MS-Patientinnen, die schwanger sind oder es werden wollen, sollten ihre Medikamente gegen die Autoimmunerkrankung absetzen, weil sie den Fötus schädigen können.

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Wien – Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung. Das heißt, das Immunsystem greift den eigenen Körper an, im Fall der MS Teile von Gehirn und Rückenmark. Charakteristische Symptome sind Kribbeln in den Fingern, Taubheitsgefühle in Füßen, Oberschenkeln und Armen, bei manchen Betroffenen werden die Nerven derart geschädigt, dass sie mit den Jahren nicht mehr selbstständig gehen können.

"Während der Schwangerschaft nehmen die Schübe dann kontinuierlich ab", erklärt Neurologin Barbara Bajer-Kornek von der Medizinischen Universität Wien. Woran das genau liegt und was während der Schwangerschaft im Körper der Frauen passiert, ist bislang jedoch kaum erforscht.

In Österreich leben laut der Österreichischen Multiple-Sklerose-Gesellschaft (ÖMSG) rund 12.500 Menschen mit der neurologischen Erkrankung. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen – viele im gebärfähigen Alter. Dass es bislang trotzdem relativ wenig Daten über die Krankheit bei Schwangeren gibt, liegt auch daran, dass den Patientinnen lange Zeit abgeraten wurde, eigene Kinder zu bekommen.

Schwangerschaft schützt

Bekannt ist bislang Folgendes: In den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ist tatsächlich nahezu jede Zweite der Frauen schubfrei. Im letzten Drittel nehmen die Schübe sogar um bis zu 80 Prozent ab – eine Wirkung, die bis jetzt kaum mit Medikamenten erreicht wurde. Ist die Schwangerschaft vorbei, steigt die Schubrate erneut.

Stefan Gold, Leiter des Bereichs Neuropsychiatrie an der Berliner Charité hält das Phänomen für einen positiven "Nebeneffekt" der Evolution. "Da der Embryo nur zur Hälfte die genetischen Eigenschaften der Mutter besitzt", erklärt Gold, "nimmt ihr Körper den Fötus erst einmal als Fremdkörper wahr." Das sei im Grunde vergleichbar mit einer Organtransplantation von einem Fermdspender. Damit der Körper das Ungeborene nicht abstößt, passt sich das Immunsystem an, sprich es verändert sich. Wie es das macht, ist Gegenstand intensiver Forschungsarbeit.

An dem Prozess beteiligt, sind zum einen die Hormone. Wissenschafter von der University of California in Los Angeles (UCLA) konnten in einer Studie an nichtschwangeren MS-Patientinnen nachweisen, dass die Gabe des Schwangerschaftshormons Östriol die Schubrate nachhaltig senkt. "Mit dem Effekt einer echten Schwangerschaft war die Wirkung allerdings nicht vergleichbar", so Gold. Das Problem ist auch, dass Hormone immer systemisch, also auf den ganzen Körper wirken und dadurch oft eine Reihe zusätzlicher Nebenwirkungen haben.

Zusammen mit seinen deutschen Kollegen am Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose (INIMS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) erforscht Gold deshalb, was bei einer Schwangeren in den Zellen des Immunsystems auf molekularer Ebene geschieht. Mechanismen, die sich – sind sie erst einmal entschlüsselt – viel gezielter beeinflussen lassen.

T-Zellen in Schlüsselfunktion

Eine maßgebliche Rolle scheinen dabei die T-Zellen zu spielen. Diese weißen Blutkörperchen sind Teil des Immunsystems und schützen den Menschen vor Infektionen und körpereigenen Tumoren. Dabei gibt es unterschiedliche Gruppen von T-Zellen. Die einen kurbeln das Immunsystem an, die anderen fahren es herunter. Damit die körpereigene Abwehr funktioniert, bedarf es einer entsprechenden Balance. Bei der multiplen Sklerose scheint das Verhältnis der T-Zellen jedoch aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.

Die Schwangerschaft scheint die T-Zellen wieder in die richtige Balance zu bringen. Bei schwangeren und nichtschwangeren Mäusen fanden Gold und sein Team in den T-Zellen nun einen Hormonrezeptor, den sogenannten Glukokortikoidrezeptor, mit dem sich ihr Verhältnis beeinflussen, vielleicht sogar steuern lässt. Ob der Rezeptor auch beim Menschen funktioniert und ob er es ist, der MS-Patientinnen in der Schwangerschaft vor Schüben schützt, gilt es nun zu untersuchen. "Denn sind diese Mechanismen erst mal entschlüsselt", ist Gold überzeugt, "lassen sich bald auch bessere Medikamente gegen die Krankheit entwickeln."

"Bis es so weit ist, ist es jedoch wichtig, dass Frauen mit MS ihre Schwangerschaft gut planen und ihren Kinderwunsch mit ihrem Arzt besprechen", betont Fachärztin Bajer-Kornek. Denn einige Medikamente, die in der MS- Behandlung eingesetzt werden, können das Ungeborene nachhaltig schädigen. Den Frauen wird daher meistens empfohlen, ihre Therapie noch vor Beginn der Schwangerschaft zu unterbrechen, spätestens jedoch so-bald sie tatsächlich schwanger sind. (Stella Marie Hombach, 18.3.2017)