In der Freizeit fällt Entspannung meist leichter, im Berufsalltag ist sie eine Herausforderung.

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Bernadette Redl beschäftigt sich von Berufs wegen mit Gesundheit. Manchmal ist sie selbst krank oder gestresst und probiert aus, was man dagegen tun kann.

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Drei Termine in zwei Stunden – jeweils in drei verschiedenen Gegenden der Stadt, dazu strömender Regen, im Kopf die To-do-Liste des anstehenden Wochenendes und dann noch eine unvorhergesehene Terminänderung – der Freitagnachmittag vor zwei Wochen hatte es in sich. An solchen Tagen brennen bei planungsliebenden, listenschreibenden Menschen wie mir schnell die Nerven durch, vor Stress schnappe ich fast über.

Obwohl doch alles halb so schlimm ist, denke ich mir jedes Mal, nachdem ich mich wieder beruhigt habe. Und dann ärgere ich mich darüber, dass ich in solchen Situationen so gestresst reagiere. "Das ist ganz normal", sagt Arbeitspsychologe Tobias Glück von IBG, der kürzlich einen Entspannungsworkshop angeboten hat. Genau richtig für mich, dachte ich und meldete mich an. Glück weiß: "Die Reaktion in einer Stresssituation gibt uns die Natur vor. Nur wie wir damit umgehen, beeinflussen wir selbst." Das will ich können.

Glück erklärt, wie es gehen kann. Kleine Pausen im Alltag sind eine Möglichkeit, erklärt er und zieht das Verhalten von Antilopen als Beispiel heran: Sie grasen friedlich, und sobald der Löwe sie angreift, geraten sie in Stress und laufen davon. Ist die Gefahr vorbei, kommen sie wieder zur Ruhe, legen eine Pause ein, vergessen. "Hätten Antilopen ein menschliches Hirn, wären sie nur im Stress", sagt Glück. "Oh Gott, beim nächsten Mal trifft es mich, oh Gott, wie schütze ich meine Kinder, oh Gott", würden sie denken.

Bitte lächeln

Das Rezept für die Pausen heißt ALI – das steht für Atmen, Lächeln und Innehalten – und kann mit alltäglichen Tätigkeiten verbunden werden, etwa mit dem Gang zum Kopierer oder vor dem Abheben des Telefons. "Niemand sagt, dass wir beim ersten Klingeln abheben müssen. Das wäre ein guter Moment, um kurz durchzuatmen, sich selbst innerlich zuzulächeln und zwischendurch zu fragen 'Wie geht es dir eigentlich gerade?'", sagt Glück.

Mein Selbstversuch zeigt: Der kurze Entspannungsmoment vor dem Abheben des Telefons will sich nicht einstellen, dafür ist die Zeit einfach zu knapp und das Läuten zu eindringlich. Auf dem Weg in die Küche oder zur Besprechung gelingt mir das besser.

Und auch das bewusste Ausführen alltäglicher Bewegungen und Tätigkeiten – auch dazu rät Glück – funktioniert im Alltag gut. Auf dem Weg zum nächsten Termin konzentriere ich mich nun bewusst auf meine Füße und darauf, wie sie auf dem Boden auftreten, und denke nicht schon an das Interview, zu dem ich unterwegs bin. Am Weg zur Arbeit beobachte ich meine Atmung und konzentriere mich bewusst darauf, dabei vergesse ich für einen kurzen Moment die Aufgaben des Tages.

Runterkommen am Klo

Ist der Stress besonders groß oder eine Situation arg hektisch, rät Glück zur progressiven Muskelentspannung. Wenn es nicht anders geht, lässt sie sich zwischendurch auch auf der Toilette durchführen, sagt er. In seinem Workshop zeigt er vor, wie es geht. Wir sitzen in einem Sesselkreis, Glück leitet an. Bei geschlossenen Augen, soll sich der Körper entspannen. Beginnend bei den Fäusten werden nacheinander verschiedene Muskeln des Körpers – Stirn, Nacken, Schultern, Brust, Bauch und so weiter – an- und entspannt. Die Gedanken konzentrieren sich dabei bewusst auf das Entspannungsgefühl.

Immer wieder wiederholt Glück die Aufforderung an den Körper: "Bewusst entspannen!" Was sich einfach anhört, ist eine Riesenherausforderung. Immer wieder gleiten meine Gedanken ab. "Was muss ich heute noch schreiben? Wen muss ich noch anrufen? Wie merke ich mir diese Entspannungsübungen? Wie kann ich sie in den Alltag integrieren?" sind die Fragen, die mir durch den Kopf gehen, bevor ich mir wieder denke: "Halt! Stop! Konzentriere dich auf die Entspannung!" Nach der Übung fühle ich mich tatsächlich besser, zumindest zwischendurch war ich immer wieder entspannt.

Als wir fertig sind, erklärt Glück: "Es ist normal, dass der Geist abschweift, gerade am Anfang. Sich nur auf den Moment zu konzentrieren, kann man aber lernen." Das klingt plausibel. Seit dem Workshop will ich das Entspannen eigentlich nur mehr üben, üben, üben. (Bernadette Redl, 23.4.2017)