Peter Teichgräber schätzt Möbelklassiker, aber am Herzen lag und liegt ihm immer das Neue.

Illustration: Magdalena Rawicka

Teichgräber gründete die Einrichtungsfirma Prodomo in Wien, wo er auch zahlreiche Ausstellungen mit internationalen Designern zeigte.

Foto: Michael Hausenblas

Vico Magistretti, Leuchte Dalù für Artemide

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Hocker Pilastro aus der Kollektion "Kartell goes Sottsass – A Tribute to Memphis"

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Sessel Proust Geometrica von Alessandro Mendini für Cappellini

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STANDARD: Sie sind seit den 1960er-Jahren von modernem Design umgeben. Erzählen Sie uns doch bitte, wie diese Liaison begonnen hat.

Peter Teichgräber: Ich habe als Student meinem Onkel geholfen, der Stilmöbel mit einem Kastenwagen aus Italien heraufkarrt hatte und hier mit diesen handelte. Er brauchte jemanden mit Führerschein. Ich hab mir damals in Mailand all diese Designmagazine gekauft, "Domus", "Casa Vogue" etc. Die Stilmöbel meines Onkels haben mich überhaupt nicht interessiert. Es war das Moderne, das mich fasziniert und angezogen hat. Aber eigentlich wollte ich Dirigent werden.

STANDARD: Das Interesse an Design ließ Sie den Taktstock weglegen?

Teichgräber: Das kann man so sagen. Design war hierzulande keinem ein Begriff. Es gab skandinavische Möbel und ein paar heimische Erzeuger. Die Italiener mit ihren experimentellen Entwürfen und ihren neuen Materialien waren echte Exoten. Ich hab mir auf den Fahrten für meinen Onkel Firmen wie Zanotta angeschaut und innerhalb von zwei, drei Jahren Freunde und Bekannte gefunden. Irgendwann hat jemand gefragt: "Sag, was ist mit den Österreichern los? Da ist ein weißer Fleck auf der Karte." So ging es los, und wir begannen irgendwann zu importieren. Das waren die aufregenden Anfänge.

STANDARD: Und Sie begannen, eine Nische zu füllen ...

Teichgräber: ... ja, sowohl vom Ästhetischen als auch vom Geschäftlichen. Mit Design verhielt es sich damals in Österreich übrigens ähnlich wie mit moderner Architektur.

STANDARD: Wie ist es gelungen, diese Nische wachsen zu lassen?

Teichgräber: Durch die wachsende Akzeptanz. Es gab immer mehr junge Leute, die sich für dieses Design interessiert haben. Der zunehmende Wohlstand und das wachsende Bedürfnis, sich anders einzurichten, trugen den Rest dazu bei – und natürlich die Medien. Wenn auch viele nichts mit modernem Design anfangen konnten, angeschaut hat man sich die Sachen schon.

STANDARD: Das Designbewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit in Österreich ist auch 2017 nicht besonders ausgeprägt.

Teichgräber: Das ist nicht nur in Österreich so. Auch in Frankreich oder sogar in Italien ist das hochwertige, moderne Markendesign noch immer ein Nischenprogramm. Am besten ist es darum nach wie vor in Skandinavien bestellt.

STANDARD: Wo liegt das Problem?

Teichgräber: In der Schule zum Beispiel. Design, Architektur, Interieur wurde ja nicht gelehrt – und wird bis heute kaum gelehrt. Woher sollten denn die Leute Bescheid wissen? In meiner Anfangszeit war nicht einmal die Mode eine aufregende Angelegenheit.

STANDARD: Design gehört also in den Lehrplan.

Teichgräber: Natürlich. Design ist ein Bestandteil des täglichen Lebens, ein zivilisatorisches Faktum. Das ist vielen nicht bewusst.

STANDARD: Reisen wir wieder 40 Jahre zurück, als der erste Ikea in Österreich aufsperrte. War das ein Problem für Sie?

Teichgräber: Aber nein, Ikea hat mich nie gestört. Ich kann mich gut erinnern, wie neugierig, fast verrückt, die Leute auf die Ikea-Sachen waren. Der Markt war offensichtlich reif. Terence Conran, ein guter Freund von mir, wollte damals mit seiner Möbelkette Habitat unbedingt nach Österreich kommen. Ikea hat so eingeschlagen, dass ich ihm davon abgeraten habe.

STANDARD: Und Ikea hat Sie wirklich nie gestört?

Teichgräber: Ganz im Gegenteil! Ikea hat ja auch zum Wachstum des Designbewusstseins beigetragen. Das darf man nicht ausklammern. Plötzlich bekamen die Leute Gratiskataloge ins Haus, in denen es ums Wohnen ging.

STANDARD: Sie hatten in Ihrer Einrichtungsfirma Prodomo im Laufe der Jahrzehnte alle großen Möbelmarken im Programm, von Artemide bis Zanotta. Fühlen Sie sich einer besonders nahe?

Teichgräber: Nicht einer Marke, aber natürlich einzelnen Personen in den Unternehmen. In den 1960er- Jahren waren viele der heute großen Persönlichkeiten so alt wie ich, also Mitte 20. Zanotta war damals noch in einem Hinterhof daheim.

STANDARD: Wie wichtig sind denn Marken beim Kauf von Möbeln?

Teichgräber: Das ist ähnlich wie in der Welt der Mode ein sehr wichtiger Faktor – vor allem deshalb, weil auch die Möbelmarken von den Medien transportiert werden.

STANDARD: Im Laufe der Zeit sind Sie auch eng mit vielen weltberühmten Designern zusammengekommen? Wer ist für Sie besonders erwähnenswert.

Teichgräber: Ich habe Vico Magistretti sehr geschätzt. Das war ein Freak und ein sehr interessanter Zeitgenosse. Alessandro Mendini ist auch so einer. Mit ihm realisierten wir vor eineinhalb Jahren eine schöne Ausstellung hier in Wien. Er ist jetzt 85. Mendini schaut immer so streng, hat aber einen ungeheuer subtilen Schmäh.

STANDARD: Wie war Ettore Sottsass? Den haben Sie doch bestimmt auch gekannt.

Teichgräber: Ettore Sottsass war schwierig, sehr eingebildet, der gute Mann. Mit dem hab ich auch richtig gestritten. Es ging um seine Memphis-Objekte.

STANDARD: Was störte Sie daran?

Teichgräber: Sottsass meinte, Memphis wäre das neue Thonet. Ich hab ihm gesagt, er wäre nicht ganz dicht im Kopf. Erstens war die Qualität unter jedem Hund, und zweitens haben einige Thonet-Entwürfe wirklich das Zeug zum Massenmöbel. Ich sagte zu Sottsass: "Kannst du mir einen Entwurf davon zeigen, der das Zeug zum Massenmöbel hat?" Da hat er mich auf Teufel komm raus beschimpft. Aber er war ein großartiger Zeichner. Er war natürlich schon auch gut.

STANDARD: Wie schaut's mit der jüngeren Generation aus?

Teichgräber: Ich schätze einen Jasper Morrison sehr, auch wenn es nicht ganz leicht ist, einen Zugang zu ihm zu finden. Jasper habe ich auch einmal mit einer Ausstellung nach Wien gebracht. Patricia Urquiola ist ebenfalls toll.

STANDARD: Wenn Sie sich von den unzähligen Objekten, die durch Ihre Hände gingen, eines aussuchen dürften. Welches wäre es?

Teichgräber: Das kann ich nicht sagen. Ich bin ja auch ein Musikfreak und hab auch keinen Lieblingskomponisten. Da gibt es mindestens 20, 30, die alle großartig sind.

STANDARD: Apropos Lieblinge. Warum wird eigentlich Möbelklassikern immer größere Bedeutung zugemessen? Es gibt doch auch genug neue gute Entwürfe.

Teichgräber: Mit den Klassikern ist das so eine Sache. Ein Klassiker ist ein etabliertes Möbelstück, über das man nicht mehr diskutieren muss.

STANDARD: Aber kann. Klassiker sind doch auch eine Möglichkeit, sich in Einrichtungsfragen aus Geschmacksunsicherheiten herauszumanövrieren.

Teichgräber: Klar helfen solche Erkennbarkeiten manchen Menschen beim Kauf. Das Wiedererkennen funktioniert über die Medien, aber auch über die Auslagen bestimmter Designgeschäfte. Es liegt dem Wesen des Klassikers inne, dass er eine gewisse Zeit überdauert. Der Klassiker wird akzeptiert, geschäftlich, historisch, kulturell.

STANDARD: Und worin liegt sein Geheimnis?

Teichgräber: Es ist der gekonnte Mix aus dem Spiel von Funktionen mit Ästhetik, es geht um Schale und Kern.

STANDARD: Sie wurden Zeuge dessen, wie viele Möbel zum Klassiker wurden. Was interessiert Sie mehr, die Welt der Klassiker oder das Neue?

Teichgräber: Mich interessiert immer das mehr, was gerade entsteht. Was gestern gemacht wurde, ist mir egal. Obwohl: nicht egal. Ich weiß, um was es geht, und akzeptiere es. Was gestern war, ist vorbei. Man schaut mit dem gesammelten Bewusstsein in die Zukunft. Das gilt für die eigenen Erfahrungen ebenso wie für Entwürfe.

STANDARD: Das Thema der Klassiker führt auch zu jenem der Plagiate, die durch den weltweiten Internethandel zum immer größer werdenden Problem werden. Wie gehen Sie mit der Geschichte um?

Teichgräber: Freude hat natürlich keiner damit. Wir haben einmal eine Ausstellung gezeigt, in der wir Originale Plagiaten gegenüberstellten. Wir haben die Möbel zum Teil aufgeschnitten, um zu zeigen, was da alles faul ist. Das Problem ist, dass man Design nie so gut schützen kann, dass es nicht gefladert wird. Damit muss man leben. Natürlich kann man zum Wadelbeißer werden und klagen, klagen, klagen. Aber davon haben die Rechtsanwälte am meisten. Die einzig gute Nachricht ist, dass sich mittlerweile auch der Konsument besser auskennt und sich nicht mehr alles umhängen lässt.

STANDARD: Etwas, mit dem Sie auch seit Jahrzehnten konfrontiert werden, sind die Unmengen an Trends, die jedes Jahr vor allem nach Messen propagiert werden. Soeben ist wieder die große Messe in Mailand zu Ende gegangen...

Teichgräber: Mir sind Trends völlig egal. Ich hab mir Möbel immer nach meinem Geschmack angeschaut. Natürlich ist man nicht frei von Moden. Als man in den 1970er-Jahren auf die Mailänder Möbelmesse gefahren ist, gab es noch den sogenannten Narrenturm, den 30er-Pavillon auf dem alten Messegelände, wo vor allem die modernen Freaks ausgestellt haben. Wenn Cassina dort gläserne Armlehnen gezeigt hat, dann hat man im Jahr darauf bei 40 anderen Firmen auch gläserne Armlehnen gesehen.

STANDARD: Warum das ganze Tamtam um Trends? Gerade jetzt nach der Messe geht das Postfach vor Trendmeldungen über.

Teichgräber: Das Problem sind die Medien – nicht nur, aber schon auch. Die wollen gefüttert sein. Darum glauben manche Unternehmen, dass sie auf jeder Messe dreißig Möbel präsentieren müssen. Das ist doch Schwachsinn. Da gibt es die Kölner Messe, Mailand, Paris, die Messen in Skandinavien etc. Die Leute sind enttäuscht, wenn man auf jeder Messe mit den gleichen Möbeln aufkreuzt. Und die Schauräume wollen auch noch bestückt sein. Allein diese Entwicklungskosten machen die Möbel teurer.

STANDARD: Apropos: Was meinen Sie, was gutes Wohnen kostet?

Teichgräber: Gutes Wohnen muss nicht viel kosten. Es ist ähnlich wie bei Kleidung. Man kriegt günstig etwas Anständiges zum Anziehen. Nach zwei Jahren ist es halt vielleicht kaputt – aber so lange hält's.

STANDARD: Geht's auch etwas konkreter?

Teichgräber: Nun, das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Mit 40.000 bis 50.000 Euro sollte man ganz gut dabei sein, grob gesagt.

STANDARD: Wie könnte man denn gutes Wohnen definieren?

Teichgräber: Nun, es hat schon etwas mit einem Höhlengefühl, mit einem Nest zu tun. Der Mensch braucht ein entsprechendes Umfeld, welches die nötigen Funktionen erfüllt. Man braucht keine Küche um 80.000 Euro. Man kann auch mit Ikea sehr viel machen.

STANDARD: Wie wohnt Österreich?

Teichgräber: Nicht viel anders als Mitteleuropa. Der Österreicher wohnt heute viel zeitgenössischer, als dies früher der Fall war. Die Wohnkultur hat sich modernisiert. Die hässliche Kredenz mit Glastüren ist aus der Küche verschwunden – und vieles andere auch. (Michael Hausenblas, RONDO Open Haus, 7.5.2017)