Je mehr ich über diese Fragen nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass wir, um eine Antwort zu finden, alte Denkmuster ablegen müssen. Weder "links" noch "rechts" können uns Antworten auf diese Frage liefern, und vor allem müssen wir damit aufhören, jegliche Lösungsversuche sofort als linkes oder rechtes Gedankengut einzustufen. Denn mit dieser Klassifizierung alten politischen Stils ersticken wir jegliche Debatte über neue Lösungsansätze im Keim. Und blockieren uns damit selbst. Stattdessen sollten wir uns bemühen, in politischen Kategorien wie "demokratisch" oder "autoritär" zu denken.

Ich meine, wir sollten unsere Überlegungen auf eine zentrale Frage fokussieren: Woher stammt die Frustration großer Bevölkerungsteile mit unseren demokratischen Systemen? Und warum wächst diese Frustration konsequent an? Die schnelle Antwort auf diese Frage könnte lauten, dass die Demokratie nicht in der Lage sei, die Probleme der Menschen zu lösen. Andererseits: Wenn wir uns auf Fakten stützen, sehen wir, dass es vielen Menschen heute deutlich besser geht, als früher. Und gerade auch unter der Gruppe von Personen, die eher zu politischem Autoritarismus neigt, finden sich nicht nur Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter oder mit Abstiegsängsten, sondern im Gegensatz auch einige finanziell und sozial wohlgestellte Bevölkerungsgruppen.

Empirik ist nicht alles

Ein Teil der Politik spielt also auch auf einer metaphysischen Ebene. Nicht (nur) Fakten und Tatsachen zählen, sondern vor allem auch Eindrücke und Gefühlslagen, die mit der Zeit entstehen. Damit sind wir unweigerlich an dem Punkt angelangt, wo wir uns auch der Frage stellen müssen, nicht wie der Bevölkerung bewiesen werden kann, dass Demokratie funktioniert, sondern wie das Gefühl einer funktionierenden Demokratie als beste aller Gesellschaftsformen gefördert werden kann. Und Gefühle lassen sich mit empirischen Tatsachen nun einmal mehr schlecht als recht steuern.

Kurz vor seinem Tod schrieb der weltberühmte Historiker Tony Judt im Jahr 2010: "Aber wenn es eine Generation von Politikern gibt, die Verantwortung an unserem Misstrauen in die Politiker und die Politik tragen, sind sie ihre wahren Repräsentanten: Davon überzeugt, dass man nur wenig tun kann, tun sie wenig. Das Beste noch, das man von ihnen behaupten kann, ist, wie so oft von der Baby-Boomer-Generation, dass sie für nichts im Besonderen stehen: Politiker light. […] Wir müssen lernen, den Staat neu zu denken."

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Politische Gestaltungsinstrumente aktiver nutzen

Deshalb ist es wichtig, auch die politischen Gestaltungsinstrumente demokratischer Systeme auf allen Ebenen aktiver zu nutzen. Ziel muss es sein, den Menschen das Gefühl einer aktiven Demokratie zu vermitteln, die Interventionen setzt, Sachen bewegt. Gerade in Bereichen ohne schwerwiegende Konsequenzen kann man dafür durchaus auch einmal mehr Fehler in Kauf nehmen – die Bereitschaft, diese Fehler nachher wieder gut zu machen, vorausgesetzt.

Eine aktive Demokratie beschränkt sich nicht darauf, sämtliche Entscheidungen an Expertenrunden auszulagern. Oder sich durch das Korsett der politischen Abstammung oder – noch schlimmer – der political correctness gängeln zu lassen. Manchmal ist es wichtig, dass demokratische Systeme auch einmal "nach dem Volksmund" agieren, auch wenn sie damit Fehler begehen. Wenn die Sache gut ausgeht, profitieren alle, und die Bevölkerung bekommt das Gefühl, wertgeschätzt und gehört zu werden. Noch bedeutender sind unter diesem Gesichtspunkt jedoch die Fehlschläge: Gerade das Scheitern populistischer Politikmaßnahmen kann zu essentiellen, demokratiefördernden Lerneffekten bei der Bevölkerung führen, indem die Einsicht gefördert wird, dass politische Entscheidungen oft eine Menge an Wechselwirkungen mit sich bringen. Nicht immer ist alles so einfach, wie man es sich vorher am Politikstammtisch ausgemalt hatte.

US-Präsident Donald Trump sagt, was er denkt - und macht damit Politik "im Volksmund".
Foto: Reuters/Carlo Allegri

Verständnis für die Komplexität fördern

Für demokratische Systeme ist es überlebenswichtig, auch das Verständnis für die Komplexität politischer Entscheidungen zu fördern, um das Abdriften großer Bevölkerungsteile zu populistischen oder autoritären Strömungen zu verhindern, welche die Lösung aller unserer Probleme mit einfachen Mitteln versprechen. Nichts fördert dieses Verständnis so gut wie demokratische – und in Bezug auf die Reversibilität der Folgewirkungen relativ harmlose – trial and error-Prozesse. (Michael Radhuber, 4.5.2017)

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