Frank Kunert: "Das Leben geht weiter".

Foto: Frank Kunert

Medien lügen. Sie verdrehen die Wahrheit, berichten nicht über Unangenehmes, sie sind parteiisch. Solche Parolen hört man am Stammtisch und bei Familienfeiern, man liest sie in sozialen Medien und so manchem Leserbrief oder Posting. Am äußeren Rand des Spektrums der pauschalen Medienkritik samt angenommener Verschwörung bewegen sich jene, die auf Demonstrationen "Lügenpresse!" rufen, gerne mit einem "Halt die Fresse" davor. Aber auch in der Gesamtbevölkerung sinkt das Vertrauen in Medien seit Jahren.

Die weitverbreitete Annahme: Journalisten arbeiten nicht unbeeinflusst, sondern versuchen selbst, ihre Leser zu beeinflussen, um ein politisches Ziel zu erreichen oder aus wirtschaftlichem Druck. Der wissenschaftliche Begriff dafür, für den es im Deutschen keine wirkliche Entsprechung gibt: Bias.

Rechte Skepsis

Damit hat sich Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien beschäftigt. Im Artikel "Political Preferences and the 'Lying Press': Three Layers of Perceived Media Bias", den Eberl als Teil seiner Dissertation verfasste, untersuchte er, wer bei welchen Medien welche Art von Verzerrung annimmt. "Der stärkste erklärende Faktor für einen wahrgenommenen Bias ist die politische Orientierung – und damit auch die Parteinähe", sagt Eberl im STANDARD-Gespräch.

Das bedeutet: Je stärker sich eine Person selbst als politisch rechts einschätzt, desto eher geht sie davon aus, dass Medien verzerrend berichten (siehe Grafik). "Ich glaube, dass das ganz stark mit der Anti-Establishment-Einstellung im Rechtspopulismus zu tun hat", sagt Eberl. Bewegungen wie die FPÖ oder Pegida hätten mit den etablierten Medien einen "neuen, alten Feind gefunden" und würden ihren Wählerinnen und Wählern dementsprechende Botschaften senden.

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Eberls Studie fußt auf einer Online-Befragung von mehr als 1600 Personen im Rahmen einer Nachwahlstudie zu den Nationalratswahlen 2013, die im Herbst 2015 durchgeführt wurde. Großen Einfluss auf die Einschätzung der Medien hat demnach nicht nur die eigene Einschätzung als politisch links oder rechts, sondern auch die Sympathie für eine politische Partei: Deutlich mehr FPÖ-Fans als Grüne nehmen etwa einen Bias beim STANDARD an. Je näher Befragte der ÖVP stehen, desto geringer schätzen sie die Verzerrung bei der Presse ein – und SPÖ- und FPÖ-Sympathisanten gehen eher von objektiverer Berichterstattung in "Kronen Zeitung", "Österreich" und "Heute" aus.

Bei fast allen abgefragten Medien stellte Eberl fest: Wenn eine Verzerrung zugunsten einer bestimmten Partei angenommen wird, stehen die Befragten dieser Partei eben nicht nahe.

Grundsätzlich gehen die Betroffenen davon aus, dass die Nachrichten zugunsten des politischen "Gegners" verzerrt werden: "Wenn sie einen Bias wahrnehmen", sagt Eberl, "werden sie den immer als feindlich wahrnehmen." Dabei ist es laut dem Wissenschafter "ziemlich egal, ob die Befragten diese Medien lesen oder nicht".

Unzufrieden mit Demokratie

Einen weiteren starken Effekt machte der Wissenschafter aber bei einem anderen Indikator aus: Wer mit der Demokratie unzufrieden ist, neigt dazu, Boulevardmedien als objektiver einzuschätzen als Qualitätsmedien. Die Betroffenen lehnen nicht das demokratische System an sich ab, sondern sehen Mängel in der Umsetzung. Für Eberl erklärt sich die Ablehnung der Qualitätsmedien mit früheren Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Boulevard- und dem Misstrauen in alle anderen Medien herstellten.

Eberl sieht das auch als "Auftrag an Boulevardmedien, dass das ein Problem ist, das sie mitlösen sollten". Ansonsten entstehe über die nächsten Jahre und Jahrzehnte ein "demokratiepolitisches Problem, mit dem wir nicht mehr fertigwerden". Je stärker das Misstrauen in die etablierten Medien werde, "umso eher beginnt man auch, an weiteren wichtigen Grundpfeilern der Demokratie zu zweifeln. Das kann keine positive Entwicklung sein."

Bleibt die Frage: Ist ein Bias notwendigerweise etwas Schlechtes? Eberl findet: nein. "Das ist ja Meinungsvielfalt, man soll ja unterschiedliche Ideologien auch verstehen können." Problematisch würde es erst dann, wenn Falschinformationen verbreitet würden, "aber das ist eine ganz andere Geschichte". (Sebastian Fellner, 3.6.2017)