Maria Vassilakou wollte eine Nacht über ihre Entscheidungen schlafen. Nun überlässt sie die Entscheidung über das Heumarkt-Projekt ihren Gemeinderäten.

Foto: andy urban

Wien – "Die Mitglieder der Grünen haben gesprochen, ihre Entscheidung ist klar. Entscheiden muss aber der Wiener Gemeinderat", erklärt Wiens Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin Maria Vassilakou am Dienstag. Sie will trotz des negativen Votums ihrer Partei dem Gemeinderat am 1. Juni das Hochhausprojekt am Heumarkt zum Beschluss vorlegen. In der Nacht auf Dienstag endete eine parteiinterne Krisensitzung ohne Beschlüsse. "Es wurde nichts abgestimmt", erzählt Vassilakou. Allerdings hätte das Vorgehen, die Gemeinderäte entscheiden zu lassen, "breiteste Zustimmung" erfahren.

derStandard.at

Am Freitag hatte sich die grüne Basis mit einer knappen Mehrheit von 51 Prozent gegen das Heumarkt-Projekt inklusive 66-Meter-Luxuswohnturm des Investors Michael Tojner ausgesprochen. Das Neinlager gewann mit nur 18 Stimmen Vorsprung, an der Abstimmung beteiligten sich jedoch nur 52 Prozent der stimmberechtigten 1.313 Mitglieder.

Luxuswohnungen von 50 auf 25 reduziert

"Ja, es war denkbar knapp, aber ich muss es zur Kenntnis nehmen", kommentiert Vassilakou den Ausgang der internen Abstimmung. "Ich habe Respekt vor dem Ergebnis und vor den Sorgen und der Kritik." Das zeige, dass es der Vizebürgermeisterin nicht gelungen sei, diese Ängste auszuräumen, weshalb sie einen neuerlichen Versuch startete: Die Hälfte der 50 geplanten Wohnungen soll nun als Räumlichkeiten, die im öffentlichen Interesse stehen, genutzt werden. Details seien noch zu klären, aber, so Vassilakou, "ein Teil der Kritik wurde so ein Stück aus dem Weg geräumt". Wertinvest-Geschäftsführerin Daniela Enzi bestätigt das dem STANDARD.

Weiterhin Kritik

Die Kritiker sehen das anders, der interne Zwist wird prolongiert. "Es ist augenscheinlich, dass es in der grünen Partei ein Problem zwischen Führungsebene und Basis gibt", sagt Alexander Hirschenhauser, Klubchef der Grünen Innere Stadt und Mitinitiator der Urabstimmung. "Wir haben mit allem gerechnet, nur nicht damit." Auch Wolfgang Zinggl, Kultursprecher im Parlament, zeigt sich "schwer enttäuscht". Dass die Entscheidung der Basis ignoriert werde, mache ihm "Sorgen".

ORF

Der Beschluss der Basis sei zwar bindend für die Partei, allerdings seien die grünen Gemeinderäte den Wienern verpflichtet, so Vassilakou. Sie sollen am 1. Juni "nach bestem Wissen und Gewissen" über das Projekt abstimmen, "so wie sie das immer tun", verweist Vassilakou auf die Parteistatuten. Darin sei klar geregelt: "Klubzwang ist nicht zulässig."

Darauf beruft sich auch der grüne Abgeordnete Peter Kraus. Er habe die 348 Gegenstimmen auf die "Waagschale" gelegt. Gewichtiger seien 330 Prostimmen, die Grünen im dritten Bezirk, die sich für das Projekt ausgesprochen haben, sowie die 1,8 Millionen Wiener, die sich eine "proaktive Stadtentwicklung" wünschen würden. Er werde sich "nicht verbiegen, sondern wie auch schon bei der Urabstimmung auch im Gemeinderat für das Projekt stimmen", sagt er zum STANDARD. Gerade wegen des freien Mandats seien viele bei den Grünen aktiv.

Die Kritik der Unesco und der drohende Verlust des Weltkulturerbestatus blieben zwar bestehen, seien den Gemeinderäten aber bewusst. Trotzdem geht Vassilakou davon aus, dass die rot-grünen Stimmen reichen werden, um einen positiven Ausgang der Abstimmung zu erzielen. Sie selbst werde für das Projekt stimmen. "Auch mein Mandat ist frei, und ich habe einen Eid geleistet. Ich habe die Pflicht, das Beste für die Stadt zu tun."

Die Koalition mit der SPÖ sieht Vassilakou nicht gefährdet. Dass sowohl SPÖ als auch Grüne schwerst zerstritten und deren Parteichefs angeschlagen seien, stellte Vassilakou im Interview mit der "ZiB 2" des ORF am Dienstagabend in Abrede. "Ich halte das ehrlich gesagt für eine Übertreibung. In der SPÖ gibt es derzeit eine Nachfolgedebatte, die demnächst abgeschlossen sein wird. Bei den Grünen gibt es aktuell eine schwierige Situation, die ich gerade dabei bin zu lösen. Die Koalition ist überhaupt nicht gefährdet, unsere Arbeit geht weiter", so Vassilakou.

"ZiB 2": Maria Vassilakou (Grüne) zur Heumarkt-Krise.
ORF

Ellensohn: Rot-grüne Mehrheit

Unterstützung bekommt Vassilakou vom grünen Klubobmann David Ellensohn. "Nach intensiven partei- und klubinternen Beratungen wird es im Gemeinderat eine rot-grüne Mehrheit für die Widmung auf dem Heumarkt-Areal geben", erklärt dieser in einer Aussendung. "Auch in schwierigen Situationen müssen Entscheidungen getroffen werden."

Die Grünen hätten abwägen müssen: "Sachargumente beim umstrittenen Widmungsakt, wie etwa die Absicherung des Eislaufvereins, politische Argumente, wie die wichtige Handlungsfähigkeit der rot-grünen Stadtregierung auf Landes-, aber auch auf Bezirksebene, Grün-Interna, wie das Ergebnis der Urabstimmung, sowie das verfassungsmäßig verankerte freie Mandat der Abgeordneten."

Häupl: Lob für Vassilakou

Auch Bürgermeister Michael Häupl geht von einer rot-grünen Mehrheit im Gemeinderat aus. Ellensohn habe das sicherzustellen. Ausdrücklich lobt er Vassilakou, die "Handschlagqualität" bewiesen habe und nach dem Nein der grünen Basis nicht umgeschwenkt sei. Die SPÖ-Mandatare stünden geschlossen hinter dem Neugestaltungsprojekt. "Das war immer so. Ich gehe davon aus, dass es eine Mehrheit für das Projekt gibt."

Ein Alternativszenario, sollte Rot-Grün keine Mehrheit im Gemeinderat zusammenbringen, gibt es laut Häupl nicht. "Einen Plan B entwickelt man dann, wenn man ihn braucht. Zur Stunde sehe ich das aber nicht."

Neos umwerben Grüne

In dem Zusammenhang umwerben die Wiener Neos nun enttäuschte Grüne. "Ich lade alle grünen Sympathisanten, die sich abgestoßen fühlen, ein, ein Stück des Weges gemeinsam mit uns zu gehen", deponierte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Die Neos beantragen in der Causa außerdem einen Sondergemeinderat.

Den Neos schwebt eine Befragung oder die Installierung eines Bürgerrats vor. Dabei würde es sich um ein Gremium von per Los ausgewählten Wienern handeln, das sich konkret mit Vor- und Nachteilen des Projekts – auch im Hinblick auf das Weltkulturerbe – befassen und Empfehlungen an den Gemeinderat geben soll.

Gespräche mit Opposition

Dass die grüne Partei ihre Mandatare nicht immer unter Kontrolle hat, zeigte die Gemeinderatsabstimmung zur Wahlrechtsreform im März 2015. Damals machten die Grünen – gegen den Willen des Koalitionspartners SPÖ – mit der Opposition gemeinsame Sache, um eine Reform zu erzwingen. Der grüne Abgeordnete Şenol Akkılıç wechselte aber just vor der Abstimmung zur SPÖ, eine Mehrheit gegen die Roten war somit dahin.

Häupl hat angekündigt, dass es auch in der Causa Heumarkt Gespräche mit den Oppositionsparteien geben werde. Das sei aber bei der Mehrzahl einstimmiger Gemeinderatsbeschlüsse nichts Unübliches.

Kovacs: Unzufriedenheit ernst nehmen

"Ich stehe als Landessprecher zum Ergebnis der Urabstimmung", erklärte der grüne Landessprecher Joachim Kovacs. "Die Mehrheit unserer Basis hat sich gegen das Heumarkt-Projekt ausgesprochen, und dies ist zu akzeptieren. Die Partei hat gesprochen. Jetzt liegt der Ball beim Klub." Das Abstimmungsergebnis müsse "ein Weckruf" sein, die "artikulierten Unzufriedenheiten ernst zu nehmen".

Kovacs will die Parteimitglieder künftig "frühzeitiger in Entscheidungsprozesse einbinden und Planungsprozesse überdenken". Er versuche nun die Kritiker zurück ins Boot zu holen und Vorschläge zu erarbeiten, "wie wir uns strukturell verbessern können, damit es keinen zweiten 'Heumarkt' geben wird".

Chance für Kulturerbe

Ganz hat Häupl das Unesco-Weltkulturerbe für Wien noch nicht aufgegeben. Wie berichtet werden in der Schutzzone von der Unesco nur 43 Meter hohe Bauten erlaubt. Wegen des Heumarkt-Turms wird mit der Aufnahme in die Rote Liste gefährdeter Welterbestätten gedroht – einer Vorstufe der Aberkennung. Häupl will diesbezüglich weitere Gespräche mit der Unesco führen, aber keine Details nennen.

Dass die ÖVP am Dienstag Bedingungen für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen gestellt hat, nennt Häupl eine "sehr interessante Antwort auf eine nicht gestellte Frage". Finanzstadträtin Renate Brauner bezeichnet das als "verhaltensoriginell". (Oona Kroisleitner, David Krutzler, APA, 25.4.2017)