Das Leben mit dem Krieg in Syrien, unter konventionellen Angriffen. Wenn Giftgas im Spiel ist, schaut die ganze Welt hin.

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Damaskus/New York/Wien – Die internationalen Stellungnahmen zum Giftgasangriff in der syrischen Stadt Khan Sheikhun am Dienstag waren zunächst keine konkreten Schuldzuweisungen für die monströse Tat: Seriöserweise ist so etwas ohne jede Untersuchung und Überprüfung nicht möglich. Aber der Tenor war dennoch klar und in diesem Sinn eindeutig: Das syrische Regime ist für den Krieg in Syrien verantwortlich, und ein Regime-Angriff steht auch hinter diesem Desaster. Im Laufe des Mittwoch wurde Assad immer öfter direkt als Schuldiger benannt, vor allen von US-Präsident Donald Trump.

Denn selbst wenn die russische Behauptung wahr sein sollte, dass sich die chemischen Substanzen – vielleicht das Nervengas Sarin – in Rebellenbesitz befanden, so sagt das nichts darüber aus, mit welcher Absicht das Regime das fragliche Waffendepot bombardieren ließ. Wenn dort C-Waffen aus alten Beständen waren, wusste das Regime vielleicht Bescheid. Aber an der russischen Version der Geschichte werden prinzipiell Zweifel geäußert.

Die Konstellation bei der Uno-Sicherheitsratssitzung in New York am Mittwoch, in der eine neue Syrien-Resolution auf den Weg gebracht werden sollte, war hoffnungslos: Gegen eine in der Resolution geforderte Untersuchung kann auch Russland nicht sein, wenn es von der eigenen Darstellung überzeugt ist. Aber Moskau stimmte dem von den USA, Großbritannien und Frankreich vorgelegten Text dennoch nicht zu, da er nach Meinung Moskaus eine Vorverurteilung des Regimes für die Tat enthielt. Es kam nicht einmal zur Abstimmung.

Obama ist Schuld

Die Schuldzuweisungen trafen aber nicht nur Bashar al-Assad. Eine deutsche Regierungssprecherin betonte, dass ohne die andauernde Unterstützung Assads durch Russland und Iran längst wirkliche Friedensverhandlungen geführt worden wären.

Ein zusätzliches "blame game" spielt hingegen Trump: In einer Erklärung nannte das Weiße Haus die Geschehnisse eine Folge der "Schwäche und Unentschlossenheit" von Ex-US-Präsident Barack Obama. Damit ist gemeint, dass Obama 2013 auf einen Chemiewaffeneinsatz, der dem Regime zugeschrieben wurde, nicht militärisch reagierte. Die Ironie der Geschichte ist, dass Trump Obama damals per Twitter aufforderte, er solle nicht eingreifen: Syrien ginge die USA nichts an.

Im Einklang mit der US-Verteidigungsstrategie von 2012, die die Eindämmung von Massenvernichtungswaffen als Priorität bezeichnete, hatte Obama eine "rote Linie" gezogen, nach deren Überschreiten die USA in Syrien militärisch intervenieren würden: eben den Einsatz von Chemiewaffen. Am 21. August 2013 wurde in der Ghouta östlich von Damaskus mithilfe von Boden-Boden-Raketen Sarin eingesetzt, nach US-Überzeugung vom Regime.

Obama blies jedoch den US-Angriff ab, nachdem sich Assad nach russischer Vermittlung bereit erklärt hatte, die syrischen Chemiewaffen und die dazugehörigen Produktionsanlagen abrüsten zu lassen. Dieser langwierige Prozess begann im Herbst 2013, Syrien trat auch der Chemiewaffenkonvention bei. Immer wieder wird jedoch das Regime beschuldigt, Bestände zurückgehalten zu haben.

Trump, der erst vor wenigen Tagen die US-Politik formuliert hatte, dass der Sturz Assads keine Priorität habe, bekannte sich am Mittwoch dazu, "flexiblel" – und darauf "stolz" – zu sein. Er habe seine Meinung zu Syrien und Assad geändert. Dort seien mehrere rote Linien überschritten worden. Was das konkret für die US-Politik gegenüber Syrien bedeuten würde, wollte der US-Präsident nicht sagen.

Arbeit der Chemiewaffenexperten

Auf alle Fälle wird die in Den Haag ansässige OPCW (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons) tätig werden. Die OPCW, die 2013 den Friedensnobelpreis erhielt, etablierte für Syrien eine stehende Fact Finding Mission (FFM), die verdächtige Einsatzfälle untersucht. Sie liefert die Basis für die Arbeit des Joint Investigative Mechanism (JIM) von OPCW und Uno, den der Uno-Sicherheitsrat 2015 schuf. Diese Stellen werden sich auch mit den neuen Vorfällen befassen.

Daran dass in Syrien neben jenem zwischen Regime und Rebellen auch noch ein anderer, mindestens ebenso grausamer Krieg tobt, erinnerte eine Meldung von Mittwochabend: In Deir ez-Zor habe der "Islamische Staat" 33 Menschen enthauptet. Auch der IS hat bereits Chemiewaffen in Syrien eingesetzt.

Chemiewaffen im Nahen Osten

Syrien galt stets als eines der Länder mit den weltweit größten Arsenalen an Chemiewaffen, sie wurden mit sowjetischer und ägyptischer Hilfe angeschafft. Zwei Staaten im Nahen Osten sind der Chemiewaffenkonvention nicht beigetreten: Ägypten und Israel, das 1993 den Vertrag unterzeichnet, aber nie ratifiziert hat. Für beide Staaten hat der Nichtbeitritt heute mehr politische als praktische militärische Gründe.

Der Irak, der im Krieg gegen den Iran und auch gegen seine eigene kurdische Bevölkerung (Halabja 1988) massiv Giftgas eingesetzt hatte, trat 2009 bei. Das erste arabische Land, das Chemiewaffen benutzte, war jedoch Ägypten, im Jemen-Krieg der 1960er-Jahre.

Der Satz "I am strongly in favour of using poisonous gas" stammt jedoch von einem Europäer. Der damalige "Secretary of State for Air" Winston Churchill empfahl den Einsatz gegen "uncivilised tribes", unzivilisierte Stämme. Ein Giftgaseinsatz gegen die arabische Revolte im Irak 1920 ist jedoch nicht gesichert. Dagegen hatte er bei der "zweiten Schlacht von Gaza" 1917 im Ersten Weltkrieg tatsächlich stattgefunden: Die Gase wurden jedoch vom warmen Wind sofort verweht; die Türken, gegen die die Briten kämpften, merkten nichts davon. (Gudrun Harrer, 5.4.2017)