Seit Februar betreiben Aktivisten das Murcamp, wo gekocht, diskutiert und Protest organisiert wird.

Foto: Elmar Gubisch

Unter dem Camp: Eine Hängematte zum Nachdenken.

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Hunderte Murwächter aus Steinen stehen entlang des Flusses.

Foto: Elmar Gubisch

Graz – Der Protest gegen das im Bau befindliche Murkraftwerk in Graz dauert unvermindert an und hat viele Gesichter – nicht nur, was die Personen angeht, die ihn mittragen. Auch die Formen des Protests gegen das ökologisch, aber auch ökonomisch umstrittene Kraftwerk sind divers.

Da gibt es die meist vermummten Aktivisten, die wiederholt die Baustelle besetzten und auch am Mittwochmorgen wieder zum "Baggerzähmen" aufriefen. Das anonyme Kollektiv wies in seiner Presseaussendung darauf hin, friedlichen Protest im Sinn zu haben und bei "polizeilichen Maßnahmen besonnen und gewaltfrei" zu agieren.

Fünf Verhaftungen

Am Mittwochmorgen endete die Aktion unter der Puntigamer Brücke nach wenigen Minuten, da es nur eine Handvoll Aktivsten hinter den Baustellenzaun schafften – und bald umkehrten. Am Nachmittag probierten es einige nochmals und besetzten schließlich vorübergehend eine Baumaschine. Die Polizei bestätigte dem STANDARD am Abend, dass es dabei zu fünf Verhaftungen kam. Die Betroffenen wurden auf das Polizeianhaltezentrum Paulustor gebracht, wo sie bis zu 24.00 festgehalten werden können, hießt es seitens der Polizei.

Mobile Küche

Im Murcamp, ein Stück weiter nördlich am Fluss, ist niemand vermummt. Hier sind um neun Uhr morgens schon einige am Kochen, Aufräumen und Organisieren. Mehrere Stände, Zelte, eine kleine mobile Küche und eine Feuerstelle bilden in der Kurve eines Rad- und Spazierwegs das bunte Protestcamp, das hier vor einigen Wochen aufgebaut wurde.

Gäste werden freundlich begrüßt, auch Jogger bleiben stehen und werfen einen Blick auf aufgelegte Flyer und Plakate, auf denen die nächsten Termine angekündigt werden. "Am Freitag gibt es eine gemeinsame Aktion mit den Leuten von den Schrebergärten", sagt eine Aktivistin und zeigt in Richtung der Schrebergartensiedlung. Auch Anrainer aus den Wohnsiedlungen kämen oft her und unterstützten die Protestcamper. "Natürlich gibt es auch negative Meldungen von Leuten", erzählt ein Kollege der jungen Frau, "aber die sind eher in der Minderheit." Bei vielen stelle sich schnell heraus, "dass sie nicht viel über das Kraftwerk wissen, weil es keinen offenen Diskurs darüber gegeben hat". Man sei auch so etwas "wie ein alternatives Infobüro", sagt die Frau. Die Energie Steiermark hat ein offizielles Dialogbüro eröffnet, bei dem sich Grazer am Dienstag von acht bis zehn und freitags von 13 bis 15 Uhr informieren können sollen.

Spuren von NS-Lager

Ein grauhaariger Mann steht vor einem Stand, auf dem Funde aus dem Aushub vom Areal des ehemaligen NS-Lagers Liebenau neben bekannten Publikationen steirischer Historiker über die Todesmärsche der Nazis durch die Steiermark aufgelegt sind. "Ich bin selber ein alter Liebenauer", erzählt der Mann dem Standard, "und ich tät' nicht hier stehen, wenn ich glauben würde, dass das Kraftwerk wenigstens genug Strom erzeugen wird." Außerdem mache er sich Sorgen, "dass jetzt die letzten Spuren von diesem Lager vernichtet werden, ohne dass man es ordentlich aufarbeitet. Schon in meiner Jugend hat man immer gesagt, da liegen welche, aber man darf nicht darüber reden."

Dass die Energie Steiermark das Bundesdenkmalamt, Archäologen und Historiker beschäftigt, die die Arbeiten auf dem Lagerareal, wo noch Massengräber vermutet werden, begleiten, beruhigt den Mann nicht. Er zeigt auf einen Knochen auf dem Tisch. "Den haben wir dort gefunden, aber wir wissen nicht, ober er von einem Menschen ist", räumt er ein, "einen anderen haben wir aber eingeschickt zur Analyse."

Hängematte und Specht

Hinter dem Camp fällt die Uferböschung steil ab. Man hat provisorische Holzstufen in die Erde gesteckt und ein dickes Kabel zum Festhalten bis hinunter zum Wasser gespannt. Hier ist das Ufer noch weitgehend von Rodungen verschont geblieben, es herrscht zumindest zeitweise Stille. "Ganz früh hört man sogar einen Specht", erzählt ein Aktivist.

Hier findet man Hängematten, einen Sessel mit Blick auf den Fluss und rundherum hunderte aus Steinen aufgestapelte Figuren, die das Ufer ein ganzes Stück weit säumen. "Murwächter" nennen sie die Umweltaktivisten.

Oben haben sich mittlerweile an die 20 Menschen im Camp eingefunden, Aktivisten und Anrainer. Am Samstag gibt es wieder eine gemeinsame Uferreinigung, erzählt eine Aktivistin, und danach ein Fest mit Anrainern. Bei Letzterem will man den vorübergehenden Rodungsstopp feiern. (Colette M. Schmidt, 15.3.2017)