Django sagt Ciao, die Wurstmaschine läuft, die Jugend schläft (politisch), und trotzdem geht alles seinen historisch-kritischen Gang.

Foto: Felix Jean Grütsch

Der Stehsatz, wonach sich die Europäische Union in der Krise befindet und dringend der Reform bedarf, ist in aller Munde. Er ist zur rhetorischen Formel erstarrt, die mehr verdeckt als erhellt. Gibt man etwa dem Begriff der Krise seine eigentliche Bedeutung zurück, dann geht es vornehmlich um die Entscheidung, in welche Richtung sich Europa entwickeln soll. Dass Europa dabei seine Gestalt, seine "Form" verändern wird, steht außer Frage. In gewisser Weise müssen wir den ganz Rechten wie den radikal Linken dankbar sein, zwingen sie doch die proeuropäischen Kräfte überall, Farbe zu bekennen. Wenn es diesen in den anstehenden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen gelingt, in die Offensive zu gehen und nicht immer nur auf die Rhetorik ihrer Gegner – dazu gehört auch das abschätzige Gerede von Krise und Reform(unfähigkeit) – zu reagieren, werden sie das Projekt einer substanziellen Integration Europas weiter vorantreiben können. Nebenbei bemerkt ist, gegen alle Geschichtsvergessenheit, die "Krise" von allem Anfang an Teil der Geschichte der europäischen Einigung gewesen.

Die gegenwärtige Situation beinhaltet zwei unschätzbare Vorteile. Durch die Auseinandersetzung mit den neuen radikalen Nationalismen – Stichwort Brexit – wissen wir inzwischen, wie stark die europäischen Volkswirtschaften und auch die staatlichen Institutionen miteinander verwoben sind. Ganz en passant leben wir nämlich schon längst in jenen Vereinigten Staaten von Europa, die ihren Gegnern so verhasst sind.

Die "Reform", die den Rechts- und Linkspopulisten vorschwebt, die Desintegration und Zerschlagung dieser Strukturen, würde in eine politische und wirtschaftliche Katastrophe münden – mit dieser Drohgebärde pokert die Politik von Theresa May unverhohlen. Die desintegrierten, politisch wieder einander beargwöhnenden Einzelstaaten würden zur leichten Beute anderer global agierender Mächte. Ironischerweise ist es nämlich – und das war ein Atout in Macrons Wahlkampf – die transnationale Union, die den einzelnen Ländern ihren kulturellen Eigensinn, ihren Spleen und ihren Charme bewahrt.

Ferner wird sichtbar, dass die Zukunft einer demokratischen Zivilgesellschaft und ihrer Errungenschaften mit dem europäischen Projekt verbunden ist. Ihr Zusammenbruch würde jene politischen Kräfte demokratischer Selbstzerstörung freisetzen, die zu einer dramatischen Herausforderung für Europa geworden sind. Sie würde zu jener Regression und völligen Marginalisierung des Halbkontinents führen, die Karl Polanyi kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs beschrieben hat.

Der Sieg Macrons in Frankreich ist deshalb so bemerkenswert, weil er der durchsichtigen depressiven Rhetorik, wonach alles so furchtbar sei, die Hoffnung auf Gestaltbarkeit entgegensetzt. Indirekt macht das darauf aufmerksam, wie bereitwillig sich gerade die kritischen Medien in der Vergangenheit von jenen hypernarzisstischen Möchtegern-Potentaten haben vereinnahmen lassen und wie prickelnd es viele Journalisten noch immer finden, wenn eine solche Wut-Protest-Partei in einer Meinungsumfrage vorn liegt. Nur wenigen ist aufgefallen, dass es eine bessere Möglichkeit gibt, sie zu bekämpfen, als allgegenwärtige Hysterie: sie durch Aufmerksamkeitsverweigerung zu bestrafen, anstatt sie andauernd in den Mittelpunkt zu rücken und medial zu belohnen.

Diese neu aufgestellte transnationale Zivilgesellschaft, die sich in Bereichen wie Wirtschaft, Steuerpolitik, Sozialstandards, Migration, Verteidigung und innereuropäische Solidarität ungleich stärker integrieren wird, kann nur ein Projekt des politischen Kompromisses sein. Es bedarf einer breiten Basis, und die kann es nur in der Mitte der europäischen Gesellschaften geben. Was links davon ist, kann, anders als die ewig Rechten, die Rolle eines Korrektivs spielen, aber nur dann, wenn es – Stichwort Mélenchon oder die schnell verblühte Syriza – von einer wohlfeilen antikapitalistischen Rhetorik Abstand nimmt, hinter der keine ernstzunehmende Alternative steht.

Man kann und soll mittelfristig die Spielregeln des Marktes und des Geldes ökologisch und sozial verändern, aber ihn und es frontal zu dämonisieren ist angesichts globaler ökonomischer Realitäten wirklichkeitsfremd. Per se Schulden zu machen ist ohnehin nicht automatisch links. Der Erhalt eines bestimmten Wohlstandes und bestimmter sozialer Standards lässt sich in einem integrierten Solidarverband weitaus besser gewährleisten als in einem desintegrierten Konglomerat von Nationalstaaten.

Europa muss jene nicht wenigen linken jungen Menschen für sich gewinnen, die bei den jüngsten Wahlauseinandersetzungen abseitsgestanden sind, weiß oder gar ganz rechts gewählt haben. Für die USA und das Vereinigte Königreich wäre es ungleich besser gewesen, wenn diejenigen, die nach geschlagener Wahl protestierend auf die Straße gegangen sind, vorher ihre Stimme für die Zivilgesellschaft abgegeben hätten, deren sie doch für ihre Anliegen bedarf. Zwischen Macron und Le Pen, zwischen Ukip und EU, zwischen Trump und Clinton, zwischen Renzi und der 5-Sterne-Bewegung besteht – Akt politischer Klugheit – ein klar erkennbarer Unterschied.

Raunziger Provinzialismus

Was kann man dem neuen autoritären Nationalismus entgegenstellen? Kurzfristig kann es – in Österreich wie in den Niederlanden – zu einem Meinungsumschwung führen, wenn man dem ranzigen Provinzialismus entgegenkommt. Aber letztendlich ist es ein fataler Weg. Er suggeriert nämlich, dass dessen Projekte gut sind, wenn die demokratischen Parteien es betreiben.

Besser wäre es, dem cäsarischen Volksbefragungswahn eine Politik der Moderation entgegenzusetzen, die den Menschen erklärt, warum bestimmte politische Schritte vernünftig sind, und die sichtbar Kompromisse zwischen allen Beteiligten herbeiführt, die freilich keine "Endlösungen" sein können.

Europa bedarf des intelligenten Weiterwurstelns. (Wolfgang Müller-Funk, 12.5.2017)