiterstandbilder Erzherzog Karls und Prinz Eugens, die dem Heldenplatz seit 1878 ihren Namen geben, seien hingegen, wie der Platz selbst, kein Problem: "Wir können zwar sagen, dass das Wort Helden nicht mehr in unseren politischen und wissenschaftlichen Wortschatz gehört, weil wir in einem 'postheroischen Zeitalter' leben – wir unterstellen zum Beispiel nicht mehr, dass der Soldatentod heldenhaft ist, sondern wir trauern über den Verlust dieses Lebens."

Immer wieder neue Bedeutung

Heldenplatz sei allerdings ein Begriff, der sich über die Geschichte immer wieder neu mit Bedeutung gefüllt hat. "Der Platz sollte offen sein für immer neue Helden und Heldinnen – 'postheroisches Zeitalter' bedeutet nicht, dass wir keine Vorbilder brauchen", so Assmann. "Die Geschichtsforschung kann auch neue Helden – verkannte, vergessene – aus dem Schutt der Historie befreien." Außerdem sei der Heldenplatz mit Thomas Bernhard oder Ernst Jandl längst in der Literaturgeschichte verankert.

Über die angestoßene Debatte zeigt sich Assmann dennoch erfreut, "denn die Leute fangen an, sich damit genauer auseinanderzusetzen. Die Geschichte wird lebendig. Genau das soll in Zukunft auch das HGÖ leisten. Es entsteht genau am richtigen Ort und kommt zur richtigen Zeit."

Ein "Platz der Demokratie" an anderer Stelle, etwa auf dem Ballhausplatz? "Nicht unbedingt", meint Assmann, "denn braucht man wirklich einen Platz, um sich zu erinnern, dass man in einer Demokratie lebt?" Auch "Platz der Republik" hält Assmann für nicht notwendig: "Meint man dann die Erste oder die Zweite Republik?"

"Viel wichtiger, dass geredet wurde"

Sinnvoll sei hingegen die Umbenennung des Karl-Lueger-Rings in Universitätsring gewesen, was Assmann auch in ihrem Buch anführt. "Der Name ist viel konkreter als der Heldenplatz. Ein Antisemit und Wissenschaftsfeind sollte in der Universitätsadresse keinen Platz haben." Dass am ebenso umstrittenen Lueger-Denkmal im Ersten Bezirk trotz Umgestaltungsplänen bislang nicht gerüttelt wurde, sieht Assmann entspannt: "Viel wichtiger war, dass darüber geredet wurde."

Darüber reden, kontextualisieren und historisieren statt zudecken und ausradieren, das sei auch der aktuelle Paradigmenwechsel, der sich in der Gedenkkultur abzeichnet. In diesem Sinn seien Zusatztafeln oder auch künstlerische Akzente, die Altes mit Neuem verbinden, wünschenswert. "Nehmen wir uns doch ein Beispiel an der Kuppelüberbauung des Berliner Reichstagsgebäudes oder am Wiener Museumsquartier", so Assmann.

Fokus auf Leerstelle sei richtig

Dass das HGÖ hauptsächlich Republiksgeschichte mit ihren ideologischen Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zeigen wird, hält Assmann nicht – wie einige befürchten – für zu kurz gegriffen. "Beim 20. Jahrhundert gibt es in Österreich eine Leerstelle, es ist richtig, sich darauf zu fokussieren."

Im letzten Kapitel ihres Buches beschäftigt sich Assmann denn auch mit den Überforderungen und Gefahren von zu viel gespeichertem Wissen, wie es im Digitalzeitalter zutage tritt. Das Internet, das niemals vergisst, stellt die althergebrachten Konzepte von Erinnerung gänzlich auf den Kopf. Ein Thema, das sich im neuen HGÖ sicher gut vertiefen ließe. (Stefan Weiss, 1.3.2017)