Die Ausgaben für die Mindestsicherung sind im vergangenen Jahr stark gestiegen.

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Wien – Erst Anfang der Woche hat die rot-grüne Wiener Stadtregierung bekanntgegeben, sich nach mehr als acht Monaten Verhandlungen auf eine Reform der Mindestsicherung verständigt zu haben. Präsentiert werden soll die Einigung mit den Details am kommenden Dienstag. Dem Vernehmen nach sind bis auf kleinere Einschnitte keine wesentlichen Kürzungen – wie in anderen Bundesländern – geplant. Im Rathaus wird das mit einer bewussten politischen Entscheidung erklärt, nicht bei den Ärmsten kürzen zu wollen. Die Reform mit einem eigenen Wiener Modell wurde nötig, weil keine länderübergreifende Lösung mehr erzielt werden konnte.

Die Ausgaben für die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) waren in Wien im Vergleich zu den anderen Bundesländern aber schon im Vorjahr massiv: 664 Millionen Euro wurden in Wien 2016 dafür verwendet. Das sind nach Recherchen des STANDARD fast zwei Drittel der österreichweiten Gesamtausgaben für diese Sozialhilfe.

Bundesweiter Rundruf

Erstmals wurde österreichweit mehr als eine Milliarde Euro für die Mindestsicherung aufgewendet, ergab ein Rundruf in den Büros der jeweiligen Soziallandesräte sowie im Fall von Wien im Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Konkret betrugen die Mindestsicherungskosten für 2016 in Österreich demnach insgesamt 1,024 Milliarden Euro (siehe Grafik).

Wien – hier leben rund 1,87 Millionen Menschen – hatte mit 664 Millionen Euro die Hauptlast zu tragen. Zum Vergleich: Niederösterreich – hier leben rund 1,65 Millionen Menschen – gab 74,1 Millionen Euro für die Mindestsicherung aus. 73,3 Millionen Euro wurden nach Angaben des Landes im Vorjahr von der Steiermark für Mindestsicherungszwecke verwendet. Im Burgenland betrugen diese Kosten nur 9,6 Millionen Euro.

Handlungsbedarf

Die von den Ländern genannten BMS-Zahlen wichen in den vergangenen Jahren übrigens von jenen Zahlen ab, die das Sozialministerium mit Bezug auf die Statistik Austria veröffentlicht hat. Das Ministerium zieht für BMS-Ausgaben strengere Grenzen: So werden bestimmte Leistungen wie Hilfen in besonderen Lebenslagen nicht berücksichtigt. Diese erhöhen aber faktisch die Mindestsicherungsbudgets, weshalb die Länder diese Sozialhilfen mit hineinrechnen. Für 2016 hat das Ministerium noch keine BMS-Gesamtzahlen veröffentlicht.

Der Handlungsbedarf ist hauptsächlich für Wien enorm: Fast 60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher im Jahr 2016 lebten in der Hauptstadt. Im Detail bezogen 191.141 Personen diese Leistung, österreichweit waren es zusammengerechnet 324.155 Bezieher. Auch diese Zahlen stammen auf Anfrage aus den jeweiligen Abteilungen in den Ländern.

Während in Wien im Vergleich zu 2015 die Anzahl der Mindestsicherungsbezieher um mehr als 10.000 zunahm, stagnierte etwa diese Zahl in der Steiermark: In Summe registrierte das Sozialressort der Landesregierung 28.702 Bezieher. Dies entspricht fast exakt dem Wert aus dem Jahr 2015 (28.704). Zum Vergleich: In Niederösterreich gab es 2016 insgesamt 30.566 BMS-Bezieher, in Oberösterreich waren es 22.013 Personen – also ebenfalls bei weitem weniger als in Wien.

Asylberechtigte

Verantwortlich für den alarmierenden Anstieg der BMS-Bezieher in Wien sind hauptsächlich Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte: Von 2015 auf 2016 nahm diese Zahl um mehr als 10.000 Bezieher zu – fast genau der Wert der gesamten Zunahme, die vom Wiener Sozialressort ausgewiesen wurde.

Auf diese Gruppen zielten auch Kürzungen ab, die vor allem von den ÖVP-geführten Ländern trotz weit weniger BMS-Beziehern als in Wien durchgesetzt wurden. In Oberösterreich wurde noch 2016 verschärft: Zeitlich befristet Asylberechtigte sowie subsidiär Schutzberechtigte erhalten weniger Geld (405 Euro plus Integrationsbonus in Höhe von 155 Euro) als reguläre Bezieher (921,30 Euro). Erst vor kurzem wurde zudem eine Obergrenze für Familien von 1.512 Euro eingeführt.

In Niederösterreich erhalten Personen, die in den vergangenen sechs Jahren weniger als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich waren, seit Beginn des heurigen Jahres eine niedrigere Mindestsicherung (572,50 statt 838 Euro monatlich). Außerdem wird die BMS mit 1.500 Euro pro Haushalt oder Wohngemeinschaft ebenfalls gedeckelt.

"Aufstocker" ausgenommen

Auch im SPÖ-geführten Burgenland gilt seit mehr als zwei Monaten eine Deckelung (1.500 Euro), "Aufstocker" sind aber ausgenommen. Das sind jene Personen, die arbeiten, aber unter der Mindestsicherungsgrenze verdienen und den Restbetrag auf die Grenze aufgestockt erhalten. BMS-Bezieher, die in den letzten sechs Jahren weniger als fünf Jahre in Österreich gelebt haben, erhalten nur 584 Euro – statt 838. Im Burgenland gab es übrigens nach Auskunft des Landes im gesamten Jahr 2016 genau 3.851 Mindestsicherungsbezieher.

Wien galoppieren die Kosten mittlerweile davon, auch weil immer mehr BMS-Bezieher aus den Bundesländern zuziehen. 7.200 Asylberechtigte sind mit Stand März 2017 allein in den zwölf Monaten davor aus den anderen Bundesländern nach Wien gekommen. Einer der Gründe ist auch die bisher unveränderte Höhe der BMS in Wien.

Mehr Sachleistungen

Die für das Jahr 2017 budgetierten Kosten für die Mindestsicherung in Höhe von 700 Millionen Euro werden nicht halten, sagte Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) dem STANDARD. Weitreichende Kürzungen soll es aber nicht geben, stattdessen sind die Umwandlung von Geldleistungen in Sachleistungen sowie Investitionen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt geplant. (Steffen Arora, Jutta Berger, David Krutzler, Walter Müller, Stefanie Ruep, 16.6.2017)