"Für die Modifizierung menschlicher Embryonen zu therapeutischen Zwecken gibt es meiner Meinung nach derzeit keine Rechtfertigung. Das Risiko, Fehler im Genom zu verursachen, ist einfach noch zu groß", sagt der Molekularbiologe John Parrington.

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"Redesigning Life – How Genome Editing Will Transform The World", € 22,99 / 368 Seiten, Oxford University Press, Oxford 2016.

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STANDARD: Der Untertitel Ihres Buchs "Redesigning Life" lautet auf Deutsch übersetzt: "Wie Genome-Editing die Welt verwandeln wird". Hat die Verwandlung schon begonnen?

Parrington: In gewisser Weise ja – wie wir biowissenschaftliche Forschung betreiben, hat sie sich definitiv bereits verändert. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Meilensteine in diesem Bereich: Erst wurde es möglich, das vollständige Erbgut von Lebewesen zu entschlüsseln, inzwischen geht das sogar unglaublich schnell. Jetzt haben wir die Möglichkeit, es sehr präzis zu verändern. Studenten in meinem Labor arbeiten heute an Projekten, die noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wären.

STANDARD: Wo sehen Sie wichtige künftige Anwendungsbereiche von Techniken wie CRISPR/Cas9?

Parrington: Das größte Potenzial sehe ich in der Medizin und in der Landwirtschaft. In der Medizin vor allem in der Grundlagenforschung: Mit Genome-Editing können wir bislang unbekannte Prozesse untersuchen, die für den Körper wichtig sind. Ich selbst forsche zu Unfruchtbarkeit, mithilfe von CRISPR/Cas9 können wir zum Beispiel an Mäusen die Rolle einzelner Gene im Reproduktionsprozess untersuchen und herausfinden, wie sich Defekte in Genen auf die Fruchtbarkeit auswirken.

STANDARD: Wie steht es um therapeutische Anwendungen zur Behandlung von Krankheiten?

Parrington: Denkbare Nutzungsmöglichkeiten gibt es viele – von Krebs bis zu Erbkrankheiten –, aber bis zur sicheren Anwendung gilt es noch, große Hürden zu überwinden. Die ersten Therapien wird es für schwerkranke Patienten geben, die ohnehin nicht mehr lange zu leben haben. In China werden bereits klinische Studien an Lungenkrebspatienten durchgeführt. Das Potenzial ist da, aber wir dürfen kranken Menschen keine voreiligen Hoffnungen machen – bis solche Therapien sicher sind und erfolgreich eingesetzt werden können, wird es noch dauern.

STANDARD: Welche Probleme müssen noch gelöst werden, ehe sich CRISPR/Cas9 in der medizinischen Praxis etablieren könnte?

Parrington: Die größte Schwierigkeit ist im Moment, dieses Werkzeug in einen lebenden Organismus einzubringen. Wenn man mit Zellkulturen im Labor arbeitet, ist das kein Problem. Das vergleichsweise große CRISPR/Cas-System aber in Säugetierzellen nach dem Embryonalstadium einzuschleusen ist sehr viel komplizierter. Es gibt jedoch immer mehr Fortschritte in diesem Bereich. Ein anderes offenes Problem ist das Risiko sogenannter "off-target effects", also dass zusätzlich zur gewünschten Veränderung weitere unkontrollierte Mutationen mit unklaren Folgen entstehen.

STANDARD: In der Landwirtschaft gibt es bereits Anwendungen: In den USA wurden etwa Champignons zugelassen, die mithilfe des CRISPR/Cas-Systems so verändert sind, dass sie langsamer braun werden. Glauben Sie, solche Entwicklungen werden sich durchsetzen?

Parrington: Viele Konsumenten haben große Vorbehalte gegen genetische Eingriffe an Nahrungspflanzen oder Nutztieren, von ihrer Akzeptanz wird der Erfolg letztlich auch abhängen. Aber der große Unterschied von CRISPR/Cas9 zur Gentechnik ist, dass sich feinere Veränderungen vornehmen lassen. Am Ergebnis ist oft nicht ersichtlich, ob es sich um eine natürliche Veränderung handelt oder um eine künstlich herbeigeführte. Es wurden schon etliche Variationen erzeugt, die mit herkömmlichen Methoden auch möglich gewesen wären, nur viel länger gebraucht hätten.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, dass vor allem Konzerne von solchen Entwicklungen profitieren?

Parrington: Das ist eine berechtigte Sorge, die unbedingt diskutiert werden muss. Aber gerade diese Technologie könnte auch lokalen Produzenten, Kleinbauern oder der Biolandwirtschaft nützen: Sie könnte eine genauere Anpassung an lokale Gegebenheiten oder Konsumentenwünsche ermöglichen. Genome-Editing kann durchaus zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.

STANDARD: Was wären sinnvolle Anwendungsbereiche in der Landwirtschaft?

Parrington: Man kann zum Beispiel versuchen, höhere Erträge und Nährstoffgehalte zu erzielen oder Nahrungspflanzen gegen den Klimawandel und Krankheiten resistent zu machen. Es gibt schon viele Erfolge: So wurde etwa eine Kartoffelsorte hergestellt, die resistent gegen Kartoffelmehltau ist, einen weitverbreiteten Pilz, der die Pflanzen absterben lässt. Bisher werden im Kartoffelanbau Unmengen an Fungiziden eingesetzt, das könnte man sich sparen. Aus ökologischer Perspektive wäre das wünschenswert.

STANDARD: Was ist mit den Gefahren und Risiken einer Anwendung in der Natur?

Parrington: Es gibt sehr unterschiedliche Risiken. Stechmücken so zu manipulieren, dass sie Malaria nicht mehr übertragen oder überhaupt aussterben, erscheint attraktiv, wenn man an die Millionen Menschen denkt, die jedes Jahr an der Krankheit sterben. Aber welche anderen Konsequenzen das haben könnte, wissen wir nicht. Das gilt natürlich auch für die Landwirtschaft: Krankheitsresistente Pflanzen scheinen eine gute Idee zu sein, aber wie verändern sich dadurch Pathogene? Eine große Frage wirft auch die Anwendung am Menschen auf, etwa die Veränderung menschlicher Embryonen. Wie wir damit umgehen, dass das heute möglich ist, und welche Gefahren das impliziert, sind enorm wichtige Fragen, die nicht nur wissenschaftlich erforscht, sondern dringend auch in der Gesellschaft stärker diskutiert werden müssen.

STANDARD: Die Technologie ist billig und vergleichsweise einfach in der Verwendung. Könnte sie terroristisch eingesetzt oder zur Herstellung neuartiger Waffen verwendet werden?

Parrington: Ich denke, diesbezüglich sollte man das Potenzial von Genome-Editing nicht überschätzen. Es gibt bereits so viele Waffen, die weitaus effektiver sind als sämtliche je entwickelten biologischen Waffen. Und auch wenn CRISPR/Cas9 leichter zugänglich ist als andere Methoden, braucht man immer noch ein Labor und eine molekularbiologische Ausbildung dafür. Aber ja: Natürlich könnte jemand versuchen, ein Virus oder ein Bakterium noch schädlicher zu machen. Dass Technologien zu illegalen Zwecken eingesetzt werden, ist immer möglich. Ich glaube, es ist unmöglich und sinnlos zu versuchen, die Technologie aufzuhalten. Also müssen wir uns auf einen Rahmen einigen, wie wir sie verwenden wollen.

STANDARD: Gesetzlich ist CRISPR/Cas9 noch weitgehend ungeregelt. Für welche Regeln plädieren Sie?

Parrington: Ideal wäre eine weltweite Gesetzgebung, aber das ist leider sehr unrealistisch. Es gibt höchst unterschiedliche Ansichten auf der Welt, was ethisch akzeptabel ist und was nicht. In China hat man beispielsweise ganz andere Ansichten als in Europa. Ich finde, die medizinische Grundlagenforschung sollte die Freiheit haben, ungehindert zu forschen. Für die Modifizierung menschlicher Embryonen zu therapeutischen Zwecken gibt es meiner Meinung nach derzeit aber keine Rechtfertigung. Das Risiko, Fehler im Genom zu verursachen, ist einfach noch zu groß. In der Landwirtschaft halte ich einen verantwortungsvollen Einsatz für sinnvoll. Klar ist aber: Wir brauchen dringend eine viel breitere Debatte darüber.

STANDARD: Wie lässt sich eine seriöse gesellschaftliche Diskussion darüber in Schwung bringen?

Parrington: Wichtig ist, dass jeder eine Stimme hat, Experten, Umweltschützer, Ethiker, Landwirte, die allgemeine Bevölkerung: Alle sind davon betroffen, daher brauchen wir ein großes Forum. Technologien wie CRISPR/Cas9 wirken auf viele Menschen abstrakt und beängstigend. Es liegt an den Wissenschaftern, diese Methoden durch transparente Wissensvermittlung zugänglich zu machen. Es kann nur dann eine sinnvolle Debatte geben, wenn die Menschen verstehen, wie das funktioniert und welche Chancen und Risiken es gibt.

STANDARD: Kommt die Scientific Community dieser Aufgabe ausreichend nach?

Parrington: Meiner Meinung nach sollten sich Wissenschafter noch viel stärker in die Diskussion einbringen, auch in ethischen Fragen. Die meisten haben dazu ja sicherlich auch eine Meinung, beteiligen sich aber kaum an der Debatte. Aber Wissenschafter haben natürlich ein anderes Hauptinteresse: neue Technologien möglichst weit voranzutreiben und die Grenzen des Wissens zu verschieben. (David Rennert, 14.8.2017)