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"Mensch, du glaubst nicht, was ich soeben erlebt habe!" – "Ja was denn, Jens?" – "Ich war gerade im Waschraum, beim Zähneputzen, und da kommen plötzlich zwei von diesen Motorrad-Rockern herein!" – "Du Armer!" – "Nee, is’ eh nix passiert, die scheinen ganz freundlich zu sein."

Na Gott sei Dank! Denn die Geschichte der "Motorrad-Rocker" ist eine Geschichte voller Missverständnisse – zumindest dann, wenn es um solche aus Österreich geht, die mitten in der marokkanischen Wüste auf eine Busladung Neckermenschen treffen und Zelt an Zelt (Achtung, hellhörig!) eine Nacht mit ihnen verbringen.

Allmorgendliche Lagebesprechung mit Tour-Guide Patrick
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Nein, lieber Jens und Mitreisende: Die Ösi-Rocker tun euch nichts. Sie schauen nur. Sie sind ebenso wie ihr Angestellte, Arbeiter, Selbstständige, Pensionisten. Sie wollen ebenso wie ihr ein Land erkunden, Neues erleben, Urlaub machen. Aber sie verzichten auf eure vollklimatisierte Blechdose mit Kühlschrank und Entertainment-Center. Sie lassen sich lieber auf ihren Harleys, Ducatis, Hondas undsoweiter den Wind um die Nase wehen, um Land und Leute authentischer, direkter zu erfahren.

Und wisst ihr was? Sie haben recht! Und schlau sind sie auch. Denn sie haben ein Begleitfahrzeug für ihr Gepäck, gelenkt von Mohammed, einem Local Hero, der in Marokko Allah und die Welt kennt, sehr gut deutsch spricht und für alles eine Lösung parat hat. Ihm zur Hand geht Jassen, der stets ein wachsames Auge auf die sündteuren Motorräder hat.

Geduld ist angesagt bei der Überfahrt von Spanien nach Marokko... und umgekehrt.
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Übernachtet wird – mit Ausnahme der einen Nacht in den Dünen – durchwegs in modernen Hotels oder gemütlichen Pensionen gehobener Kategorie. Marokkos Tourismusgewerbe gibt sich offensichtlich alle Mühe, der europäischen Erwartungshaltung gerecht zu werden. Stets vorzüglich ist die Verpflegung. Der zumeist stark gesüßte Pfefferminztee darf nirgens fehlen. Auch Bier der heimischen Marke Casablanca gibt es fast überall, und sogar anständige marokkanische Weine werden gern kredenzt zu Lammspieß, Couscous, Tajine & Co.

Motorrad all inclusive

Masterminds dieser Form von Motorradurlaub mit allem Komfort sind Ferdinand Fischer und Patrick Unterhuber – Österreichs größter Harley-Davidson-Händler der eine, Spezialist für Motorrad-Reisen der andere. Sie bieten in Europa, Afrika, Asien und den USA bis ins Detail durchorganisierte Touren an. Motto: Setzt euch einfach auf eure Böcke und fahrt mir nach!

"Das Interesse an Motorrad-Fernreisen ist enorm, doch viele schrecken vor dem großen Planungs- und Logistikaufwand zurück", erklärt Patrick. "Wir sind dazu da, die monatelangen Vorbereitungen zu übernehmen. Wir organisieren alles: den sicheren Transport der wertvollen Bikes zum Startpunkt und auch deren Abholung am Ende. Alles, was dazwischen liegt, sowieso."

Wie auf dem Planeten Mars: Rot ist die dominante – eigentlich einzige – Farbe im Dades-Tal.
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Tatsächlich ist das Reiseerlebnis am Motorrad ein besonders intensives, und in der Gruppe entsteht schnell ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl – selbst wenn man sich vorher gar nicht kannte. Hast du diese unglaublichen Felsformationen gesehen? Wahnsinn, die Kurven in der Schlucht vorhin! Und überhaupt: Schon während des Tages ist es immer lustig, aber erst recht am Abend. Das kriegen auch fallweise die Neckermenschen am anderen Ende des Speisesaales mit, die halb besorgt, halb belustigt rüberspähen.

Regen ist selten in Marokko. Aber wenn, dann wird es so richtig rutschig.
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"Road Captain", quasi Reiseführer, ist Patrick selbst. Er vereint die Eigenschaften Motorradfreak und Touristiker in Idealform. Vor einigen Jahren entstand dann die Idee, in Lannach bei Graz ein spezielles Reisebüro für Zweirad-Enthusiasten zu gründen. Patricks Touren führen in die Toskana, nach Sardinien, nach Schottland, auf den Balkan, nach Rumänien, aber auch in die Mongolei, in die USA... und nach Afrika. Gemeinsam mit "Harley-Papst" Ferdinand Fischer wendet sich der stets gut gelaunte, alerte und zuvorkommende Mittvierziger an unternehmungslustige Fahrer des legendenumwobenen US-Hauses, aber nicht nur: Auch Aficionados anderer Marken sind gern gesehen. Für unterhaltsame "Diskussionen" zwischen den Jüngern von Harley-Davidson, Triumph, Ducati, Honda etc. etc. etc. ist während dieser Reisen in ausreichendem Maße gesorgt.

Patrick lotst schon seit Jahren Motorrad-Gruppen durch Marokko, dennoch bespricht er jeden Abend die Etappe des folgendes Tages im Detail mit Mohammed, der jeden Polizeiposten und jedes Schlagloch kennt. Wo machen wir Mittagspause? Ach ja, die Grillstation kurz vor diesem Dorf, hervorragend! Wie weit ist es bis zur Tankstelle? Was, wenn die keinen Sprit hat? Gab es an dieser Stelle im vergangenen Jahr nicht eine mühsame Baustelle? Böse Überraschungen sind mit dieser akribischen Planung fast ausgeschlossen. Nun gut, dass es dann hoch oben am Hohen Atlas geschneit hat, war so nicht geplant... aber hey: Schnee in Afrika!? Ist das etwa nichts!? Eben!

Imposante 210 Meter misst das Minarett der Hassan-II.-Moschee in Casablanca.

Erstaunlich gute Straßen

Die Tour folgt vornehmlich verkehrsarmen Straßen, und diese sind in einem erstaunlich guten, oft sogar perfekten Zustand, vor allem in der Nähe der Metropolen Rabat, Casablanca (Rick’s Café! Natürlich ein Fake einer geschäftstüchtigen US-Diplomatin, denn das "echte" gab es nur als Filmset im Hotel Monte Vista in Flagstaff, Arizona... aber ehrlich: wen kümmert’s?) und Marrakesch. Und die wunderbar kurvenreiche Straße über das Atlasgebirge ist überhaupt ein ideales Geläuf für Motorräder. Überall, in jedem Dorf, eilen Kinder johlend auf die Straße, sobald sie das Donnergrollen der schweren Harleys hören. Und wenn sie mit der rechten Hand den Dreh am Gasgriff simulieren, dann kommt man dem Wunsch auch gerne nach... wir sind schließlich alle Kinder, nicht wahr?

Einzig für den Abstecher in die Sandwüste zwischen Erfoud und Merzouga steigt man in den Geländewagen. Doch der temporäre Entzug vom Motorrad ist leicht zu verkraften: Ein Sonnenuntergang hoch oben auf der Düne, mühsam erritten auf einem schwankenden Dromedar, ist ein absolutes Highlight. Die Übernachtung im Zelt: Sehr, sehr basic, aber ein Muss. Der nächtliche Sternenhimmel: Unfassbar schön.

Ait-Ben-Haddou gab schon die Kulisse für etliche Filmklassiker.
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Marokko geizt nicht mit spektakulären Eindrücken, einmal sind es wuselnde Souks, dann wieder Teestuben am Straßenrand oder eben die Landschaft. Im Norden ist es im Frühjahr unwirklich grün. Südlich des Atlas, im Land der Berber, überwiegt das Rot der Steinwüste – ab und zu unterbrochen von Flussoasen und Ansiedlungen – etwa die ehemalige Garnisonsstadt Ouarzazate, heute ein Zentrum der afrikanischen Filmindustrie. In den Atlas-Studios und in der Umgebung entstanden Klassiker wie "Gladiator", "Jesus von Nazareth", "Game of Thrones" oder (ein bisschen früher) "Lawrence of Arabia" – übrigens auch ein passionierter Biker, der leider 1935 mit seiner Brough Superior verunglückte.

Wie im Streifen "Der Marsianer" kommt man sich tags darauf im Dades-Tal vor: Steile, intensiv rote Felswände in bizarrsten Formen, ein sich immer mehr verengendes Tal und an deren Ende eine Serpentinenstraße, die an das Können der Harley-Enthusiasten ordentliche Ansprüche stellt. Anfänger sind hier fehl am Platz...

Leder in Harley-Optik ist die ideale Bekleidung für ausgedehnte Wüstenritte (Achtung, Ironie).
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Auch die Fahrt Richtung Norden einige Tage später hält einige Ahhhhs! und Ohhhhs! bereit: Zunächst liegt Fès am Weg, eine Millionenstadt mit historisch interessantem Stadtkern. Diesen sollte man am besten in Begleitung eines Einheimischen besichtigen: Orientierung im Selbsversuch ist in den verwinkelten, äußerst belebten Gässchen ziemlich aussichtslos. Der Besuch in einer Gerberei ist Pflichtprogramm. Und in den angeschlossenen Shops für Lederwaren ist Handeln angesagt – und zwar so lange, bis nicht nur Ihnen, sondern auch dem Händler schwindlig wird. Erst dann, frühestens dann, stimmt der Preis.

Unesco im Doppelpack

Letzter Etappenort auf marokkanischem Boden ist Chefchaouen, die "Blaue Stadt", ebenso wie Fès Teil des Unesco-Welterbes. Von der Größe her ein Zwangzigstel von Fès, fasziniert dieses Städtchen durch die zumeist in Blau und weiß gestrichenen Häuser und seinen bezaubernden Souk, der ebenso lebendig ist wie jener von Fès, aber um einiges übersichtlicher.

Chefchaouen, die "Blaue Stadt, letztes Etappenziel nach fast zwei Wochen am Bock.
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Wie der erste, so steht auch der letzte Tag am Bike im Zeichen der Überfahrt zwischen den Kontinenten. So freundlich die marokkanischen Zöllner auch sind: Sie können auch unfassbar mühsam und langsam sein. Nichts ist einfach, alles ist ein Problem. Sogar dort, wo es kein Problem gibt. Ist der Papierkram dann endlich doch erledigt, kann es passieren, dass dir ein Beamter plötzlich laut lachend auf die Schulter klopft. "Harley-Davidsooon, c’est le numéro 1!" Ein Neckermann mit seinem Vollklima-Volvo-Bus würde so etwas wohl nie zu hören bekommen. (Gianluca Wallisch, 7.5.2017)