Zieht man die heutige Tierwelt als Vergleich heran, sieht Macrauchenia wie eine Kombination nicht zusammengehörender Einzelteile aus. In Südamerika war dieses Erscheinungsbild allerdings über einen sehr langen Zeitraum ganz alltäglich.
Illustration: APA/AFP/American Museum of Natur

Potsdam/New York – 1834 stieß Charles Darwin höchstselbst in Patagonien auf die Fossilien eines Huftiers, das ihm heftiges Kopfzerbrechen bereitete. Es war zu Lebzeiten annähernd eine halbe Tonne schwer, hatte die Größe und den langen Hals eines Kamels, aber vergleichsweise stämmige Beine. Und zu allem Überfluss wiesen die Nasenöffnungen darauf hin, dass es einen Rüssel hatte – nicht so lang wie der eines Elefanten, aber immerhin. Es passte also in kein Schema. Weder Darwin noch der Paläontologe Richard Owen, dem er die Fossilien zur Analyse schickte, konnten das Relikt aus dem Eiszeitalter einordnen.

Das Tier, das die Bezeichnung Macrauchenia patachonica erhielt, wurde zunächst den Kamelen zugerechnet – immerhin ist Südamerika die Heimat der Lamas. Weitere Funde, auch von verwandten Arten, weckten aber Zweifel an dieser Zuordnung. 180 Jahre lang war Macrauchenias Platz im Stammbaum der Tiere umstritten. 2015 schließlich veröffentlichten britische Forscher in "Nature" eine Protein-Analyse, die Macrauchenia den Unpaarhufern zuordnete: also Pferden, Nashörnern und Tapiren. Dies wird nun von einer ersten DNA-Analyse bestätigt, die Forscher der Universität Potsdam und des American Museum of Natural History in "Nature Communications" präsentierten.

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Eine gewisse Ähnlichkeit zu Macrauchenia ist dem Tapir nicht abzusprechen. Er kam aber erst vor etwa drei Millionen Jahren in Südamerika an.
Foto: REUTERS/Rebecca Naden

Nach dem Zerfall des südlichen Superkontinents Gondwana war Südamerika den Großteil der Erdneuzeit hindurch vom Rest der Welt isoliert und entwickelte eine einzigartige Megafauna. Dazu gehörten Riesenfaultiere und Riesengürteltiere ebenso wie die bis zu drei Meter hohen Terrorvögel und säbelzahnbewehrte Räuber, die mit den Beuteltieren verwandt waren.

Ebenso gehörten zahlreiche Pflanzenfresserarten dazu, die äußerlich die verschiedenen Huftierlinien auf anderen Kontinenten widerspiegelten: Es gab welche, die nach Nashörnern aussahen, nach Gazellen, nach Flusspferden oder eben – wie Macrauchenia und seine Verwandtschaft – nach Kamelen.

Unklare Verwandtschaften

Es blieb unklar, ob all diese "Südamerikanischen Huftiere" mit den Paarhufern oder Unpaarhufern der Alten Welt verwandt oder etwas ganz anderes waren und ob sie überhaupt eine einheitliche Gruppe bildeten. Da Hufe wie Flossen oder Flügel nur eine anatomische Anpassung an eine bestimmte Fortbewegungsweise sind, war es auch denkbar, dass sie ihren (halb-)vertrauten Körperbau ganz eigenständig entwickelt hatten: ein Fall von konvergenter Evolution.

Dieser Idee machte die "Nature"-Studie von 2015 ein Ende. Das Team um Erstautor Frido Welker von der Universität York hatte das Protein Kollagen aus Fossilien Macrauchenias und des äußerlich nashornähnlichen Toxodon analysiert und ordnete die beiden Spezies anschließend den Unpaarhufern zu. Die wiesen in der Vergangenheit eine wesentlich größere Arten- und Formenvielfalt auf als heute, wie dieses Tier zeigt:

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Das von Johann Jakob Kaup entdeckte Chalicotherium hätte Darwin wohl ebenfalls erstaunt. Trotz verlängerter Vorderbeine und Klauen, die an ein Riesenfaultier denken lassen, war auch dieses Tier mit den Pferden verwandt. Chalicotherien lebten vor dem Eiszeitalter auch in Europa.
Illustration: Science Photo Library / picturedesk.com

Die aktuelle Studie bestätigt das Ergebnis von 2015 im Großen und Ganzen und fügt weitere Details hinzu. Das Team um Ross MacPhee vom American Museum of Natural History und Michael Hofreiter von der Uni Potsdam zog sechs Macrauchenia- und elf Toxodon-Knochenproben heran, um DNA-Samples zu gewinnen. Bei Toxodon gelang es nicht – ein Macrauchenia-Fossil führte aber zum Erfolg. Es stammte aus einer Höhle nahe der südchilenischen Stadt Coyhaique und damit aus einer relativ kühlen Zone, in der organisches Material besser erhalten bleibt. Die gewonnene mitochondriale DNA, die nur mütterlicherseits vererbt wird, bestätigte Macrauchenias Verwandtschaft mit den heutigen Unpaarhufern.

Außerdem konnten die Forscher sie nutzen, um eine sogenannte molekulare Uhr zu stellen. Diese bemisst evolutionäre Entwicklungen anhand von Veränderungen im Erbgut und kann anzeigen, wann sich eine Art in zwei verschiedene Nachfolgerspezies aufgespaltet hat. Das führte in diesem Fall zu einem interessanten Ergebnis: Laut der Analyse spalteten sich die Ahnen von Macrauchenia von denen der heutigen Unpaarhufer vor etwa 66 Millionen Jahren ab: ziemlich genau zu der Zeit also, als ein Asteroideneinschlag den großen Dinosauriern und vielen anderen Tiergruppen ein Ende machte.

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Beim eineinhalb Tonnen schweren Toxodon konnten die Verwandtschaftsverhältnisse noch nicht hundertprozentig geklärt werden.
Illustration: REUTERS/Peter Schouten

Wann und wie die Ahnen Macrauchenias, die nun offiziell Verwandte in der Alten Welt haben, nach Südamerika gelangten, geht aus der Studie nicht hervor. Südamerikas Säugetierfauna entwickelte sich in mehreren Schüben. Manche wie die Beuteltiere waren schon vor der Loslösung des Kontinents vor Ort. Andere gelangten später auf abenteuerlicheren Wegen dorthin: Die Affen etwa kamen vor spätestens 36 Millionen aus Afrika an – vermutlich, indem sie auf natürlichen Flößen aus Pflanzenmaterial über den damals noch schmaleren Atlantik trieben.

Eine besonders folgenschwere Einwanderungswelle ereignete sich vor knapp drei Millionen Jahren, als sich die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika bildete. Aus dem Norden drangen Kamele, Hirsche, Hunde, Katzen, Bären, Mammuts und viele andere nach Süden vor – in der umgekehrten Richtung waren die Verkehrsströme geringer. Und auch in Südamerika selbst konnten sich viele Alteingesessene nicht mehr halten, als sich die neue Konkurrenz aus dem Norden ausbreitete.

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Szene aus Südamerika vor der Ankunft des Menschen: ein Macrauchenia-Pärchen mit einem Nandu.
Foto: Illustration: REUTERS/Peter Schouten

Dieser Einwanderungswelle fiel Macrauchenia noch nicht zum Opfer. Die jüngsten Fossilfunde stammen aus einem Zeitraum vor etwa 10.000 bis 20.000 Jahren. Überreste von engen Verwandten reichen wiederum bis ins Paläozän, die Ära unmittelbar nach dem Dino-Sterben, zurück – damit hat die Familie der Macraucheniidae Südamerika fast die gesamte Erdneuzeit hindurch besiedelt.

Diese lange Tradition brach erst ab, als der seltsame Rüsselträger zusammen mit den meisten anderen Großtieren Südamerikas – Alteingesessenen ebenso wie Zugewanderten – am Ende des Pleistozäns ausstarb. Wie auf den anderen Landmassen der Erde fiel auch dieses Massenaussterben mit dem Zeitraum zusammen, in dem sich dort erstmals der Mensch ausbreitete. (Jürgen Doppler, 2. 7. 2017)