Im Ringen um die politische Mitte rückt Kanzler Christian Kern die SPÖ unweigerlich nach rechts. Vielleicht hat er in der Euphorie seiner Amtsübernahme zu viel Anlauf genommen. Aber er ist dort gelandet, wo die FPÖ zu Hause ist und die ÖVP sich tummelt. Wo man keine Ausländer mag, die Grenzen dichtmachen möchte, sich abschottet und nationale Egoismen über europäische Verpflichtungen stellt. Wo die internationale Solidarität nur noch für Sonntagsreden taugt, in der Praxis aber keinen Platz findet. Es war der Kanzler, der die Initiative an sich gezogen hat: Sollen die Flüchtlinge bleiben, wo sie sind.

In der SPÖ flaut die Begeisterung über den neuen Chef ab. Es wäre auch zu schön gewesen. Endlich hatte man wieder einen, der gescheit ist und eloquent, der fesch ist und gut reden kann, der die Werte hochhält und weiß, was er will. Ein Kanzlerdarsteller, auf den man stolz sein kann.

Das Hochgefühl wich der Ernüchterung: Das Hochhalten der Werte passt auch der neue Kanzler dem allgemeinen Stimmungsbild an, Prinzipien werden an Umfrageergebnissen ausgerichtet. Mit fraglichem Erfolg: Während die ÖVP ihre Positionen in der Regierung konsequent umsetzt, braucht man bei der Spurensuche nach sozialdemokratischer Handschrift viel Geduld und guten Willen.

Raum im linken Spektrum

Da müsste sich im linken Spektrum der Republik ein Raum auftun. Im emsigen Versuch, nach rechts abzudichten, macht der Kanzler auf der anderen Seite eine Flanke auf. Dort tut sich aber – nichts. Auch die Grünen suchen die Mitte, nicht nur die politische, vor allem ihre eigene Mitte. Sie halten wieder einmal eine Nabelschau ab, sind ganz mit sich selbst beschäftigt. Sie könnten den Kanzler attackieren, ihre Werte hochhalten, für Europa eintreten, und dann gäbe es noch eine Reihe von sachpolitischen Themen, die jetzt nicht ganz falsch wären – aber die Grünen haben gerade keine Zeit. Sie müssen erst einmal ihre eigene Parteijugend demontieren. Und sich auf die Suche nach einer neuen, braveren Jugend machen, die weniger frech zur Chefin ist und im Idealfall einfach einmal den Mund hält, sollte es in einer kontroversen Auseinandersetzung eng werden.

Dabei gibt es bei den Grünen durchaus so etwas wie innerparteiliche Demokratie. Beispiel Wien: Dort stimmt die Parteiführung ihre Position mit der SPÖ ab und beschließt den Bau eines neuen Hochhauses am Heumarkt. Nachdem der Unmut in der eigenen Basis über dieses Projekt ein Ausmaß erreicht hatte, das man nicht mehr übergehen konnte, wurde eine Urabstimmung unter den Mitgliedern eingeleitet. Eine strategische Meisterleistung: Geht die Abstimmung gegen das Projekt aus, ist Maria Vassilakou als Wiener Parteichefin Geschichte. Damit hätten sich die Grünen wohl auch aus der Rathauskoalition gesprengt. Hier wurde ein Selbstzerstörungsprozess in die Wege geleitet.

Grüne Selbstlähmung

So lähmen sich die Grünen selbst. Anstatt mit konstruktiver Kritik zu punkten, tragen sie ihren Zank hinaus. Es ist erstaunlich, wie wenig es ihnen gelingt, jenen breiten Raum zu nützen, den ihnen die Koalitionsregierung unter Kern lässt. Als einer der wenigen hält unverdrossen Peter Pilz das grüne Fähnchen in der Öffentlichkeit hoch, aber der wird von Parteichefin Eva Glawischnig mehr gelitten als geschätzt.

So kann Kern ruhig noch ein Stückchen nach rechts rücken, ohne dass ihm links jemand den Platz streitig macht. Die Grünen sind dazu derzeit offenbar nicht in der Lage. (Michael Völker, 31.3.2017)