Es war ein Pyrrhussieg. Wenn sich die Parteien PDK, AAK und Nisma vor den Wahlen im Kosovo nicht zu einer Allianz zusammen getan hätten, wäre noch klarer, wer der eigentliche Gewinner vom Sonntag in dem kleinen Balkan-Staat ist: Die Vetëvendosje! (VV) – auf Deutsch "Selbstbestimmung". Keine Einzel-Partei hat so viele Stimmen bekommen wie sie, die VV konnte ihr Ergebnis seit der letzten Wahl verdoppeln. Die frühere Bürger-Bewegung agititierte vor zehn, zwölf Jahren gegen jegliche Verhandlungen mit Serbien zur Klärung der Statusfrage, sie ging – unter anderem mit gewaltsamen Mitteln – gegen EU- und US-Vertreter im Kosovo vor und kandidierte erstmals 2011 als Partei. Ihr langjähriger Anführer Albin Kurti, der linke Theorien mit großalbanischem Nationalismus vermengt, wurde angeklagt und eingesperrt. Er spielte den klassischen Systemkritiker, der selbst auf Dauer-Populismus setzte. Kurti ist zwar nicht mehr Parteichef, aber noch immer "Star" der Bewegung.

Er zeichnet sich durch besondere Sturheit aus. Deshalb ist auch nicht damit zu rechnen, dass er in irgendeine Koalitionsregierung geht, ohne selbst Premier zu werden. Die Regierungsbildung im Kosovo wird nach den vorgezogenen Wahlen mühsam werden. Denn das Wahlbündnis der aus der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK hervorgegangenen Parteien PDK, AAK und Nisma schnitt so schlecht ab, dass es trotz einer Koalition mit den Minderheiten, keine relative Mehrheit haben wird. Laut den vorläufigen Ergebnissen bekam es bloß 34 Prozent der Stimmen, die VV liegt an zweiter Stelle mit 27 Prozent, an dritter Stelle lag die alte moderate Demokratische Liga (LDK), die gemeinsam mit der AKR des Unternehmers Behgjet Pacolli nur 25,8 Prozent der Stimmen bekam. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 42 Prozent.

Zugang zu Macht und Geld

Der Politikwissenschaftler Arben Hajrullahu von der Universität Prishtina rechnet nun damit, dass der Druck auf die LDK groß werden wird, mit dem "UÇK-Wahlbündnis" eine Regierung zu bilden. Es könnte auch sein, dass nur Teile der LDK eine solche Regierung unterstützen werden. Denn im Kosovo – wie in jedem anderenBalkanstaat – gibt es immer Parlamentarier, die aus purem Machterhalt oder weil sie Zugang zu den Geldern der Regierung haben wollen, pragmatische Entscheidungen jenseits von Ideologien treffen. LDK-Vertreter gaben aber bereits nach der Wahl bekannt, in Opposition gehen zu wollen – dies ist wohl ein Hinweis darauf, dass sie sich die Zustimmung zu einer Koalition im Fall "teuer abkaufen" lassen wollen werden.

Beliebt wäre die Fortsetzung einer solchen "großen Koalition", wie sie seit 2015 regierte, ohnehin nicht. Sowohl die PDK als auch die LDK werden von vielen Kosovaren als tief korrupt gesehen. Sie gelten als Parteien, die nur auf das eigene Klientel schauen und versuchen "ihren Leuten" im System einen Platz zu verschaffen, aber nicht für das Gemeinwohl zu arbeiten. Insbesondere freie Unternehmer haben es schwer – ohne "Beziehungen" schafft man es kaum. Zudem wurde im Vorfeld "ausgemacht", dass der Führer der AAK Ramush Haradinaj Premier werden soll, sollte das UÇK-Wahlbündnis die Regierung stellen. Haradinaj ist zwar nicht so radikal wie Kurti, allerdings ist er gerade für Serbien ein problematisches Gegenüber. Erst diesen Januar wurde Haradinaj aufgrund eines serbischen Haftbefehls vorübergehend in Frankreich festgenommen.

"Wähler sind lernfähig"

Er war zwei Mal vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt, aber beide Male freigesprochen worden. Haradinaj gehört mit dem jetzigen Präsidenten Hashim Thaçi im Kosovo zu den "Helden" des Kriegs im Jahr 1999, die in ihren Regionen (Thaçi in Drenica und Haradinaj in Dukagjin) noch immer die Fäden in der Hand halten. Hajrullahu sieht wenig Alternativen zu einer Neuauflage des "UÇK-Wahlbündnis" mit der LDK. "Falls das aber nicht klappt, könnte es zu einer Minderheitsregierung kommen oder die müssen auf Knien zur Vetëvendosje! rutschen, damit die eine Koalition eingehen", so Hajrullahu.

Der Erfolg der Vetëvendosje! ist zu einem großen Teil der Unfähigkeit und der Untätigkeit der großen Parteien PDK und LDK geschuldet, die im Kosovo seit vielen Jahren an der Macht sind. Vor allem die jungen Kosovaren haben sie diesmal "abgewählt". Hajrullahu sieht das als durchaus positive Entwicklung. "Die Wähler sind lernfähig, sie haben gesehen, dass diese Parteien zwar Stabilität gebracht haben, aber das auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit." Er findet, dass man der Vetëvendosje!, die bislang auch von den USA und der EU gemieden wurde, eine Chance geben sollte. "Die haben sich von einer klassischen Anti-System-Partei wegentwickelt und wollen akzeptabel werden", meint Hajrullahu. "Wer Vetëvendosje! nicht größer machen will, der muss sie sogar an die Macht bringen", warnt er indirekt davor, dass die National-Populisten in Zukunft noch mehr von der Radikal-Opposition profitieren könnten.

Realo-Flügel, aber auch radikaler Teil

Diesmal hat die VV auf gemäßigtere Parolen gesetzt, vor allem die Forderung nach mehr Rechtssicherheit, der Durchsetzung des Rechts im Alltag gegen die Versuchungen der Korruption, waren vielen Kosovaren ein Anliegen. Die Vetëvendosje! akzeptiert mittlerweile auch den kosovarischen Staat und ist für den Beitritt zur EU. Gepunktet haben Kurti & Co aber auch mit sozialen Themen. Hajrullahu weist darauf hin, dass es innerhalb der Partei schon längst einen Realo-Flügel gibt, zu dem etwa der Bürgermeister von Prishtina Shpend Ahmeti zählt. Die sozialdemokratische deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung versucht die VV bei ihrer Einbindung ins System zu unterstützen.

Andererseits darf man nicht vergessen, dass es auch weiterhin einen radikalen Teil in der Partei gibt. In den vergangenen zwei Jahren setzte die VV etwa immer wieder Tränengas im Parlament ein, um Abstimmungen zu verhindern – und das mit Erfolg. Die VV mobilisierte aus reinem Populismus gegen ein Grenzabkommen mit Montenegro und verhinderte damit auch indirekt die Schengen-Visaliberalisierung. Kurti und seine Leute trieben die kosovarische innenpolitische Kaste in den vergangenen Jahren vor sich her. Käme die VV in die Regierung, wäre aber vor allem die notwendige Zusammenarbeit mit dem Nachbarstaat Serbien sehr schwierig.

Normalisierung der Beziehungen mit Serbien

Die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien ist jedoch für beide Staaten von zentraler Bedeutung. Denn ohne eine solche können weder Serbien, noch der Kosovo weitere Schritte in Richtung EU-Integration machen. Der von der EU mediierte Dialog ist ohnehin ins Stocken geraten. Das historische Abkommen von Brüssel aus dem Jahr 2013 wurde noch immer nicht umgesetzt. Ein für die Kosovo-Serben wichtiger Teil ist die Einrichtung einer "Vereinigung der serbischen Gemeinden". Diese bedarf allerdings einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Mit der anti-serbischen Vetëvendosje! ist bei diesem Vorhaben nicht zu rechnen.

Insgesamt ist der Ton im Kosovo in den letzten Monaten rauer und nationalistischer geworden. Sogar der Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi wettert gegen EU-Vertreter. Er dürfte sich wie viele andere ehemalige UÇKler vor den Anklagen und Prozessen vor dem neuen Kriegsverbrechergerichts fürchten, die im Herbst erwartet werden. Thaçi kündigte nun an, den Dialog mit Serbien auf die Ebene der Staatschef holen zu wollen. Er ist seit Jahren mit Aleksandar Vučić in Kontakt, der seit kurzem Präsident Serbiens ist. Vučić selbst meinte, dass der Wahlsieg der "Kriegsveteranen" im Kosovo für Serbien mehr Probleme schaffe. Er selbst unterstützte die "Serbische Liste" im Kosovo, die diesmal etwa sechs Prozent der Stimmen bekam.