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Das italienische System funktioniere mit dem Euro einfach nicht, sagt der belgische Ökonom Paul De Grauwe. Ein Euroaustritt sei riskant, es gebe aber keine andere weniger riskante Alternative.

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"Es wird eine Krise nach der anderen kommen. Dann kann sich etwas ändern. Es kann aber auch ein Desaster werden", sagt De Grauwe. Das Bild ist schon etwas älter, es stammt aus 2007.

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Wien – Die Euroländer müssen enger zusammenrücken oder zurück zu Schilling und D-Mark. Dazu gibt es keine Alternative, sagt der renommierte Ökonom Paul De Grauwe im STANDARD-Interview. Ohne Eurofinanzminister, Europarlament und ein eigenes Budget schlittere die Währungsunion unweigerlich in die nächste tiefe Krise. Für Italien sei es aber wohl besser, wenn das Land zur Lira zurückkehre, so De Grauwe. Der Belgier gilt als Experte für Währungsunionen und forscht an der London School of Economics. Zuvor arbeitete er unter anderem für die EZB, den IWF und beriet die EU-Kommission.

STANDARD: Sie sind ein Eurokritiker – zumindest der Art, wie der Euro derzeit funktioniert. Warum?

De Grauwe: Er ist im Prinzip noch nicht fertig. Wir haben eine Währung geschaffen, hinter der kein Land steht. Alleine funktioniert er aber nicht. Wir müssen eine politische Union schaffen. Dafür gibt es viele Gründe, einer ist, dass sich in Zeiten einer Rezession – und die nächste kommt bestimmt – die Finanzmärkte die schwachen Länder rauspicken. Sie ziehen ihr Geld ab, es fließt zu den Starken. Das destabilisiert das System.

STANDARD: So wie es in der Eurokrise passierte. Aber die EZB ist am Ende ja doch eingesprungen.

De Grauwe: Da geht es aber um Fiskalpolitik. Diese Entscheidungen sollten demokratisch gefällt werden. Dafür braucht es Eurobonds, also eine gemeinsame Anleihe für alle Länder. Dafür brauchen wir aber eine Euro-Regierung. Für die wir wiederum ein Euro-Parlament brauchen. Damit das System stabil werden kann, sind wir also gezwungen, eine politische Union zu schaffen. Wenn wir das nicht tun, wird der Euro irgendwann verschwinden.

STANDARD: Ihre Analyse teilen viele, einzig die politische Umsetzung scheint auf absehbare Zeit völlig unrealistisch.

De Grauwe: Was politisch möglich ist, kann sich ändern. Das haben wir in der Geschichte immer wieder gesehen. Es wird wohl eine Krise nach der anderen kommen. Wenn sie groß genug ist, kann sich etwas ändern. Das Risiko ist aber groß, denn diese Krise kann genauso zu einem Desaster führen.

STANDARD: Sie sind sehr pessimistisch, was den Euro betrifft. Haben wir aber nicht mit der EZB-Politik einen demokratisch fragwürdigen, aber praktikablen Kompromiss?

De Grauwe: Es gibt Elemente, ja. Aber es ist nicht gut, wenn die EZB dieses Problem löst. Die EZB kann keine budgetäre Union begründen. Ihre Aufgaben sind limitiert. Es ist gut, dass sie in der Krise einspringt. Den Rest müssen aber die Wähler und die Regierung entscheiden. Wer aber bin ich, um ihnen etwas vorzuschreiben?

STANDARD: Sie sagen ihnen lediglich, ohne politische Union ist der Euro irgendwann Geschichte?

De Grauwe: Sie wird kommen müssen. Wir können es mit einer Strategie der kleinen Schritte machen. Der große Sprung ist außer Reichweite. Ein paar Schritte haben wir getätigt, etwa mit der Bankenunion. Die Richtung vorzugeben ist wichtig. Das wird auch mehr Vertrauen in das System bringen.

STANDARD: Welche Schritte braucht es noch?

De Grauwe: Zuerst brauchen wir einmal Vertrauen. Was mich pessimistisch macht, ist, dass wir uns gegenseitig nicht vertrauen. Die Deutschen vertrauen den Italienern und Griechen nicht und umgekehrt. Manchmal kann aber eine Gefahr von außen, etwa Russland oder Trump, helfen. Merkel sagte schon, gehen wir doch voran. Das kann historische Chancen eröffnen.

STANDARD: Aber wie soll so eine politische Union aussehen?

De Grauwe: Wir sollten keinen zentralisierten Staat schaffen, das würde zu Konflikten, vielleicht Bürgerkriegen führen. Eine gemeinsame Währung zu schaffen war aber ein extrem zentralisierender Schritt. Wer nun keine budgetäre Union will, soll zurück zu seiner nationalen Währung gehen. Es gibt keine andere Option. Aber brauchen wir dafür eine gemeinsame Armee? Vielleicht gegen die Russen, aber für den Euro nicht. Auch das Bildungssystem und die Sozialpolitik können wir ruhig den einzelnen Ländern selbst überlassen.

STANDARD: Und was nicht?

De Grauwe: Etwa die Infrastruktur im Energiebereich. Auch eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung kann stabilisierend wirken. Die gemeinsamen Ausgaben in der Eurozone sollten fünf bis zehn Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen. Das wäre riesig. Derzeit hat die EU ein Budget von einem Prozent des BIP, und darüber wird lange gestritten. Die Länder geben aber 50 Prozent aus.

STANDARD: Der neue französische Präsident scheint Ihre Analyse zu teilen, hat ähnliche Forderungen.

De Grauwe: Ich habe ihn nie getroffen, er hat aber gute Berater. Jean Pisani-Ferry kenne ich gut, er hat zum Thema publiziert, wir lesen unsere Studien und Bücher.

STANDARD: Frankreich wäre also an Bord. Deutschland ist aber kaum zu überzeugen. In Italien hingegen gäbe es wohl vereinzelt den Willen.

De Grauwe: Deutschland und Italien, beide sind auf ihre eigene Art Probleme für die Eurozone. Ich komme gerade aus Italien, der Pessimismus ist riesig. Es ist das einzige Land der Währungsunion, das heute ärmer ist als 1999, als der Euro eingeführt wurde. Das Wachstum war null oder negativ, die Menschen finden keine Jobs. Die stecken in einem Desaster. Die Versuchung ist groß, dass sie einem Führer verfallen, der ihnen sagt, ohne Euro läuft es besser.

STANDARD: Hätte er nicht Recht?

De Grauwe: Wahrscheinlich. Die Eurozone hat versagt. In Italien ist das Versagen besonders groß.

STANDARD: Sollte Italien austreten?

De Grauwe: Eine schwierige Frage, wahrscheinlich ja. Italiens System funktioniert nicht gut im Euro, sie hatten lange einen Zyklus aus Inflation, starken Lohnerhöhungen, dann einer Krise und einer Abwertung. Das geht jetzt nicht mehr. Sie haben sich aber nicht an den Euro angepasst.

STANDARD: Ist das politische Risiko nicht enorm, wenn Italien austritt?

De Grauwe: Es ist riskant, ja. Darum zögere ich so in meinen Antworten. Es kommt aber darauf an, wie wir es machen. Aber nichts zu tun, ist auch riskant. Das könnte zu einer großen Krise führen. (Andreas Sator, 7.6.2017)