In Rupert Sanders' "Ghost in the Shell" macht Scarlett Johansson als menschelnder Cyborg Jagd auf einen Cyberterroristen.

Foto: Paramount Pictures

Wien – Vor zwanzig Jahren, als das Kino gerade im Begriff war, seine Vormachtstellung als Leitmedium des 20. Jahrhunderts zu verlieren, überraschte ein japanischer Anime das westliche Publikum: Basierend auf dem gleichnamigen Manga Shiro Masamunes gelang es Oshii Mamoru mit dem im Japan des Jahres 2029 angesiedelten Film Ghost in the Shell (1995), den Umbruch angesichts des neuen Jahrtausends intuitiv zu erfassen. Die Achtziger mit ihrer Neo-Noir-Ästhetik und Klassikern wie Blade Runner hatten das Science-Fiction-Genre nachhaltig beeinflusst. In Ghost in the Shell aber war das Credo der totalen Vernetzung auf den Punkt gebracht.

Paramount Pictures

Die Frage, wie weit sich Steven Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks mit ihrer Realverfilmung vom Original entfernt hat, ist seit dem Kinostart selbstverständlich auch im Netz ausführlich diskutiert worden. An "Hollywood" wurde dabei einmal mehr kein gutes Haar gelassen. Umgekehrt hat so mancher Feuilletonist philosophisches Geschütz aufgefahren und ist für Rupert Sanders' Neuverfilmung in die Bresche gesprungen. Dass das wiederum hauptsächlich mit dem bestaunenswerten Körper von Scarlett Johansson zu tun haben könnte, soll aber selbstverständlich niemandem unterstellt werden.

Naher Feind

Dabei bräuchte man diesen Film gar nicht daran zu messen, ob er die nüchtern-zynische Weltsicht des Originals adäquat in die Gegenwart übersetzt. Oder daran, ob einzelne Szenen als respektvolle Hommage an die Vorlage betrachtet werden können. Woran Ghost in the Shell aber zu messen ist, das ist die Frage, was er aus seiner Grundidee – sozusagen seinem "Geist in der Schale" – unter Berücksichtigung seiner Möglichkeiten und auch Beschränkungen hervorzubringen imstande ist.

"It's okay. Just breathe." Bereits die ersten Worte, die der Cyborg von der verantwortlichen Wissenschafterin (Juliette Binoche) eines Technologiekonzerns zu hören bekommt, sind ein Kommando. Und die Maschinenfrau mit dem weißen Schuppenpanzer und der Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, wird weitere Befehle erhalten.

Sie, genannt "The Major", gehört fortan zu einer Eliteeinheit im Kampf gegen einen Kapuze tragenden Cyberterroristen, der das System mittels Hackerangriffen zu stürzen droht. Dass der Feind noch ein anderes Gesicht hat und der Weg zu ihm für Major mit dem Erkennen der eigenen Herkunft einhergeht, das wiederum ist jener Weg, von dem Ghost in the Shell keinen Millimeter abweicht.

Denn die Beschränkung dieses Films liegt in seiner Engstirnigkeit, die in dieser Hinsicht seit Jahrzehnten ausgetretenen Pfade nicht zu verlassen. Der Idee von der Verschmelzung von menschlichem Geist und künstlichem Körper, von humaner Intelligenz und Androidentechnologie weiß dieser Film wenig hinzuzufügen. Die Erinnerungen aus dem vorigen Leben, die als Pannen – als "glitches" – des Majors Gedächtnis infiltrieren, machen sie als Waffe zunehmend unbrauchbar. Bis es im Cyborg gewaltig menschelt.

Nahtlos angepasst

Auf der anderen Seite schöpft Ghost in the Shell seine visuellen Möglichkeiten perfekt aus. Das Metropolis der Zukunft, das wohl immer so aussehen wird wie bei Fritz Lang, ist diesmal eine mit Hologrammen überflutete Wolkenkratzerlandschaft, die kaum einen Lichtstrahl durchlässt. Das ist High-Concept-Kino in Vollendung, bei dem sich das Setdesign so nahtlos an die Erzählung anpasst wie die falsche Haut an den kybernetischen Organismus. Im Imax-Format und in 3-D allerdings nur gegen Aufpreis.

Ghost in the Shell ist ein Film an der Leistungsgrenze der Science-Fiction, der zeigt, was geschieht, wenn die Technik die Geschichte bestimmt statt umgekehrt. Doch wenn die Ideologie verschwunden ist, kann es auch keine Kritik mehr an ihr geben. Dann ist der Kampf des Individuums gegen Militär, Politik und Wissenschaft auch im 21. Jahrhundert nur einer um die eigene Identität. (Michael Pekler, 4.4.2017)