Österreichs Rugby-Frauen und ihre Teamchefin Eva Gerstl (stehend ganz links) treffen in der EM-Gruppenphase auf Dänemark, Georgien und Bosnien.

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Angelika Grabher spielt und schupft die Liga.

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Das österreichische Meisterschaftsfinale 2016 auf einen Blick.

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Standards wie das Lineout spielen im 7er-Rugby nicht eine so zentrale Rolle wie im 15er-Spiel.

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Wien – Ein wunderbar lauer Abend hat sich herabgesenkt. Im Schatten großer Praterbäume, über deren Wipfel die Sonne ihre letzten Strahlen schickt, teilen sich Männer und Frauen schiedlich das Kunstrasenfeld der Union-Sportanlage: Training bei der Rugby Union Donau Wien.

Rechterhand, auf der weiblichen Seite, erweist sich die Lautstärke als dezenter, nichtsdestotrotz wird beim Einüben von Spielzügen rege kommuniziert. Trainerin Eva Gerstl greift selten und auf Englisch ins flüssig wogende Getriebe ein. Die 37-jährige Account Managerin ist während eines Austauschsemesters in Australien zum Rugby gestoßen, eigentlich hatte sie Beachvolleyball im Auge. Neben Meister Donau betreut Gerstl seit zwei Saisonen auch Österreichs Nationalteam, das am 24. und 25. Juni im slowakischen Kosice an der Europameisterschaft teilnehmen wird.

Kooperation statt Egoismus

Die vielfärbig gewandeten Frauen halten ihre Einheit eigenverantwortlich am Laufen. Während die eine Hälfte der etwa 25 Köpfe zählenden Gruppe sich einem Pass- und Fang-Drill unterzieht, ist für die übrigen ein lockeres Spielchen angesetzt. Das Konzentrationslevel ist beachtlich, Gewitzel oder gar Gemoser hat hier keinen Platz. Den Umgang miteinander kennzeichnen Respekt und gegenseitige Unterstützung. Gelungene Aktionen von Kameradinnen werden mit Applaus bedacht, manchmal gar mit einem Lächeln quittiert. Gut zwei Stunden lang werden die Spielerinnen so gut wie ununterbrochen in Bewegung sein.

"Ich bin ein Fan von Selbstreflexion, möchte nicht immer alles vorgeben und das Denken alleine übernehmen", erläutert Gerstl gegenüber dem STANDARD ihren Coaching-Ansatz. "Die Spielerin sollen selbst wissen, warum sie was wann machen müssen. In den Trainingspausen frage ich eher nach, lasse sie reflektieren." Zweimal die Woche wird geübt, für die Teamspielerinnen kommen zusätzliche Termine dazu, die an den auf die samstäglichen Meisterschaftsturniere folgenden Sonntagen organisiert werden. Reisezeiten und -kosten werden so minimiert. Fallweise, etwa vor den jährlichen Europameisterschaften, werden dreitägige Teamcamps abgehalten.

Angelika Grabher mischt sich ein. Die 31-jährige Soziologin am Institut für Höhere Studien ist Spielerin und Liga-Verantwortliche in einer Person – und darüber hinaus auch noch Gerstls rechte Hand. "Wir forcieren Selbstkritik. Es gibt die Pflicht und die Verantwortung, dass eine der anderen sagt, was gut und was schlecht war. Ebenso ist es eine Pflicht, die Kritik auch anzunehmen. Dieser Dialog ist zentral und funktioniert auch gut." Die Benefits, sagt Gerstl, liegen auf der Hand: "Selbstverantwortlichkeit bedeutet Hilfe und Entlastung für mich. Details entgehen mir. Unser Ziel, alle so schnell wie möglich besser zu machen, kann mit Kooperation besser erreicht werden als durch Individualismus." Außerdem präferiert man die Praxis. Das Spiel, in das taktische Aspekte möglichst organisch integriert werden, sei der beste Lehrmeister. Auch neu hinzugestoßene Spielerinnen bekommen so die Möglichkeit, schnell ins Spielgeschehen einzugreifen. Die Erfahrung zeigt, dass sie so auch am besten bei der Stange gehalten werden können. Der Kunstrasenplatz ist ein Segen, sagt Gerstl: "Wir können bei jeder Witterung spielen."

Wachstum und Stabilisierung

Frauen-Rugby wird in Österreich seit etwa 15 Jahren organisiert betrieben, auf Amateurbasis und so gut wie ausschließlich in der 7er-Variante. Das hat pragmatische Gründe: Bei derzeit 158 gemeldeten Aktiven in neun Vereinen können, allein schon aufgrund der geringen Kadergröße, Teams einfacher am Laufen gehalten werden, als das im klassischen Code der Fall wäre, in dem für eine Equipe 15 Spielerinnen aufgeboten werden müssten. Seitdem die Liga 2016 auf das Format der auch international üblichen Turnierserien umgestellt wurde, ist ein positiver Trend unübersehbar. Die Zahlen gehen deutlich nach oben. Sevens ist etabliert und genießt das nicht zu unterschätzende Prestige, olympischer Sport zu sein.

Auch hierzulande macht sich bemerkbar, dass 7er-Rugby gerade im Frauenbereich eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit ist. Bemerkenswert ist, dass das österreichische Frauen-Rugby vollständig in weiblicher Hand ist. Neben Gerstl und Grabher sitzen Verbandsvize Katharina Kueß und Nationalteam-Managerin Laura Wunsch an verantwortlicher Stelle. Die Ligastruktur hat sich stabilisiert, auch wenn es immer noch flexible Arrangements zur Überbrückung von Engpässen gibt. Zu Beginn durften auch Abordnungen mit bloß vier oder fünf Spielerinnen anreisen, die fehlenden borgte man sich von anderen Teams. Das Grundprinzip: Alle, die spielen wollen, sollen auch spielen können. Mittlerweile, so Grabher, laufe der Unterbau in geordneteren Bahnen. Es sei gelungen, einen Schritt nach vorne zu machen. "Das ist die Basis für gesundes Wachstum."

Ein Team will nach oben

Auch das Nationalteam profitiert. Mittlerweile gibt es einen fixen Stamm, die Fluktuation hat abgenommen. An der Kadertiefe gelte es aber weiterhin zu arbeiten, sagt Gerstl, die bei ihrem Amtsantritt aufgrund mannigfacher Versäumnisse quasi bei null beginnen musste. 20 Spielerinnen hält sie diesbezüglich für eine gesunde Größenordnung. Österreich steht in Europa auf der dritten Leistungsstufe, bei der EM in Kosice ist man einer von zwölf Teilnehmern. Es gibt drei Vierergruppen, in Gruppe B wird Absteiger Dänemark als der mit Abstand stärkste Kontrahent eingeschätzt.

Im Gegensatz zum Vorjahr, als nur drei Internationale mit EM-Erfahrung zur Verfügung standen, stellt sich die Ausgangslage nun deutlich rosiger dar. Die Spielerinnen kennen einander besser. Manche, sagt Gerstl, haben einen großen Entwicklungsschritt hinter sich, das Team insgesamt befinde sich zweifelsfrei auf einem anderen Niveau. Realistischer Traum: ein Platz unter den ersten fünf. Geht die Entwicklung kontinuierlich weiter, könnte im nächsten Jahr der Aufstieg angepeilt werden. Sie habe, freut sich die Nationaltrainerin, flexible Spielerinnen. "Sie sind schnell, wendig und können alle Positionen ausfüllen. Das ist ein Riesen-Asset im 7er-Rugby, wo Universalität besonders gefragt ist."

In der Offensive soll ihre Mannschaft den Raum suchen, nicht die Gegnerin. Mit Lauf- und Passspiel wollen die Österreicherinnen Lücken öffnen und zu Durchbrüchen nutzen. Die Maxime in der Verteidigung: eng stehen, viel reden, schnell verschieben. "Du musst in der Lage sein, selbst intuitiv Entscheidungen zu treffen, weil alles sehr schnell geht."

"Habe mich nie besser gefühlt"

Was macht die Faszination Ruby für die Chefin aus? "Der Teamgeist, auch wenn das vielleicht abgedroschen klingt", sagt Gerstl. "Ich habe viele Mannschaftssportarten ausgeübt, aber der Zusammenhalt beim Rugby ist unvergleichlich. Nirgendwo anders habe ich so stark das Gefühl erlebt, mit vollem Körpereinsatz zusammen zu kämpfen. Du bist extrem von den Mitspielerinnen abhängig. Das gilt für alle Levels. Es gibt nicht die großen Stars wie in anderen Sportarten."

Grabher nennt an erster Stelle ihr durch den Sport verändertes Selbstbewusstsein. "Zu sehen: Das kann ich, das mache ich gut. Stärke erfahren, Ausloten von Grenzen. Das sind die schönsten Momente. Das Erfahren von Körperlichkeit, der eigenen Kraft und Stärke. Ich habe mich nie besser gefühlt – und das strahlt auch aus auf andere Momente im Leben, außerhalb des Sports. Ich habe meinen Platz gefunden, und so finden auch alle anderen ihren Platz. Egal ob sie klein, groß, dick oder dünn sind." (Michael Robausch, 23.6.2017)