Barry Jenkins mit seinem Drehbuch-Oscar.

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Guter Rat von einem Dealer: der oscarprämierte Darsteller Mahershala Ali (li.) mit Alex Hibbert.

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STANDARD: Wie stießen Sie auf das Stück "In Moonlight Black Boys Look Blue" von Tarell Alvin McCraney, die Geschichte eines homosexuellen sensiblen afroamerikanischen Jungen namens Chiron, der sich in einer Welt der Drogen und der Gewalt durchschlagen muss?

Jenkins: Das Stück entstand schon im Jahr 2003, ich bekam es 2012 von einem Freund übermittelt. Wenig später entschloss ich mich, nach Europa zu gehen, um dort ohne Ablenkungen schreiben zu können. So geriet ich nach Brüssel. In zehn Tagen schrieb ich sehr schnell einen ersten Entwurf.

STANDARD: Worin lag genauer Ihr Anknüpfungspunkt?

Jenkins: Das war die Figur der Mutter. Denn meine Mutter hatte dieselben Probleme, und auch die Mutter von Tarell ...

STANDARD: Ihre Mutter war drogensüchtig?

Jenkins: Ja. Deswegen war es so schwierig für mich, mit Naomie Harris in dieser Rolle zu arbeiten. Für mich waren diese Szenen wie das richtige Leben, wie eine Therapie mit sehr guten Schauspielern. Ich bin genau in so einer Welt aufgewachsen.

STANDARD: Chiron wird von drei Schauspielern gespielt, wobei sie auf große Ähnlichkeit nicht pedantisch geachtet haben.

Jenkins: Der Hautton war uns wichtig, alle drei sind sehr dunkel, ansonsten war uns Ähnlichkeit nicht so wichtig. Das Leben spielt Chiron ziemlich mit, er muss sich verändern, damit man ihn in Ruhe lässt oder damit er sich durchsetzen kann. Im dritten Teil ist er fast bei einem Gegenteil seiner selbst angelangt. Er ist es satt, dass er für schwach gehalten und getriezt wird, also hat er sich extra männlich gemacht. Es gibt ein Buch von Walter Mirch über Filmschnitt: In the Blink of an Eye (Ein Lidschlag, ein Schnitt), das ist für mich sehr wichtig. Die Augen führen uns in die Seele der Figuren. Ich habe also darauf geachtet, ob man in den Augen noch das Kind sieht.

STANDARD: Liberty City in Miami, wo Sie auch selbst aufgewachsen sind, wirkt nicht unbedingt wie ein Getto. Chiron findet bei einem Dealer regelrecht eine Ersatzfamilie.

Jenkins: Tarell war mit einem Dealer befreundet, diese Figur ist also dramatisiert, aber nicht erfunden. Das Wort Ersatzfamilie trifft ziemlich gut, wie diese Community funktionierte. Alle waren arm, aber man konnte immer bei Nachbarn anklopfen, bekam im Notfall etwas zu essen, natürlich musste man am Abend nach Hause. Für ein Kind ist die Welt, die es umgibt, immer die normale. Deswegen ist die Welt des Films mit leuchtenden Augen erzählt, auch wenn sie hart ist. Meine Erinnerungen sind einfach nicht negativ.

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STANDARD: Kameramann James Laxton ist ein langjähriger Freund. Wie arbeiten Sie miteinander?

Jenkins: Ja, wir waren gemeinsam auf der Filmhochschule. Wir erzählen eine schwere, dunkle Geschichte, aber Miami ist ein prächtiger Ort, wir wollten, dass auch die Bilder toll aussehen. Die Bilder und die Gefühle im Kino waren aber immer auf weiße Haut ausgerichtet, das Filmmaterial von Fuji oder Kodak war darauf kalibriert, und deswegen hat man beim Make-up immer Puder verwendet. Wir aber haben Öl genommen, die Haut sollte glänzen. Das sind meine Erinnerungen: glänzende, verschwitzte, feuchte Haut. Moonlight ist ein kleiner Film, aber wir haben nun die technischen Möglichkeiten, schwarze Haut so zu zeigen, wie ich mich daran erinnere. Wir sind nicht immer sozialrealistisch, wir sind manchmal ganz schön experimentell, ließen uns viel einfallen, um die Gefühle der Figuren auszudrücken.

STANDARD: Ihr Erstling war noch ein No-Budget-Film, aber es hat offensichtlich gereicht, um Ihnen die Türen der Filmindustrie zu öffnen.

Jenkins: Medicine for Melancholy hat 13.000 Dollar gekostet und zirkulierte nicht gerade weit herum, aber Plan B, die Produktionsfirma von Brad Pitt, kannte ihn, sie schauen sich anscheinend wirklich alles an. Als ich 2013 mit dem Drehbuch zu Moonlight aus Europa zurückgekommen war, besuchte ich das Telluride Festival, wo damals gerade 12 Years a Slave gezeigt wurde. In Telluride kam der Kontakt zu Plan B zustande, und dann ging alles ziemlich problemlos. Drei Jahre später hatte Moonlight auch in Telluride Premiere.

STANDARD: Wie weit ist Brad Pitt selbst an so einem Projekt beteiligt?

Jenkins: Anfangs war er nicht sehr präsent, daran sieht man auch, dass Plan B nicht nur Brad Pitt ist. Als der Film fertig war, bekamen wir ein paar Zettel mit Anmerkungen, aber ohne Druck. Schließlich gab es ein Screening – da war Brad dann da. Es gab eine tolle Szene: Brad traf Trevante (Rhodes, der den erwachsenen Chiron spielt). Trevante wollte ein Foto machen für seine Mutter, aber Brad hat dafür gesorgt, dass sie selbst kam, und unterhielt sich ausführlich mit ihr. Er ist sehr großzügig. Mit ihm als Botschafter hatten wir diese wunderbare Freiheit.

STANDARD: Das Leben in den USA ist zuletzt durch den umstrittenen Präsidenten, aber auch durch Bewegungen wie Black Lives Matter stark politisiert worden. Engagieren Sie sich auf eine bestimmte Weise, oder bleibt dafür keine Zeit?

Jenkins: Meine Kunst ist mein primärer Beitrag, aber nicht einem tagesaktuellen Sinn. Moonlight in diesem Moment ist keine Antwort auf irgendwas – ich ging davon aus, dass Hillary Präsidentin sein würde. Jetzt aber ist das ein Film über die Tatsache, dass Amerika allen von uns gehört. Ich bin jetzt ein Faktor und muss mir überlegen, was ich damit tun kann. Bei der nächsten Wahl bin ich sicher von Haus zu Haus unterwegs. (Bert Rebhandl, 3.3.2017)