Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman, ",Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin' – Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen". € 26,80 / 349 Seiten. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.

Suhrkamp

Vielleicht ist es auch nur eine rein zufällige Koinzidenz. In jüngster Zeit sind jedenfalls gleich mehrere lesenswerte Bücher auf Deutsch erschienen, die sich damit befassen, wie sich Menschen in totalitären Systemen verhielten und sich damals arrangierten – oder eben auch nicht.

Der englische Schriftsteller Julian Barnes hat diese Frage gerade in seinem viel gelobten Roman "Der Lärm der Zeit" (Kiepenheuer & Witsch) am Beispiel des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch abgehandelt. Für das Verhalten vom SS-Zoologen Ernst Schäfer liegt mit "Nazis in Tibet" (Theiss) eine neue Studie über die Expedition von fünf NS-Forschern in den Jahren 1938/39 nach Zentralasien vor.

Recht im Unrechtssystem

Jenes Buch, das womöglich am meisten zum Nachdenken über die Schwierigkeiten eines halbwegs "gerechten Lebens im Ungerechten" anregt, ist die Fallstudie über den SS-Richter Konrad Morgen (1909-1982), die Herlinde Pauer-Studer gemeinsam mit ihrem US-Kollegen J. David Velleman 2015 auf Englisch vorlegte und die nun in einer überarbeiteten und erweiterten Ausgabe auf Deutsch erschienen ist.

Die wichtigsten Fakten über den umstrittenen Richter, der noch während des Jusstudiums 1933 sowohl der NSDAP wie auch der SS beitrat, liegen seit vielen Jahren vor: Morgen war ab 1941 am SS- und Polizeigericht in Krakau tätig, um gegen Korruption zu ermitteln. Nach einer vorübergehenden Amtsenthebung 1942 wurde er 1943 wieder damit betraut, Wirtschaftskriminalität in Konzentrationslagern zu bekämpfen, ab Herbst 1944 war er als SS-Chefrichter für das KZ Auschwitz zuständig.

Ermittlungen gegen Nazis

Morgen ermittelte dabei gegen hochrangige Nationalsozialisten, unter anderem gegen Karl Otto Koch, den ehemaligen Kommandanten des Lagers Buchenwald, und gegen Adolf Eichmann, dem er vorwarf, Juwelen unterschlagen zu haben. Der "Gerechtigkeitsfanatiker" (so Morgen über Morgen) wurde so zu einem der bekanntesten Beispiele dafür, dass sich auch unter dem NS-Terrorregime einzelne Richter kritisch mit dem eigenen System und den KZ-Verbrechen auseinandersetzten. Das waren für Morgen aber weniger die Verbrechen gegen die Menschlichkeit als die Korruption innerhalb der SS.

Pauer-Studer und Velleman haben für ihre Fallstudie nicht nur neue Quellen zu Morgen aufgearbeitet und präsentieren sie unparteiisch – so wie das auch Zeithistoriker getan hätten. Vor allem aber analysieren sie den komplexen und ambivalenten Fall aus unterschiedlichen rechts- und moralphilosophischen Perspektiven (in der deutschen Ausgabe noch mehr als in der englischen).

Dieser neue Ansatz macht das Buch nicht nur zu einem Lehrbeispiel angewandter Ethik. Es regt im Besonderen auch zum Nachdenken darüber an, wie man sich selbst unter den rechtlich und moralisch pervertierten Verhältnissen verhalten hätte. (tasch, 15.4.2017)