Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron im einzigen TV-Duell des französischen Stichwahlkampfs.

Foto: APA/AFP/Feferberg

Es war, als würden zwei Streithähne aufeinander losgelassen. In den Meinungsumfragen mit 41 Prozent (gegenüber 59 Prozent für Emmanuel Macron) zurückliegend, attackierte Marine Le Pen ihren Konkurrenten im TV-Duell am Mittwochabend von Beginn an, als wolle sie Donald Trumps Strategie der systematischen Aggressivität übernehmen. In ihrer ersten Wortmeldung bezeichnete sie den früheren französischen Wirtschaftsminister als "Erben" des unpopulären Präsidenten Hollande und fügte an, ihr Rivale verkörpere die "wilde Globalisierung" und "soziale Brutalität". Sie unterstellte ihm "die Kälte eines Bankers", dessen "Lächeln sich in ein Grinsen verwandelt".

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Der Präsidentschaftsfavorit ließ sich davon nicht einschüchtern und konterte, Le Pen sei selbst die Erbin eines rechtsextremen Vaters und einer ebensolchen Partei. Die Kandidatin habe selbst das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime und die Vel'-d'Hiv'-Razzia des Jahres 1942 gegen tausende Juden relativiert. Le Pen wandte ein, sie habe nur das Gleiche gesagt wie Charles de Gaulle. "Lassen Sie de Gaulle in Ruhe", herrschte Macron sie an, offensichtlich bemüht, Le Pen Paroli zu bieten.

"Lügen" und "Dummheiten"

In der Folge blieben die beiden Kandidaten einander nichts schuldig. "Sie sollten weniger arrogant sein", meinte sie, um von ihm zu hören: "Sie lügen dauernd!" Er sagte ihr auf den Kopf zu: "Sie geben viele Dummheiten von sich." Sie erwiderte, er beleidige andere und sei ein Heuchler.

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Die beiden Moderatoren hatten Mühe, die Streithähne zu trennen und auch nur ihre eigenen Fragen zu platzieren. Die politischen Positionen gingen in dem verbalen Schlagabtausch zeitweise fast unter. Macron wirkte im ökonomischen Teil überzeugender, da er auch die Finanzierung seines Projekts ansprach; Le Pen punktete eher beim Thema Terrorismus, indem sie erklärte, sie wolle nicht wie Macron auf die Attentate reagieren, sondern sie verhindern, indem sie die Gefährder mit ausländischem Pass des Landes verweise. Im gleichen Atemzug warf sie Macron vor, er werde von Islamisten aus dem Ramadan-Umfeld unterstützt.

Nicht wahlentscheidend

Beim zentralen Wahlkampfthema Europa versuchte Macron Le Pen auf ihre unklaren Aussagen betreffend Euroausstieg festzunageln. In die Enge gedrängt, verhedderte sich die Kandidatin des Front National in der Tat in Erklärungen über die parallele Führung eines "Ecu" und eines neuen "Franc". "Ihr Herumbasteln macht keinen Sinn", resümierte Macron, musste sich dann aber selber dagegen verteidigen, eine "föderale" EU anzustreben und sich dem Willen Deutschlands zu unterwerfen.

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So aggressiv das TV-Duell ausfiel, wurde ihm doch die wahlentscheidende Wirkung abgesprochen. Laut einer Online-Umfrage der Zeitung "Le Figaro" wussten 86 Prozent der Wähler schon vor der Sendung, wie sie am Sonntag abstimmen wollen. Die Unsicherheit des ersten Wahlgangs – vor dem sich ein Drittel der Wähler nicht festgelegt hatte – scheint überwunden zu sein. Das heißt nicht, dass Macron auf jeden Fall gewinnen muss. Aber die Meinungen scheinen in Frankreich weitgehend gemacht.

Umso konsternierter verfolgten die Franzosen das Hickhack der beiden Streithähne. Von der Feierlichkeit früherer Debatten zwischen ehrwürdigen Kandidaten blieb nicht viel übrig. Macron und Le Pen hatten beide erstmals das Finale der Präsidentenwahl erreicht. Für Le Pens Front National war es überhaupt eine Premiere; ihr Vater Jean-Marie Le Pen hatte zwar 2002 die Stichwahl erreicht, doch weigerte sich daraufhin sein Rivale Jacques Chirac, mit dem Rechtsextremisten die Klingen zu kreuzen.

Das von den beiden größten Sendern TF1 und France 2 live übertragene und vom Medienaufsichtsrat CSA streng beaufsichtigte Duell führte vor Augen, wie frontal die Positionen des Proeuropäers Macron und der Nationalistin Le Pen aufeinanderprallen. Und es zeigte sich, wie sehr sich die Zeiten in Frankreich geändert haben: Der Front National ist aus dem Schmuddeleck der Republik getreten und kann seine Ideen heute wie eine normale Partei vertreten. Die zweieinhalbstündige TV-Sendung war für Le Pen schon deshalb ein Erfolg, bevor sie noch begonnen hatte.

"Moi, président"

Den Ausschlag über Sieg und Niederlage in den TV-Duellen gab in der Vergangenheit oft ein zuerst wenig beachtetes Detail wie eine gelungene Replik. Bei der letzten Präsidentenwahl 2012 stach der Sozialist Hollande den Konservativen Nicolas Sarkozy mit der wiederholen Bemerkung aus: "Ich als Präsident werde ..." Dieses zum Bonmot gewordene "Moi, président" entschied möglicherweise die Wahl, da es Hollande als entschlossenen und rhetorisch überlegenen Kandidaten zeigte. Ironischerweise verkehrte sich dieser Spruch mit der Zeit in ein Handicap für Hollande, da es gerade entlarvte, wie wenig der Präsident wirklich angepackt hat.

Berühmt sind auch die TV-Duelle von François Mitterrand. Im Jahr 1974 musste sich der sozialistische Kandidat noch dem Liberalen Valéry Giscard d'Estaing beugen, der ihn mit der Bemerkung geschlagen hatte: "Sie haben nicht das Monopol des Herzens!" 1988 versuchte der Gaullist Chirac den mittlerweile gestandenen Staatschef Mitterrand aus der Reserve zu locken, indem er erklärte: "Heute Abend bin ich nicht der Premierminister, Sie sind nicht der Präsident – wir sind zwei Kandidaten auf Augenhöhe." Mitterrand antwortete trocken: "Sie haben völlig recht, Herr Premierminister." Von diesem magistralen Konter erholte sich Chirac nicht mehr, Mitterrand blieb Präsident. (Stefan Brändle aus Paris, 3.5.2017)