Das vom Wiener Studio Wideshot gestaltete kugelige "AI Ship", das sich im Hollywood-Streifen "Independence Day 2" wiederfindet.

Foto: 20th Century Fox

Alien-Fighter nennt sich dieses schnittig-rustikale Flugobjekt aus der Alien-Flotte, das vom Studio Wideshot für den Hollywood-Film "Independence Day 2" redesignt wurde.

Foto: Wideshot / 20th Century Fox

Das dreistöckige Second Solar Spaceship mit gut 900 Quadratmetern für den Themenpark Sensapolis bei Stuttgart.

Foto: Romana Hafner

Für Kapsch KCC entwarfen Wideshot 24 individuell gestaltete Besprechungsräume ...

Foto: Wideshot

.... für Renault ein Formel-1-Motorhome.

Foto: Wideshot

Auch in die Planung der Austro Control in Wien war das Studio eingebunden.

Foto: Bengt Stiller

Johannes Mücke sitzt bei seinem Moon Tug, einem Maschinenheroen aus dem Hollywood-Film "Independence Day 2".

Foto: Wideshot

Oliver Bertram (li.) und Johannes Mücke sind die Chefs von Wideshot.

Foto: Tom Vack

Bubenträume, es sind Bubenträume, die im Palais Collalto mitten in der Wiener Innenstadt fabriziert werden. Der Ort gegenüber der Zentralfeuerwache Am Hof ist ein gut gewählter. Mozart trat in diesem Haus als Sechsjähriger zum ersten Mal in Wien auf. Mehr als 250 Jahre später werken hier andere, größere Buben. Sie träumen nicht nur von Hollywood, von Raumschiffen, Aliens, von Spielzeugautos, Comics und der Formel 1. Sie machen die Träume wahr.

Auf über 500 Quadratmetern, in drei zusammengelegten Wohnungen, ist das Studio Wideshot Design seit ein paar Monaten untergebracht. Gegründet wurde die Firma 2010 von den Architekten und Designern Oliver Bertram (44) und Johannes Mücke (40). Die beiden Deutschen, Bertram stammt aus München, Mücke aus Leipzig, lernten sich an der Wiener Angewandten kennen, wo Bertram in der Klasse von Greg Lynn Architektur lehrte.

Im Ameisenbau

Mittlerweile sind es 22 Mitarbeiter, die hier an Aufträgen arbeiten, die verschiedener kaum sein könnten. Das wird bei einem Rundgang rasch klar: Das verschachtelte Studio wirkt wie ein Ameisenbau des Designs.

In den Fluchten kommt man an Hometrainern vorbei, an Boxsäcken, Science-Fiction-Kostümen, Konferenztischen, Couches, einem Wintergarten, Spinden, Raumschiffmodellen, Wänden voller Comic-Entwürfe, einer Bibliothek und einer Küche. Diese sieht aus, als hätte man sie aus einem Strandhaus in Florida gefladert. Es gibt die aktuellsten Spielekonsolen, eine Bar, jede Menge Bildschirme, Bauhelme in Reih und Glied und einen rotbraunen Jagdhund, der zufrieden durch das Palais trabt. Auslauf hat er genug.

Barock ist außer dem Gemäuer gar nichts, auch nicht die reduzierten Leuchten im Besprechungsraum, die an Ufos erinnern. Fazit: Ein bunter Spielplatz für Kreative, die sich in vieles stecken lassen, bloß in keine Schublade. Und der Name? Wideshot bedeutet übersetzt so viel wie "Totale" und ist ein Begriff aus der Filmbranche, ein Name, der wie Mücke und Bertram erzählen, nicht selten missinterpretiert wird.

"Manche denken dabei an Schnaps, darum sind die Computer in unserem Netzwerk nach verschiedenen Spirituosennamen benannt. Auch mit der Pornoindustrie wurde Wideshot schon in Verbindung gebracht", erzählt Mücke. Entstanden ist der Name innerhalb von sechs Stunden, die man sich gab, um einen Namen zu finden. Mit dabei: ein Sixpack Bier. "Um ein Uhr früh hatten wir den Namen."

Für Prinzen und Autobauer

Bei Wideshot werden Computerspiele und Film-Aliens ebenso erschaffen wie Akustik-Absorber, flexible Tische für Pop-up-Stores, Formel-1-VIP-Lounges für Lotus Renault, Spielzeugautos (noch streng geheim) oder ein gigantisches Raumschiff namens Second Solar für den Themenpark Sensapolis bei Stuttgart. Sein Inneres erstreckt sich auf drei Stockwerke mit 900 Quadratmetern.

Ein anderes, aktuelles Projekt betrifft das gesamte Interieur-Design für den neuen Bank-Austria-Campus in Wien, der 2018 fertig sein soll – immerhin 60.000 Quadratmeter. Auch der geplante Gebäudekomplex von BMW samt Smart-Technologie in Salzburg stammt aus der Feder von Wideshot. Und für den bayrischen Prinzen Luitpold entwirft das Studio verschiedene Gastro- bzw. Tourismusprojekte, zum Beispiel ein Themenhotel in Ostasien. Fortsetzung folgt.

Emsig am Werk sind hier Am Hof Nummer 13 Architekten, Designer, Grafiker, Concept-Artists und Kommunikationsdesigner, die Welten für reale und virtuelle Räume kreieren. Die Kundenliste reicht von Audi und BMW bis hin zu Ubisoft, Sony, Disney, oder 20th Century Fox. Auf 70 Millionen Euro schätzt Bertram die Kosten für die Projekte, an denen Wideshot beteiligt ist.

Raumschiffe für "Independence Day"

Der ganz große Hammer ist die Zusammenarbeit mit Hollywood. Zwischen 2014 und 2016 zeichnen Wideshot unter anderem maßgeblich für das Design der Raumschiffe und einiger Locations des Streifens "Independence Day: Wiederkehr" von Roland Emmerich verantwortlich: Wüste, wilde, monsterhafte und gigantische durch den Weltraum zischende Space-Gefährte und albtraumtaugliche Wesen, die mit den vielzitierten grünen Männchen so viel gemeinsam haben wie Prinzessin Lillifee mit Hannibal Lecter.

Besonders stolz sind Mücke und Bertram auf das Raumschiff Moon Tug. "Das ist eine Art multimobiler, superstarker Space-Gabelstapler", erklärt Mücke. Das klobig charmante Ding mit seinen zwei überdimensionalen Roboterarmen erledigt Aufbauarbeiten auf dem Mond, dient aber auch den Helden des Films, darunter Jeff Goldblum, Charlotte Gainsbourg oder Liam Hemsworth als Transportmittel. "Das Ding ist unbedingt auch ein Held", sagt Mücke. Die Requisite des Moon Tug wiegt 40 Tonnen und ist acht Meter hoch.

Dass es nach diversen anderen Jobs im Filmbusiness leichter wäre, in Hollywood zu arbeiten, verneint Johannes Mücke: "Eine Schwalbe macht auch in Los Angeles noch keinen Sommer. Außerdem bleibt das Geschäft, das wir mit den Filmgeschichten machen, deutlich unter der Hälfte unseres Umsatzes. Der größere Teil ist Architektur und Interieur-Design."

Raumgestaltung

Schnell wird klar, dass das Duo die einzelnen Felder nicht trennt, denn ihre Arbeit wollen sie als ein "Geschichtenerzählen" verstanden haben. Die Architektur schaut auf den Film, der Film auf die Architektur. Ihr Dasein als Architekten, so das Duo, verleihe ihnen eine völlig andere Planungstiefe für Raumschiffe. Schließlich handelt es sich auch dabei um die Gestaltung von Räumen.

Mücke und Bertram wollen nicht als die coolen Hollywood-Guys, die freakige Spaceglider entwerfen, abgestempelt werden, auch wenn sie Roland Emmerich nach der Zusammenarbeit als "unsung heroes" bezeichnete. Wideshot haben, so absurd es im Zusammenhang mit Raumschiffen samt Alienantrieb klingen mag, durchaus Realitätsanspruch. Deshalb arbeiten sie auch mit dem Autor und Physiker Werner Gruber zusammen, der für die beiden zumindest theoretisch versucht, nachzuweisen, ob ihre Raumschiffe tatsächlich funktionieren könnten.

Und? Könnten sie es? "Noch sind wir im Austausch", sagt Bertram. Wideshot sprechen von einer Tiefe, die man bei ihrem Design fühlen können soll, bei Räumen wie bei Raumschiffen. Beides muss plausibel sein. "Wenn man sich zum Beispiel anschaut, was Esa und Nasa derzeit entwickeln, um irgendwelchen Satellitenschrott zusammenzusammeln, schaut das gar nicht so anders aus," erzählt Bertram und spricht weiter von einer Gratwanderung.

Preisgekrönte Besprechungsräume

Das Ganze lässt an die Geschichte von dem B52-Bomber aus dem Kubrick-Film "Dr. Strangelove" von James-Bond-Designer Ken Adam denken, den auch die Chefs von Wideshot verehren. Mit dem Entwurf war Adam so nah an der Wirklichkeit, dass er eines Tages Besuch von der U. S. Air Force bekam. "Die waren kreidebleich wegen der Geschichte, denn das war ja schließlich eine Geheimsache", erzählte Adam 2015 in einem Interview mit RONDO. "Die reale Welt und das, was im Film passiert, wächst immer mehr zusammen", sagt Bertram, "wir haben hier im Studio Filmrequisiten und Produktdesigns liegen. Ich bin mir sicher, dass manche das nicht unterscheiden könnten."

Mücke und Bertram sind überzeugt, dass man auch mit der Gestaltung eines Besprechungszimmers oder anderen, alltäglicheren Entwürfen Geschichten erzählen kann. Für das Headquarter von Kapsch in Wien zum Beispiel entwarf man gemeinsam mit Bühnenbauern 24 verschiedene, preisgekrönte Besprechungsräume. In einem wähnt man sich in einem Strandkorb an der Ostsee, in einem anderen in einem finnischen Birkenwäldchen.

"Wir wollen nicht über einen logischen Prozess ein formales Ergebnis vorwegnehmen, sondern etwas schaffen, das sich entwickelt, egal ob in einem Büro, in einem Film oder einem Computergame", sagt Oliver Bertram und klopft auf das Modell des Moon Tug, das friedlich in der Mitte des Besprechungszimmers steht. Wideshot sehen Gestaltung nicht als Gesamtkunstwerk, sondern als ein Spiel und ein Erleben von Wahrnehmung.

Die beste Idee

Mit ihren Entwürfen kochen Wideshot vielerlei Süppchen. "Dass wir Tischlösungen ebenso entwerfen wie Raumschiffe, finden wir total cool. Wir haben keine Handschrift und wollen auch keine Handschrift. Jedes Projekt soll einen neuen, ganz eigenen Charakter haben." Auch deshalb ist es bei Wideshot Usus, dass ein Mitarbeiter in einem Monat einen Science-Fiction-Kurzfilm entwirft und sich im Monat darauf mit Interieurs für eine Bank beschäftigt.

Durch diesen harten Wechsel sollen Handschriften vermieden werden. "Das Projekt stiftet Identität, nicht die selbstreflexive Handschrift. Oder: Der Wechsel der Mittel generiert Innovation". Auch so fasst das Duo seine abwechslungsreiche Arbeitsweise zusammen. Und noch etwas: "Es geht um die Geschichte, und dafür müssen wir uns aneinander reiben, bis es heißt: The best idea wins.'"

Auch oder gerade deshalb stört es Johannes Mücke nicht, wenn einem Studios oder Regisseure wie Roland Emmerich bei der Arbeit dreinreden, "Ich liebe es, wenn dreingeredet wird. Das ist das Beste. Wir stehen auf eine Art Kurzpassspiel, sei es intern oder mit einem Kunden. Ich denke, dass großartige Ideen in den seltensten Fällen in einem einzelnen Kopf entstehen, sondern einen Dialog erfordern. Das gilt auch für die Kunst. Meine härteste Kritikerin ist übrigens meine Frau. Die kann Dinge mit einem Handstreich zerschmettern. Ich finde das gut."

Und wie ist das nun mit dem Bubentraum? "Klar ist das Ganze ein Bubentraum. Mehr als das. Los Angeles, Film, all das ... Ich produziere gerade einen kleinen Science-Fiction-Film, über den ich aber noch nichts erzählen möchte," erzählt Mücke und fährt fort, "und meine beiden Töchter glauben, dass ich aufgrund der Geschichten, die ich ihnen erzähle, einst ein Pirat war. Damit geben die in der Schule an." Und die glauben das dort? "Ja, klar", sagt Mücke und zeigt seinen blitzblanken Schädelring am Finger. (Michael Hausenblas, RONDO, 17.3.2017)

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