Angehörige und Freunde der 94 toten Patienten hielten im Februar vor dem Sitz der Provinzregierung von Gauteng eine Mahnwache und protestierten. Die Provinzministerin für Gesundheit, Qedani Mahlangu, ist im Zuge der öffentlichen Aufregung und des darauffolgenden politischen Drucks zurückgetreten.

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Der größte Skandal in der Psychiatriegeschichte Südafrikas hat Konsequenzen: Der Leiter des Gesundheitsamtes in Johannesburg ist suspendiert worden. Eine Untersuchung gegen weitere Mitverantwortliche der Behörde soll eingeleitet werden. Es drohen Klagen wegen grober Fahrlässigkeit.

Der Tod von 94 psychisch kranken Menschen in mangelnder Obhut und schlechten Hilfseinrichtungen empörte vor wenigen Wochen die Öffentlichkeit, als ein Bericht des Ombudsmannes der Gesundheitsbehörde ans Licht gekommen war. Die Gesundheitsministerin der Provinz Gauteng, Qedani Mahlangu, ist unter dem politischen Druck zurückgetreten: Sie hatte den negativen Bericht etwa einen Monat zurückgehalten.

Die skandalösen Ereignisse in der Provinz mit den Metropolen Johannesburg und Pretoria liegen bereits ein Vierteljahr zurück. Aber Südafrikas Gesundheitssystem für psychisch Kranke leidet generell an chronischer Unterversorgung und Personalmangel. Die Pflege in entsprechenden Betreuungsstationen ist begrenzt. "Die Todesfälle und die Umstände zeigen, dass unsere Kapazitäten extrem limitiert sind", sagt Professor Bernard van Rensburg, Präsident der südafrikanischen Gesellschaft für Psychiatrie (Sasop). "Wir brauchen mehr Personal und Teams, die psychosoziale Hilfe in den Gemeinden leisten können; es gibt einen großen Mangel, besonders auf dem Land."

Laut van Rensburg folgt Südafrika dem globalen Trend: Das heißt, die Zahl der psychisch kranken Menschen nimmt zu. Bipolare Störungen betreffen ein Prozent der 56 Millionen Südafrikaner. Depressionen sind wesentlich häufiger, aber auch Angstpsychosen – häufig in Verbindung mit Alkoholmissbrauch – sind auf dem Vormarsch. Die hohe HIV-Infektionsrate im Land wirkt sich negativ aus und lässt Menschen psychisch krank werden. Studien zufolge sollen rund 30 Prozent der Südafrikaner in ihrer Lebenszeit psychisch erkranken und 17 Millionen psychisch krank sein.

Vernachlässigung Betroffener

Die Probleme der gravierenden sozialen Ungleichheit trifft Menschen, besonders in den Townships und ärmeren Schichten, hart. Die hohe Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt und mangelnde Zugehörigkeit in rapide wachsenden Städten und fehlende Unterstützung in einer von Gegensätzen geprägten Gesellschaft liegt vielen Erkrankungen zugrunde. "80 Prozent dieser anfälligen Gruppen besitzen keine Krankenversicherung, um sich bessere Hilfe leisten zu können", sagt van Rensburg.

Viele sogenannte Hilfseinrichtungen, die zugänglich sind, lassen zu wünschen übrig. So sind im jüngsten Falle der 94 chronisch kranken Patienten viele Fehler gemacht worden, die möglicherweise zu ihrem Tod führten, heißt es in dem Bericht des Ombudsmannes Malegapuru Makgoba. Nur ein Patient sei an Folgen seiner psychischen Erkrankungen gestorben. Die anderen starben an Herzinfarkten, epileptischen Anfällen, Hunger und Wundausschlägen sowie Dehydration und Durchfallerkrankungen.

Sie hatten spezielle Pflege in den Krankenhäusern bekommen und sind dann in Einrichtungen geschickt worden, die keine Ärzte oder qualifiziertes Personal besitzen. Einige Unterkünfte hatten kein gutes Essen, Wasser und Medizin. Noch nicht einmal eine Heizung im Winter.

Patienten sollen möglichst aus Institutionen in private Hilfseinrichtungen gebracht werden. Das ist ein Ziel, das generell unterstützt wird. Vor 1997 war die Pflege hauptsächlich auf Institutionen begrenzt – bis die Regierung die Gesundheitswesenregelungen nach der Apartheid überarbeitet hat. Aber es fehlt an einer effektiven Strategie zur Umsetzung, und es hapert daran, die vorhandenen Pflegesysteme zu verbessern.

Mehr als 1300 Patienten waren im vergangenen Jahr aus "Life Esidimeni", einer staatlichen geförderten Einrichtung, an Krankenhäuser und 27 nichtstaatliche Organisationen überwiesen worden, nachdem der Staat seine finanziellen Hilfen gestrichen hatte. Die neuen Organisationen hatten keine Lizenz, steht im Untersuchungsbericht. Am schlimmsten sind die Zustände in dem Haus "Precious Angels", denn dort starb ein Drittel der überführten Patienten innerhalb eines Monats. Der Bericht spricht von chaotischen Zuständen, auch beim Transport: Einige Patienten waren auf der Ladefläche von Kleinlastern transportiert worden oder mit Laken festgebunden.

"Die frühere Ministerin Mahlangu kann nicht einfach diesem Problem den Rücken kehren", sagt Mzukisi Grootboom, Vorsitzener der "SA Medical Association" (Sama). "Sie und andere Mitarbeiter ihrer Behörde müssen zur Verantwortung gezogen werden."

Personalmangel

Die gesundheitliche Versorgung ist ein Dauerproblem. "Es gibt vier Distrikte in Johannesburg und in jedem arbeitet ein zuständiger Psychologe", erklärt van Rensburg. Der Personalmangel sei groß. Da sei es kein Wunder, dass Kollegen in den privaten Dienst abwandern. Da ist auch die Versorgung viel besser, so van Rensburg. Allerdings seien die staatlichen Richtlinien und Programme gut, glaubt er. "Das Drama ist, dass die Umsetzung auf der Provinzebene nicht gelingt." Es müsste besser geklärt werden, welche Patienten nach ihrer Behandlung zurück in ihre Gemeinden gehen und welche Hilfen sie dort brauchen.

Zu Verzögerungen oder Nichtbehandlung führten auch religiöse Gründe. Viele Afrikaner gehen zum traditionellen Mediziner. Oftmals werden dort Symptome psychischer Erkrankungen spät erkannt oder nicht benannt. "Wir müssen mehr afrikanische Mitarbeiter in unseren Gesundheitsbereich eingliedern. Sie können mehr Aufklärungsarbeit leisten und dann können Patienten von der Medizin profitieren", sagt van Rensburg. "Für die Psychologen heißt das, besser und rechtzeitiger in Verbindungen mit der kulturellen Perspektive vieler unserer Patienten zu sein." (Martina Schwikowski aus Johannesburg, 4.3.2017)