Ständig müde? Dass man zu wenig Schlaf bekommt, kann auch medizinische Gründe haben.

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Endlich ist er da, der Frühling. Die Blumen sprießen, die Vögel zwitschern, die Sonne gewinnt wieder an Kraft – irritierend sind dann allerdings die Gähn-Attacken überall. Mit dem ins Land ziehenden Jahreszeitenwechsel tritt auch wieder die berühmte Frühjahrsmüdigkeit auf: Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Blei in den Gliedern und auf den Lidern, Schwindel und Kreislaufschwäche – die Symptome sind vielfältig.

Frühjahrsmüdigkeit – gibt es sie wirklich?

Statt sich nach einem langen dunklen Winter über die wärmenden Sonnenstrahlen zu freuen, empfinden viele den Frühlingsbeginn als Kraftanstrengung für den Körper. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsmodelle. Die zunehmende Wärme lässt den Blutdruck sinken und bewirkt Müdigkeit, so eine Erklärungsversion. Ein anderer Ansatz macht das sogenannte "Gute-Laune-Hormon" Serotonin und das "Schlafhormon" Melatonin für die Abgespanntheit verantwortlich: Im Winter wird nur wenig Serotonin produziert, aber viel Melatonin ausgeschüttet. Das ändert sich, wenn im Frühling die Tage wieder heller und wärmer werden. Es dauert eine Zeit bis sich der Körper auf die wechselnden Licht- und Temperaturverhältnisse eingestellt hat und der Hormonhaushalt wieder im Gleichgewicht ist. Soweit die Erklärungsmodelle. Aber gibt es das Phänomen Frühjahrsmüdigkeit aus medizinischer Sicht?

Aus Sicht der Schlafmedizin

Aus der Perspektive des Schlafmediziners Robert Stepansky wird der Begriff Frühjahrsmüdigkeit zwar in der Bevölkerung vielzitiert, in medizinisch ernst zu nehmenden Studien komme er aber nicht vor. "Ähnliches gilt auch für die Schlaflosigkeit, die durch den Vollmond ausgelöst werden soll. Dies konnte in einer großangelegten europaweiten Schlaflaboruntersuchung ausgeschlossen werden", sagt Stepansky, Neurologe und Leiter der Schlafambulanz am Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Die Problematik Müdigkeit sieht er keineswegs auf das Frühjahr beschränkt.

Müdigkeit hat viele Ursachen – den Frühlingsbeginn zählt Schlafmediziner Stepansky nicht dazu, Schlafmangel aber schon. Stepansky: "In den letzten Jahren besteht zunehmend der Trend, sich zu wenig Schlaf zu gönnen. Abends kommt man nicht so schnell ins Bett, morgens muss man zu früh aufstehen." Das mag berufliche Gründe haben, kann aber auch zu einem Suchtverhalten werden, wenn man jeden Abend stundenlang online ist und spätnachts noch Facebook checkt.

Medizinische Ursachen für Schlafmangel

Dass man zu wenig Schlaf bekommt, kann aber auch medizinische Gründe haben. Die Insomnie, also Schlaflosigkeit, ist eine der häufigen Ursachen für Schlafmangel. Psychische Belastungen wie sie im Rahmen einer Depressionen oder Angststörung auftreten, sind dafür Auslöser. Eine Schlafstörung kann aber auch organisch bedingt sein, wie im Falle der Schlafapnoe, einer schlafbezogenen Atmungsstörung oder des Restless Legs Syndrom (RLS), einem erheblichen Bewegungsdrang der Beine, der insbesondere in den Abend- und Nachtstunden auftreten kann. Auch Erkrankungen wie Diabetes und Entzündungen verursachen Müdigkeit. "Aus Müdigkeit kann im weiteren Krankheitsverlauf auch eine Tagesschläfrigkeit entstehen. Darunter versteht man die Einschlafneigung in monotonen Situationen – den Sekundenschlaf", so der Schlafmediziner.

Wie viel Schlaf ist ausreichend, um am nächsten Tag nicht müde zu sein? "Die optimale Schlaflänge ist individuell unterschiedlich. Jeder Mensch muss daher die für ihn passende Schlafdauer selbst herausfinden", sagt Doris Moser, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin an der Universitätsklinik für Neurologie am AKH Wien und im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (ASRA). Im Durchschnitt benötige der Mensch sieben bis acht Stunden, jedoch gibt es auch Kurz- beziehungsweise Langschläfer, deren unterschiedliche Schlafdauer reiche von vier bis 16 Stunden.

Dass der Schlaf vor Mitternacht gesünder wäre, kann die Schlafmedizinerin jedenfalls nicht bestätigen. "Von Bedeutung ist, dass in den ersten Stunden nach dem Zu-Bett-Gehen die Tiefschlafanteile am längsten sind", sagt Moser. Denn: "Der Anteil des Tiefschlafs ist ein wesentlicher Faktor für die Erholung des Schlafes, es kommt zur Bildung von Wachstumshormonen, die der Regeneration dienen." Im Laufe der Nacht nehme der Tiefschlafanteil ab.

Schlafhygiene ist wichtig

Erholsamer Schlaf hängt von vielen Faktoren ab. Moser: "Das Schlafzimmer sollte immer ein Ort der Ruhe, Entspannung und des Wohlfühlens sein." Dabei spielen regelmäßige Schlaf- und Aufstehzeiten genauso eine Rolle, wie die Beschaffenheit der Matratze, niedrige Raumtemperatur und ausreichend Dunkelheit. Und: Computer, Fernseher und Mobilfunkgeräte sollte man gänzlich aus dem Schlafzimmer verbannen.

Was aber hilft, wenn der Schlaf in der Nacht nicht ausreicht? Doris Moser empfiehlt viel frische Luft und Bewegung im Freien. Auch kurze Nickerchen tagsüber, die berühmten Powernaps, von bis zu 30 Minuten würden helfen. Ebenfalls förderlich: eine ausgewogene Ernährung und koffeinhaltige Getränke. Alkohol und Nikotin gelte es zu vermeiden.

Wenn man all das beherzigt und sich über einen längeren Zeitraum dennoch nicht frisch und erholt fühlt, sollte ein Arzt aufgesucht werden, so der Rat der Schlafmedizinerin. (chrit, 28.4.2017)